EN

#FemaleForwardInternational
Wenn Aktivismus auf Recht trifft

#FemaleForwardInternational: Treffen Sie Denitsa Lyubenova aus Bulgarien
Denitsa Lyubenova

Denitsa Lyubenova ist Menschenrechtsanwältin und LGBTI-Aktivistin. Sie hilft Menschen ein normales Leben zu führen und gleiche Rechte zu genießen.

Die Anwälte, die wir in Filmen sehen, treten in der Regel stark und selbstbewusst auf, aber sie setzen sich nicht immer für unschuldige Menschen oder edle Anliegen ein - sie machen einfach ihren Job. Denitsa Lyubenova ist keine formelhafte Anwältin - sie engagiert sich seit Jahren für mehr Gerechtigkeit und gleiche Rechte für Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften. Als Mitbegründerin der LGBTI-Organisation Deystvie (zu Deutsch „Aktion“) nimmt sie sich der Belange von Menschen aus allen Gruppen der Gesellschaft an und versucht als Rechtsexpertin ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen.

Sie hat Kindern bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit geholfen, hat gleichgeschlechtliche Ehen rechtlich anerkennen lassen und HIV-Patienten den Zugang zu Medikamenten erleichtert.

Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Ein Debakel auf der Polizeiwache

Denitsas Arbeit als Menschenrechtsanwältin ist schwierig, denn Bulgarien ist in mancher Sicht alles andere als tolerant und fortschrittlich. Sie führt folgendes Beispiel an, um die prekäre Situation hierzulande zu beschreiben

2016 war sie für die Sicherheit der jährlichen Sofia Pride Parade verantwortlich. Ihrem Bericht zufolge setzten zwei Personen während der Parade Pfefferspray ein, als sie von Neonazis angegriffen wurden. Daraufhin verhaftete die Polizei sowohl die Angreifer als auch die Angegriffenen. „Ich ging zur Polizeiwache und wollte die Leute treffen, die angegriffen wurden. Weil ich mich als Anwältin auswies, durfte mir die Polizei den Zutritt nicht versagen“, erinnert sie sich. Zunächst durfte ich die beiden angegriffenen und in Gewahrsam genommenen Personen sehen, jedoch änderte sich die Situation im Nu schlagartig. Einer der Polizeichefs befahl den Beamten mich sofort hinauszubringen, als er erfuhr, man habe mich reingelassen. „Ein paar Polizisten packten mich einfach und schmissen mich raus. Unmittelbar danach ließen sie die beiden verhafteten Personen, mit dem Versprechen der sofortigen Freilassung, eine Erklärung unterschreiben, dass sie auf rechtlichen Beistand verzichten", sagt Denitsa.

Inzwischen hatten sich zehn Neonazis vor der Polizeiwache versammelt. „Sie umzingelten mich und begannen mich zu fotografieren und zu bedrohen. Die Polizisten sahen nur tatenlos zu und rauchten ihre Zigaretten“, erinnert sich die Anwältin. Also schrieb sie ihren Kollegen eine SMS und etwa zehn Minuten später gab es eine „Mini-Parade“ direkt vor der Polizeiwache“.

Selbst solche Situation konnten sie nicht davon abhalten weiter für die Rechte dieser Gemeinschaft zu kämpfen.

Zitat Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Recht und Rechte

Denitsa entschied sich Anwältin zu werden, weil sie von einem Onkel inspiriert wurde, der selber Anwalt war. Sie studierte Jura in Bulgarien, hatte aber, wie sie selbst sagt, das Gefühl, ihr würde etwas fehlen - es fühlte sich nicht wie die richtige Zeit und der richtige Ort an. Sie absolvierte ein weiterführendes Masterstudium in den Niederlanden, wo sich ihr Interesse an Menschenrechten vertiefte.

Aktiv wurde sie aber schon viel früher. Im Jahr 2012, als sie noch Jura in Bulgarien studierte, beschloss eine Gruppe von Freunden ein Musikfestival als Spendenaktion für die Gründung von Deystvie zu veranstalten. „Wir waren Anfang 20, voller Enthusiasmus und hatten genug Freizeit. Wir schafften es, ein viertägiges Festival an vier verschiedenen Orten in Sofia zu organisieren. Die Inhaber der Bars und der anderen Orte waren sehr aufgeschlossen und es kamen über 500 Besucher, obwohl es damals keine Werbung durch den Austausch in sozialen Netzwerken gab“, erklärt Denitsa. 2014, also zwei Jahre später, als Deystvie Rechtskostenzuschüsse für LGBTI-Menschen bekam, wurde das Rechtshilfeprogramm ins Leben gerufen,

