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Wahl in Russland
Russland nach der Scheinwahl: Die gefälschte Selbstermächtigung Putins

Der russische Präsident Wladimir Putin trifft sich mit seinen Wahlhelfern im Kreml in Moskau, Russland, am 20. März 2024.

Der russische Präsident Wladimir Putin trifft sich mit seinen Wahlhelfern im Kreml in Moskau, Russland, am 20. März 2024.

© picture alliance / abaca | Gripas Yuri/ABACA

Wenn am 21. März 2024 die Zentrale Wahlkommission Russlands das amtliche Wahlergebnis der Präsidentschaftswahlen bekannt gibt, sind bereits alle Feiern für den organisierten Wahlsieg Putins vorbei und das Land ist bereits in die neuen Realitäten seiner 5. Präsidentschaft eingetreten.

Die vom 15. bis 17.03.2024 durchgeführten Präsidentschaftswahlen zur Absicherung des Machtanspruchs Putins mit einer irregulären 5. Amtszeit fanden unter außerordentlichen Bedingungen statt – dem Krieg in der Ukraine, der Repression gegen alle demokratischen Kräfte, der Abschaffung der Presse- und Informationsfreiheit und des Demonstrations- und Versammlungsrechts. Der dadurch entstandene hohe Legitimationsdruck für Putin fand seine Entsprechung in Wahlen und Wahlergebnissen, die nach Aussage der bereits verbotenen Wahlbeobachtungsvereinigung „Golos“ so stark manipuliert waren und so wenig den Verfassungsnormen entsprachen wie noch nie zuvor.

Selbst der Anspruch von geheimen Wahlen wurde ad absurdum geführt, indem alle Wahlurnen durchsichtig waren und die Wahlzettel nicht gefaltet werden durften, sondern offen abgegeben werden mussten. Während unabhängige Wahlbeobachter und selbst Wahlbeobachter der 3 neben Putin zugelassenen Präsidentschaftskandidaten keinen Zugang zu den Wahlbüros und zu Videoaufnahmen zur Feststellung von Wahlmanipulationen erhielten, wurden Vertreter regimenaher ausländischer Parteien und Organisationen, wie z.B. der AfD und ausländische Teilnehmer eines von Russland zuvor veranstalteten Jugendfestivals, als Experten und Wahlbeobachter ausgewiesen.

Manipulation und Proteste

Die Wahlbeteiligung soll mit offiziell 77,44 % die der letzten Präsidentschaftswahlen in 2018 (67,5 %) um fast 10 % übertroffen haben. Um dieses Ergebnis zu erreichen, wurden alle Staatsbeamten und Mitarbeiter staatlicher Betriebe und Einrichtungen bereits am ersten Wahltag, einem Freitag, verpflichtet, an ihren Arbeitsplätzen zu wählen und für Putin zu stimmen, was von den Vorgesetzten kontrolliert und weitergemeldet wurde.

Ein besonders wichtiges Element für die Wahlmanipulationen sind die neu eingeführten elektronischen Abstimmungen, die bezeichnenderweise in den 29 Gouvernements durchgeführt wurden, die bei vorherigen Wahlen eine zu geringe Wahlbeteiligung ausgewiesen und/oder mehrheitlich für oppositionelle Kandidaten gestimmt hatten.

Neben den Wahlberechtigten in Russland wurden auch völkerrechtswidrig Millionen Wähler in den von Russland teilbesetzten ukrainischen Gebieten Donetsk, Cherson, Lugansk und Saporishja sowie der Krim zumeist mit Waffengewalt an die Urnen gezwungen oder zuhause aufgesucht. Für russische Staatsbürger wurden in 141 Staaten sowie ebenso völkerrechtswidrig in den zu Georgien und der Moldau gehörigen Provinzen Abchasien, Südossetien und Transnistrien Wahlbüros eingerichtet.  

Im Inland wie Ausland war die Wahlbeteiligung am dritten Wahltag, dem Sonntag, besonders hoch. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die russische Opposition mit der Aktion „Mittag gegen Putin“ dazu aufgerufen hatte, am letzten Wahltag um 12.00 Uhr ins Wahllokal zu gehen, einen anderen Kandidaten als Putin zu wählen oder den Wahlzettel ungültig zu machen, um damit legal den kollektiven Protest gegen das Putin-Regime, den Krieg in der Ukraine und die Scheinwahlen zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich nahmen sowohl in Russland als auch im Ausland so viele Menschen an dieser Aktion teil, dass sich mittags kilometer- und stundenlange Schlangen vor den Wahllokalen bildeten und z.B. in Berlin, Podgorica, Riga und Tel Aviv nicht alle vor Schließung der Wahllokale ihre Stimme abgeben konnten.    

