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Wahl in Russland
Russland wählt zum Schein: Präsidentschaftswahlen unter Putins autoritärem Regime

Der russische Präsident Wladimir Putin hält seine Rede zur Lage der Nation in Moskau, Russland,Der russische Präsident Wladimir Putin hält seine Rede zur Lage der Nation in Moskau, Russland,

Der russische Präsident Wladimir Putin hält seine Rede zur Lage der Nation in Moskau, Russland.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Gavriil Grigorov

Vom 15. bis 17.03.2024 finden in der Russischen Föderation zum achten Mal in der Geschichte des Landes und zum ersten Mal im Kriegszustand Präsidentschaftswahlen statt. Sie sollen der scheindemokratischen Legitimation und Bestätigung von Wladimir Putin dienen, der nach bereits vier Amtszeiten als Präsident nunmehr zum fünften Mal kandidiert. Dies wurde durch eine von Putin initiierte und in 2020 durchgesetzte Verfassungsänderung möglich, mit der alle seine seit dem Jahre 2000 vorangegangenen Amtszeiten auf null gesetzt und ihm zwei weitere Amtszeiten von je 6 Jahren – theoretisch bis 2036 - ermöglicht wurden.

Scheindemokratische Legitimation unter Putins Regime

Um seine Macht zu sichern, hatte Putin bereits seit seiner ersten Amtszeit (2000-2004) ständige Verschärfungen der Wahlgesetzgebung durchgesetzt, durch die sich die Barrieren für oppositionelle Präsidentschaftskandidaten drastisch erhöhten. Die russischen demokratischen Kräfte wehrten sich aktiv gegen diesen Machtanspruch mit großen Massendemonstrationen in 2011/2012, die sich gegen eine weitere Amtszeit von Putin richteten. Das Regime reagierte darauf nicht mehr nur mit wahlrechtlichen Einschränkungen, sondern erließ seit 2012 drastische Gesetze, mit denen die Presse- und Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Demonstrationsfreiheit in Russland de facto abgeschafft worden sind und eine beispiellose Repressionswelle gegen alle demokratischen Kräfte ausgelöst wurde.

Mit dem vollumfassenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der bereits Hunderttausende Opfer forderte, sowie der faktischen Verhängung des Kriegsrechts und der brutalen Unterdrückung bis hin zur physischen Vernichtung oppositioneller Kräfte im Innern des Landes und im Ausland hat Russland sich von einem autoritären in einen totalitären Staat verwandelt. Unter diesen Bedingungen sind Wahlen eine Farce und dienen nur der scheindemokratischen Legitimation für Putins Machtanspruch. 

Neuerungen bei Präsidentenwahl

Gleich mehrere Neuerungen bei den diesjährigen Präsidentenwahlen belegen dies. Erstmalig finden die Wahlen an drei Tagen, vom 15. bis 17. März, sowie in 29 Gebieten durch elektronische Abstimmungen statt. Das öffnet durch fehlende Transparenz Wahlfälschungen Tür und Tor. Weiterhin werden neben den 110 Millionen Wahlberechtigten in Russland auch alle Bewohner der vier von Russland teilokkupierten ukrainischen Gebiete Luhansk, Donetsk, Saporishja und Cherson gesetzeswidrig dazu gezwungen, an den russischen Wahlen teilzunehmen. Um ihre Teilnahme abzusichern, wurde hier der Wahlprozess bereits drei Wochen vor den eigentlichen Wahlen begonnen, um längeren und größeren Druck ausüben zu können. Die ZWK gibt die Anzahl der hier Wahlberechtigten mit 4,6 Mio. Bürgern an, obwohl aktuell nur noch 3,5 Mio. in diesen Gebieten leben.  

Ein Mann gibt bei der vorgezogenen Stimmabgabe im Vorfeld der für den 15. bis 17. März angesetzten Präsidentschaftswahlen 2024 seine Stimme ab.

Ein Mann gibt bei der vorgezogenen Stimmabgabe im Vorfeld der für den 15. bis 17. März angesetzten Präsidentschaftswahlen 2024 seine Stimme ab.

© picture alliance/dpa | Dmitry Yagodkin

Auch neu ist, dass neben Putin nur noch Kandidaten aus in der Duma vertretenen Blockparteien, die die Kriegs- und Repressionspolitik des Kreml uneingeschränkt unterstützen, zugelassen worden sind.  Es werden auch erstmalig keine Wahlbeobachter der OSZE teilnehmen (2018 waren es noch 600), sondern bislang wird von ca. 1000 Beobachtern aus „befreundeten Staaten und Organisationen“ ausgegangen.

Nunmehr dürfen nur noch Kandidaten antreten, die seit mindestens 25 Jahren in Russland ansässig sind und keine ausländische Staatsangehörigkeit oder Aufenthaltsgenehmigung im Ausland besitzen. Die zulässige Fehlerquote der für die Registrierung als Präsidentschaftskandidat beizubringenden 100.000 Unterschriften wurde von 10 % auf 5 % abgesenkt. Die zentrale Wahlkommission (ZWK) auf föderaler Ebene und die Wahlkommissionen auf regionaler und munizipaler Ebene wurden bereits vorher per Föderalgesetz von ehemals nichtständigen in ständige Organe umgewandelt. Die 15 Mitglieder der föderalen ZWK werden zu je 1/3 von der Präsidentenadministration, der Duma (Unterhaus) und dem Föderationsrat (Oberhaus) bestimmt und sind mittlerweile fest in die Machtvertikale eingebunden.  Dies zeigt sich, zum einen, in der Ablehnung der Registrierung von oppositionellen Präsidentschaftskandidaten durch die ZWK. Wurden im Jahre 2000 noch 11 Präsidentschaftskandidaten zu den Wahlen zugelassen, so sind es bei diesjährigen Wahlen nur noch 3 Kandidaten neben Putin. Zum anderen zeichnen die Wahlkommissionen auch für die offensichtlichen Verfälschungen der Wahlergebnisse verantwortlich, wie zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen 2018 von den Wahlbeobachtern der OSZE festgestellt wurde. 

