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Russland
Vor 30 Jahren ging Naumann nach Russland

Dr. Falk Bomsdorf in Krasnojarsk am Jenissej in Sibiren

Dr. Falk Bomsdorf in Krasnojarsk am Jenissej in Sibiren

Heute vor 30 Jahren, am 26. Juli 1993, kam erstmals ein fester Mitarbeiter im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung in Moskau an. Er hieß Falk Bomsdorf und seine Aufgabe war es, das Projekt Russland der Stiftung auf den Weg zu bringen, das Büro Moskau zu eröffnen und es zu leiten. Bis 2009 war er in dieser Eigenschaft in Russland tätig; dann haben seine Nachfolger übernommen: Sascha Tamm (bis 2012) Julius von Freytag-Loringhoven (bis 2020), Ute Kochlowski-Kadjaia (bis 2022). Jeder dieser vier Projektleiter hat gemeinsam mit dem russischen Team eigene Akzente gesetzt und mit den vielen engagierten russischen Partnern im Rahmen des von der Stiftung Vorgegebenen umgesetzt. 2022 wurde die Friedrich-Naumann-Stiftung wie die anderen deutschen politischen Stiftungen gezwungen, Russland zu verlassen. Seitdem steuert die Naumann-Stiftung ihre Arbeit für Russland von Georgien aus.

Ziel der Arbeit der Stiftung war es damals und ist es bis heute, die Entwicklung der Bürgergesellschaft in Russland zu fördern und zu begleiten sowie den Austausch um liberale Werte und Politik zu fördern. Im Rahmen dieser Arbeit ist die Stiftung von der Überzeugung ausgegangen, dass die wichtigsten Ressourcen Russlands nicht militärische Macht, nicht Öl und Gas sind, sondern die Menschen des Landes. Sollen sie fähig sein, zum Wohle des Landes und damit auch seiner Nachbarn in Europa zu wirken, brauchen sie vor allem zwei Dinge: Freiheit und Recht. 

Zusammenarbeit und Partnerschaft

Mit diesem Ziel vor Augen haben die Friedrich-Naumann-Stiftung und ihre russischen Mitarbeiter seit 1993 in vielen Städten Russlands eine große Zahl von Maßnahmen durchgeführt, mit zahlreichen Partnern, die ihre Arbeit erst möglich gemacht haben. Natürlich in den beiden Hauptstädten Moskau und Petersburg, aber auch und vor allem in der Tiefe des Landes: von Pskov und Archangelsk, von Ekaterinburg und Irkutsk bis Chabarovsk und Petropavlovsk-Kamtschatskij. Und auch an Orten, wo Vergangenheit wie Gegenwart Russlands unmittelbar zu erfahren waren, so in ehemaligen Straflagern, wie etwa Solovki und Perm 36.

Das Konzept der Stiftung war nie Altruismus: Russland braucht keine Hilfe - es hat alles, um ein moderner Staat zu werden und zu bleiben. Stattdessen hat die Stiftung stets auf ein ebenso einfaches wie wirksames Konzept gesetzt: auf Zusammenarbeit und Partnerschaft. Arbeit, die gemeinsam getan wird. Rezepte für die Gesundung des Landes hat die Stiftung nicht angeboten, auch wenn sie nie einen Zweifel daran gelassen hat, was das Land braucht. Doch entsprechende Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, ist vor allem Sache der Menschen in Russland. Die Stiftung hat sich darauf konzentriert, das gesellschaftliche Knowhow zur Debatte zu stellen, wie es sich in langen Jahren in Deutschland entwickelt hat. Was die Partner der Stiftung in Russland davon als nützlich, als geeignet zur Übernahme ansehen, war und ist allein ihre Sache.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung ist nach Russland gekommen, als Hoffnung bestand. Und in der Tat hat es in den 90er Jahren, die im Russland von heute zu Unrecht als ausschließlich chaotisch gesehen werden, Fortschritte in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft gegeben. Mit dem Amtsantritt von Vladimir Putin ist diese Entwicklung abgebrochen und zurückgedreht worden. Putin hat einen anderen Weg eingeschlagen. Auf ihm ist in alter russischer Tradition Gewalt erneut zum zentralen Instrument der Politik geworden, im Innern wie nach außen. Seit 2014 führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Er wird mit der Invasion von 2022 inzwischen als Vernichtungskrieg geführt. Also als ein Krieg, der als solcher ein Kriegsverbrechen darstellt und in dem unzählige Kriegsverbrechen von russischen Soldaten und Offizieren begangen werden.

Exilprojekt Russland setzt FNF Arbeit von Tbilisi aus fort

Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat auch in Putins Russland trotz des immer stärkeren Totalitarismus bis zum Schluss erfolgreich arbeiten können. Mit dem Exilprojekt Russland setzt sie diese Arbeit von Tbilisi aus fort. Ob die Stiftung jemals wieder in Russland wird tätig sein können, hängt ganz von der Entwicklung des Landes ab. Russland hat, wie der große Russlandkenner George Kennan einst festgestellt hat, immer zwei Pole gehabt: den positiven Pol, liberal und human, erfüllt vom Glauben an die schöpferischen Kräfte des Landes, und den entgegengesetzten, den negativen Pol, gekennzeichnet von Brutalität und Niedertracht. Das Russland der Macht und des Zynismus, also das Regime der Bolschewiki, hat lange Zeit das Land beherrscht. Nach dem lucidum intervallum der Perestroika-Zeit gegen Ende des letzten Jahrhunderts ist mit Vladimir Putin der negative Pol zurückgekehrt, mit einem Ausmaß von Gewalt nach außen wie nach innen, das man bisher für unmöglich gehalten hatte. Ob das Russland des Geistes und des Glaubens damit unwiederbringlich verloren ist, diese Frage kann heute niemand beantworten. Doch die schöpferischen Kräfte Russlands sind nicht verloren; sie haben begonnen, sich der Unterdrückung durch die gegenwärtigen Herrscher des Landes zu widersetzen. Es sind diese Menschen, die das „andere Russland“, den positiven Pol ausmachen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Russland eines Tages wieder ersteht. Wenn es so kommt und seine Menschen sich mit den Verbrechen des Putin-Regimes auseinandersetzen, die Gesellschaft des Landes sich zu ihrer Verantwortung bekennt und die Täter zur Rechenschaft zieht, dann, aber nur dann kann ich auch wieder daran denken, wieder nach Russland zu gehen.