Während des Jurastudiums fielen ihr keine Diskrepanzen in der Gesetzgebung auf. „In Bulgarien sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich, so jedenfalls die Theorie. Erst wenn man tatsächlich klagt oder ein bestimmtes Recht geltend macht, stellt sich heraus, dass die Gesetzgebung lückenhaft ist und LGBTI-Menschen massiv diskriminiert werden”, erzählt Denitsa. Sie ist aber fest davon überzeugt, dass gerade das Gesetz das richtige Werkzeug ist, um Schicksale zu ändern. „Ich wollte das System ändern und bestehende Ungleichbehandlung in der Gesellschaft abbauen. Meiner Meinung nach kann man das aber nur erreichen, wenn man die Gesetzgebung, das System und seine Funktionsweise kennt“, erklärt sie und fasst zusammen: „Menschenrechte sind geltendes Recht und Recht bedeutet Menschenrechte.“

Zitat Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Sie konkretisiert, dass es in Bulgarien keine Gesetze gegen Hassverbrechen auf Grund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität gibt. Gleichgeschlechtliche Familien genießen keinen Schutz. „Wir haben für transsexuelle Menschen kein legales Verfahren zur Geschlechtsumwandlung. Hier ist die Kluft zwischen der allgemeinen Öffentlichkeit und der LGBTI-Gemeinschaft besonders ausgeprägt. Nicht nur die rechtliche Ungleichheit sticht ins Auge, sondern auch das Unverständnis der allgemeinen Öffentlichkeit, die nicht versteht, welche Art von Rechten LGBTI-Menschen fordern“, sagt die Anwältin.

In letzter Zeit hat Bulgarien unter einer intoleranten Atmosphäre und Propaganda zu leiden. Veranstaltungen, Kampagnen und ähnliche Instrumente sind großartig, aber sie bringen Fortschritt nur bis zu einem bestimmten Punkt. „Was wir in den letzten Jahren beim sogenannten „Gender-Backlash“ oder der „Anti-Gender-Bewegung“ sehen, ist der Einsatz rechtlicher Instrumente. Ich glaube, dass man auch hier in Bulgarien rechtlich vorgehen muss, wenn man etwas an der Situation von LGBTI-Menschen ändern möchte“, meint sie.

Zitat Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Deystvie: Der Kampf im Gerichtsaal

Deystvie bietet seit 2014 Unterstützung durch Rechtskostenzuschüsse. Einen wichtigen Sieg, auf den Denitsa Lyubenova stolz ist, konnte man 2018 verbuchen. Dieser „Sieg“ wurde durch die Zusammenarbeit mit Veneta Limberova, der Vorsitzenden von Deystvie, und Yavor Konov, dem damaligen Leiter des Gesundheitsprogramms von Deystvie und heutigen Vorsitzenden der Ivor Stiftung, möglich. Sie organisierten eine Kampagne zur Änderung des Gesetzes, dass die Verschreibung der Rezepte für HIV-Patienten regelt. „Vor unserer Kampagne mussten HIV-Patienten jeden Monat zu ihrem Arzt gehen. Sie mussten also zum nächsten Infektionszentrum in einer Großstadt fahren, das oft weit von ihrem Wohnort entfernt ist. Nach unserer Kampagne wurden die Rezepte für drei Monate im Voraus ausgestellt. Das war ein großer Erfolg für uns und für alle HIV-Patienten", erinnert sich Denitsa.

Zitat Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Ein weiterer Fall, der die Anwältin beschäftigt, ist die Anerkennung der gleichgeschlechtigen Elternschaft. Die bulgarischen Behörden weigerten sich die Abstammungsurkunde eines Kindes mit zwei Müttern - eine Bulgarin und einen britischen Staatsangehörige – anzuerkennen, obwohl das Kind dadurch staatenlos blieb. Die beiden Frauen haben in Spanien geheiratet und ihr Kind wurde dort geboren. Das Kind erhielt jedoch nicht die spanische Staatsbürgerschaft, weil keiner der beiden Elternteile Spanier ist. Die eine Mutter stammte aus der britischen Exklave Gibraltar, die inzwischen nicht mehr zur EU gehört, daher konnte sie ihre eigene britische Staatsbürgerschaft nicht an das Kind weitergeben. „Deshalb beantragte die bulgarische Mutter mit der Geburtsurkunde die bulgarische Staatsbürgerschaft für das Kind“, erklärt Denitsa.