Mutige Kandidaten: Kampf gegen die Unterdrückung

Ungeachtet der rigiden Wahlgesetze und Repressionen und der absehbaren Chancenlosigkeit haben sich Kandidaten beworben und Unterstützung erhalten, die sich in ihren Wahlprogrammen gegen den Krieg in der Ukraine und Putin positioniert haben. Das waren die Journalistin und unabhängige Kandidatin, Jekaterina Duntsova, und der Politiker, Boris Nadeschdin, von der außerparlamentarischen Partei „Bürgerinitiative“. Während Duntsova bereits die Zulassung zur Unterschriftensammlung für die Registrierung als Kandidatin verweigert wurde, erhielt Nadeschdin die Zulassung zur Unterschriftensammlung für die Registrierung von der ZWK, wurde jedoch wegen angeblich zu vieler ungültiger Unterschriften dennoch nicht als Präsidentschaftskandidat bestätigt.  Beide wollten dennoch ein Zeichen setzen und sich mit legalen Mitteln Gehör für ihre Positionen verschaffen. Um sich in die Unterschriftenlisten für Nadeschdin eintragen zu lassen, standen Tausende Menschen in langen Schlangen stundenlang in vielen Städten Russlands an und hatten den Mut, sich auf den Unterschriftenlisten mit ihren persönlichen Angaben auszuweisen.  Diese Listen mit über 100.000 Unterschriften wurden an die ZWK übergeben und bergen die Gefahr, dass die Behörden im Nachhinein gegen die Unterzeichner mit Repressionen vorgehen. Ebenso mutig sind die zehntausenden Menschen, die Alexey Navalny, dem kurz vor der Wahl im Straflager ermordeten politischen Hauptgegner von Putin, die letzte Ehre erwiesen.

Menschen legen am Grab des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny auf dem Moskauer Borisow-Friedhof Blumen nieder, um sein Andenken zu ehren.

Menschen legen am Grab des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny auf dem Moskauer Borisow-Friedhof Blumen nieder, um sein Andenken zu ehren.

© picture alliance / Sipa USA | SOPA Images

Putins kontrollierte Wahlen

Als Präsidentschaftskandidaten registriert wurden Wladimir Putin für die Regierungspartei „Einiges Russland“, Nikolai Charitonow für die Kommunistische Partei, Leonid Sluzki von der rechtsextremen LDPR und Wladislaw Dawenkov von der konservativen Partei „Neue Leute“. Offizielle Umfragen vor den Wahlen weisen für Putin knapp 80 % der Stimmen aus und für jeden der anderen drei Kandidaten lediglich 2 % bis 4 %. Angesichts des andauernden Aggressionskriegs gegen die Ukraine, der faktischen Einführung des Kriegsrechts und der Kriegswirtschaft und den sozialen Problemen im Land soll damit die überwältigende Zustimmung und das Vertrauen der Bevölkerung in Putins Politik und ihn persönlich demonstriert werden. Da sich aber in ebenfalls offiziellen Umfragen weit über die Hälfte der Befragten für eine Beendigung des Krieges ausspricht, wird deutlich, dass das Wahlergebnis für Putin „gemalt“ wird, wie es im Russischen heißt.

Ein Plakat mit den Präsidentschaftskandidaten ist vor einem Wahllokal zu sehen.

Ein Plakat mit den Präsidentschaftskandidaten ist vor einem Wahllokal zu sehen.

© picture alliance/dpa | Lev Fedoseyev

„Rede an die Nation“: Die Inszenierung von Einheit und Macht

Am 29. Februar trat Putin im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen mit seiner jährlichen „Rede an die Nation“ vor den beiden Kammern des Parlaments auf und beschwor die Einheit des russischen Volkes, das geschlossen hinter dem Krieg gegen die Ukraine stünde. Er drohte dem Westen zum wiederholten Male mit Atomwaffen und forderte die Regierung dazu auf, bis zum Jahr 2030 nationale Wirtschafts- und Sozialprogramme in dreistelligen Milliardenbeträgen aufzulegen, um die „Souveränität“ Russlands auf allen gesellschaftlichen Gebieten zu befördern und abzusichern. Als wichtigste Gesellschaftsaufgabe stellte er die Förderung von Familien mit vielen Kindern heraus. Die von Putin angesprochenen Aufgaben und Programme waren bereits in seinen vorherigen Amtszeiten formuliert worden, wurden jedoch nie umgesetzt. Umso unwahrscheinlicher scheint ihre Umsetzung unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft, bei der 1/3 des Staatshaushalts für militärische Zwecke ausgegeben werden, dem Fehlen von 1,5 Millionen qualifizierten Arbeitskräften wegen Mobilisierung oder Emigration, dem Sanktionsregime und einer hohen Inflation. Statt friedlicher blühender Landschaften erwartet die russische Bevölkerung in Putins 5. Amtszeit Krieg, Vertiefung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme und die Verstärkung des Repressionsapparats.