Trotz der starken Überwachung und Absicherung der Wahllokale in Russland kam es zu zahlreichen Protestaktionen, indem z.B. Tintenfässer und Farbbeutel in die Urnen geworfen wurden, um die Wahlzettel unkenntlich zu machen oder Wahlurnen angezündet wurden. Insgesamt wurden während der Wahltage 85 Verhaftungen vorgenommen und/oder strafrechtliche Verfahren eingeleitet.  

Menschen stehen in Moskau vor einem Wahllokal Schlange, um bei der Protestaktion «Mittag gegen Putin» ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen.

Menschen stehen in Moskau vor einem Wahllokal Schlange, um bei der Protestaktion «Mittag gegen Putin» ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen.

© picture alliance/dpa | Hannah Wagner

Exil-Russen stimmten mehrheitlich gegen Putin

Die Wahlergebnisse entsprachen den Scheinwahlen und trafen vorhersehbar ein. Putin wurde mit dem angeblichen Rekordergebnis von 87, 28 % (ca. 76,3 Mio. Wählerstimmen), für seine irreguläre 5. Amtszeit bestätigt. Den anderen drei Kandidaten wurden jeweils folgende Ergebnisse zugebilligt: Charitonov (Kommunistische Partei) 4,31 %; Davankov (Partei „Neue Leute“, wirtschaftsliberal) 3,85 % und Slutzki (LDPR, rechtsnationalistisch) 3,20 %.

Unabhängige russische Medien im Exil und Wahlbeobachter gehen davon, dass Putin zwischen 20 und 31 Mio. Wählerstimmen zugeschrieben worden sind, die er nicht erhalten hatte. Dagegen wurden abgegebene Stimmen für Davankov, der von vielen Oppositionskräften und Kriegsgegnern gewählt wurde, um ein Gegengewicht zu Putin zu schaffen, nicht mitgezählt.

Insbesondere die ins Ausland geflohenen Russen stimmten an ihren Exilstandorten mehrheitlich gegen Putin und für Davankov. Nach Fernsehberichten russischer oppositioneller Sender stimmten z.B. in Kasachstan, in Almaty und Astana, nur 7-8 % für Putin, aber über 60 % für Davankov. Auch in Bangkok, London, Belgrad, Podgorica, Berlin und vielen anderen Städten bekam Putin die Hälfte der Stimmen. Damit wurde überall dort, wo sich russische Bürger ohne offensichtliche Manipulationen und Einschüchterungen an den Wahlen beteiligen konnten, deutlich, dass Putin durchaus nicht die Unterstützung hat, die die gefälschten Wahlergebnisse für ihn ausweisen. Zugleich haben in Russland selbst viele Bürger gewählt und für Putin gestimmt im Wissen darum, dass unter den totalitären Bedingungen Wahlen nur zum Schein durchgeführt werden, ihre Stimme keinerlei Gewicht hat und nichts an den herrschenden Machtverhältnissen ändert.

Carte Blanche für Aggression und Repression

Putin selbst hat mit diesem gefälschten Rekordergebnis quasi eine Carte Blanche erhalten, um nicht nur den Aggressionskrieg gegen die Ukraine und die Repressionen im Innern des Landes weiterzuführen oder zu verschärfen, sondern auch die Möglichkeit, unpopuläre Maßnahmen unwidersprochen durchzusetzen. Er hat bereits angedeutet, dass es Steuererhöhungen geben wird, um die Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten und die Geheimdienste aufgefordert, noch konsequenter und umfassender gegen „Verräter“, wo auch immer sie sich befinden mögen und was auch immer ihr Vergehen sei, gnadenlos vorzugehen. Die demokratischen und liberalen Kräfte in Russland und weltweit werden es also mit einem noch aggressiveren und repressiveren Russland in der 5. Amtszeit Putins zu tun haben, dem sich konsequent entgegengestellt werden muss.