Die Eltern kamen nach Sofia und gingen zum örtlichen Gemeindeamt. Dort verlangte man jedoch von der bulgarischen Mutter den Nachweis, dass sie tatsächlich die leibliche Mutter des Kindes ist. Denitsa erklärt, dies sei nicht richtig gewesen. Man könne es sogar als reine Diskriminierung einstufen, denn kein heterosexuelles Paar, das ins Land zurückkommt, um sein Kind anzumelden, muss die biologische Abstammung mit einem DNA-Test nachweisen.

„Die Gemeinde Sofia lehnte unseren Antrag auf die Anerkennung der Staatsbürgerschaft des Kindes ab. Dagegen haben wir Berufung eingelegt und das Verwaltungsgericht hat beschlossen, den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verweisen. Unsere Anhörung ist für den 9. Februar 2021 anberaumt“, sagt die Anwältin. Das letztgenannte Gericht analysiert die EU-Gesetzgebung und entscheidet, ob bulgarische Gesetze den EU-Gesetzen widersprechen.

Zitat Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

„Das darauffolgende Urteil gilt als richtungsweisend nicht nur für bulgarische Paare und ihre Kinder, sondern für alle Regenbogenfamilien europaweit. Dieses Problem betrifft nicht nur Bulgarien, sondern alle Ländern, die die Rechte der EU-Bürger missachten", sagt Denitsa.

Am 14. Dezember 2021 hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Urteil über ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Sofia-Stadt gefällt. Laut dem Urteil des EuGH sollte die Abstammung eines Kindes, sobald sie in einem Mitgliedstaat festgestellt wurde, in der gesamten Union anerkannt werden, unabhängig vom Geschlecht der Eltern oder vom nationalen Recht.  Die ACSC muss das Urteil des EuGH umsetzen und die bulgarischen Behörden dazu verpflichten, Ausweispapiere für das Kind auszustellen, damit Sara ihr Recht auf Freizügigkeit in der Europäischen Union als europäische Bürgerin wahrnehmen kann.

Denitsa Lyubenova sagte: "Das Urteil des EuGH steht voll und ganz im Einklang mit den Grundsätzen, auf denen die Europäische Union beruht, und auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach alle europäischen Bürger gleich behandelt werden sollten. Bulgarien ist verpflichtet, das Rechtsverhältnis von Sara zu ihren beiden Müttern anzuerkennen. Bulgarien kann sich nicht auf seine nationale und verfassungsmäßige Identität und öffentliche Ordnung berufen, um von den Grundrechten der EU-Bürger abzuweichen. Laut EuGH ist das Kind Sara das Erbe ihrer bulgarischen und britischen Mutter, und die beiden Mütter haben das Recht, sich gegenseitig zu beerben." 

Ein weiteres spannendes Projekt, an dem Deystvie mitgewirkt hat, war die Schulung von Polizeibeamten im Umgang mit Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Über 200 Ermittlungsbeamte landesweit nahmen an der Schulung teil.

Neue Tage sind im Aufbruch

Zurzeit hat die Organisation mehr Unterstützer denn je. Denitsa meint, sie würden Unterstützung von Unternehmen, Ministerien und Gemeinden und der allgemeinen Öffentlichkeit bekommen; diese kommt nicht mehr nur aus der LGBTI-Community. Insgesamt sind in Bulgarien vier LGBTI-Organisationen tätig, und alle sind in Sofia ansässig. „Ich glaube nicht, dass man im Landesinneren neue NGOs braucht, weil der Aufbau ihrer Struktur und Verwaltung schwierig ist und administrative und finanzielle Kapazitäten erfordert. Vielmehr sollten diese vier Organisationen mehr landesweit aktiv sein, um mit den Menschen dort vor Ort zu arbeiten“, meint Denitsa. Sie sagt, dass Deystvie ein nationales Rechtshilfeprogramm aufbaut, um Anlaufstellen in fünf großen Städten Bulgariens zu organisieren, jede mit einer Person aus der Gemeinde und einem Anwalt. „Wir schulen diese Leute mit Diskriminierungsfällen umzugehen, wie sie betroffene Menschen erreichen und ihnen erklären was Diskriminierung ist. Gleichzeitig sollen sie sie ermutigen ihre Rechte geltend zu machen. Wir haben festgestellt, dass es sich in den meisten Fällen außerhalb von Sofia um Hassverbrechen handelt, aber die Leute erkennen sie nicht als solche", fügt sie hinzu.

Zitat Denitsa Lyubenova
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

*Im Dezember 2021 wurde ein Update zum Fall vor dem Gerichtshof der Europäischen Union hinzugefügt.

 

Lesen Sie hier das Kurzprofil der Female Forward Botschafterin.

Verfolgen Sie weitere Geschichten zum Thema „Weibliche Ermächtigung“ mit #FemaleForwardInternational.