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Tanzania
Rettung für die Mädchen

Projekt gegen Genitalverstümmelung in Massai-Dörfern
Massai Frauen sitzen in Versammlungsraum

Im Gespräch mit Massai-Frauen und Männern in Kilimanjaro, Tanzania

© John Mwandri, FNF

Weihnachten ist für Nanyori eine große Gefahr. Das neunjährige Massai-Mädchen lebt in einem Dorf am Fuße des Kilimandscharo. Wenn um Weihnachten die Schulen geschlossen werden, soll Nanyori beschnitten werden. So will es die Tradition.  

Die Massai praktizieren eine besonders brutale Form der Genitalverstümmelung, die so genannte Klitoridektomie. Dabei werden die Klitoris und manchmal auch die angrenzenden Schamlippen teilweise oder vollständig entfernt, ohne Betäubung oder Sterilisation der Messer. In der Massai-Kultur markiert die Beschneidung den Eintritt ins Erwachsensein, den Übergang eines Mädchens zur Frau. Das Abtrennen der Klitoris soll aber auch das sexuelle Verlangen der jungen Frauen verringern, vermeintlich damit sie keine vorehelichen Beziehungen eingehen oder später Ehebruch begehen.

Die unmittelbaren Folgen der Klitoridektomie sind gravierend. Sie führt oft zu starken, teilweise tödlichen Blutungen und Infektionen. Auch langfristig leiden die Frauen. Viele haben chronischen Entzündungen und durch die Narben unerträgliche Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Bei Geburten kommt es regelmäßig zu schweren Komplikationen.

Ester Joseph spricht zu Massai bei Dorftreffen

Die Aktivistin Ester Joseph im Gespräch mit Massai-Frauen

© John Mwandri, FNF

In Tansania und in den Kenia, wo die Massai leben, ist die Beschneidung von Mädchen seit vielen Jahren verboten. Trotzdem erleiden bis heute knapp 80 Prozent der Mädchen dieses grausame Schicksal.

Nanyori aber könnte Glück haben. Ihr Dorf nimmt an einem Projekt von KWIECO teil, einer NGO, die Frauen in der Region Kilimandscharo unterstützt. Mit Förderung durch die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) arbeiten die Trainer von KWIECO seit 2020 in den Massai-Dörfern. Zuerst ging es darum, die Frauen über ihre Rechte zu informieren – etwa bei Konflikten um Landrechte und Erbschaften, aber auch bei Fällen von sexualisierter Gewalt. Über die Jahre bildete sich so das nötige Vertrauen, um das Thema Genitalverstümmelung in 2023 erstmals offen anzusprechen.

Zur Überraschung selbst der Regionalregierung von Kilimandscharo nahmen beim ersten Workshop im März auch die traditionellen Führer der Massai-Community teil. Vier Tage hörten sie von den Nöten der betroffenen Frauen und diskutieren über die möglichen Folgen für ihre Dörfer. Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, können nach tansanischem Recht die Verantwortlichen noch viele Jahre später verklagen. Dieses Risiko war den Stammesführern bis dahin nicht bewusst. Um ihre Gemeinschaften zu schützen, muss sich etwas ändern, das war am Ende der vier Tage klar.

Treffen im Dorf

Für die Aufklärung ist das Gespräch mit den Männern genauso wichtig mit den Frauen

© John Mwandri, FNF

Doch um die Praxis der Genitalverstümmelung zu beenden reicht auch die Macht der traditionellen Führer nicht aus. Es sind vor allem alte, einflussreiche Frauen, die die grausame Tradition in den Dörfern am Leben halten. Als Beschneiderinnen genießen sie Macht und Ansehen. Außerdem verdienen sie mit der Verstümmelung der Mädchen ihren Lebensunterhalt. Diese Frauen müssen für den Wandel gewonnen werden, das war die Botschaft der Stammesführer nach weiteren internen Beratungen.

So fand zwischen Juli und September 2023 weitere Workshops statt, an denen erst insgesamt 85 Beschneiderinnen teilgenommen haben. KWIECO und FNF hatten diese Workshops gut vorbereitet. Neben den Diskussionen über das Thema gab Trainings und Unterstützungsangebote, die den Frauen helfen, ihre eigenen, kleinen Unternehmen zu starten und sich damit alternative Einkommensquellen zu erschließen.

Tatsächlich ist es gelungen, die Teilnehmerinnen an dem Workshop für den Wandel zu gewinnen, genau wie die Stammesführer zuvor. Sie werden in Zukunft keine Beschneidungen mehr durchführen. Wenn man vorsichtig unterstellt, dass jede Beschneiderin nur fünfzehn Beschneidungen pro Jahr durchführt, bewahrt diese Entscheidung der 85 Frauen allein in diesem Jahr mehr als 1200 Mädchen vor einem grausamen Schicksal.

Dieser Erfolg ist das Ergebnis von einem Projekt mit langem Atem. Es lohnt sich darauf aufzubauen. Es gibt noch viele Massai-Dörfer, die von KWIECO nicht erreicht wurden und in denen während der Schulferien zur Weihnachtszeit tausende Mädchen verstümmelt werden.

Wir sollten diese Mädchen nicht im Stich lassen.