EN

Montenegro
Wechsel an der Adria: Langzeit-Präsident in Montenegro abgewählt

Jakov Milatović

Jakov Milatović

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Risto Bozovic

Die Vorentscheidung fiel bereits am Abend des ersten Wahlgangs am 19. März, als der Großteil der unterlegenen Kandidaten ihre Wählerinnen und Wähler aufriefen, bei der Stichwahl für Milatović zu stimmen, um einen Wechsel zu ermöglichen. Damit wurde der Vorsprung des Amtsinhabers Djukanović (1. Runde: 35 %) gegenüber Milatović (1. Runde: 29 %) wettgemacht. Die Stichwahl am vergangenen Sonntag – mit einer für Montenegro hohen Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent – wurde praktisch zum Referendum über Milo Djukanović, der seit dreißig Jahren die Geschicke der kleinen Balkan-Republik leitete. So gelang es dem „Landesvater“, lediglich 41,1 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinigen, während ihn der Oppositionskandidat Milatović mit 58,9 Prozent mehr als deutlich übertraf.

Dass Milatović, ein 36-jähriger international ausgebildeter Ökonom, zum Sieger über den mächtigsten Politiker Montenegros wird, galt vor sechs Wochen noch als nahezu ausgeschlossen. Die vor einem knappen Jahr gegründete Antikorruptionsbewegung „Europa Jetzt!“ schickte zuerst ihren Vorsitzenden Milojko Spajić ins Präsidentschaftsrennen, der jedoch wegen einer in Montenegro verbotenen doppelten Staatsbürgerschaft als Kandidat abgewiesen wurde. Erst danach stellte sich Milatović, damals noch Bürgermeisterkandidat für die Hauptstadt Podgorica, der Wahl zum Staatsoberhaupt.

Anders Milo Djukanović, der seit der Niederlage seiner Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) bei der Parlamentswahl im August 2020 nur noch Rückzugskämpfe schlug. Dem Langzeit-Präsident blieb keine andere Wahl als nochmals als Präsidentschaftskandidat anzutreten, um eine Spaltung bzw. Auflösung seiner Partei zu verhindern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Djukanović die DPS bei den kommenden Parlamentswahlen am 11. Juni nochmals in den Wahlkampf führen wird.

Milatović weiß zu überzeugen

Die Wahlkampagnen der beiden Kontrahenten wurden an die Zielgruppen der jeweiligen Kandidaten angepasst, wobei Jakov Milatović den größeren Spagat hinlegen musste. Seine Wählerschaft bestand letztlich aus drei völlig unterschiedlichen Gruppen: pro-europäisch ausgerichteten Wählerinnen und Wählern, den nicht wenigen pro-serbischen Kräften im Lande sowie letztlich aus Protestwählern jedes Alters und ethnischen Hintergrunds, die dem als korrupt geltenden „System Djukanović“ ein Ende setzen wollten. Dementsprechend bemühte sich Milatović, die Schnittmenge dieser Gruppe zu vergrößern, was ihm auch gelang.

Die pro-serbischen Parteien billigen inzwischen den europäischen Weg des Landes, während die pro-europäisch eingestellten Bürgerinnen und Bürger Montenegros einen bereits vor Jahren geschlossenen Staatsvertrag mit der Serbisch-Orthodoxen Kirche akzeptiert haben. Darüber hinaus versprach Milatović eine stärkere Bekämpfung der Korruption – wobei hier vor allem die Spitzen des Polizei- und Justizwesens gemeint sein dürften. Ihnen wurde immer wieder Verbindungen zu kriminellen Gruppen vorgeworfen, was in einigen Fällen zu Verhaftungen innerhalb der Judikative führte. Die Überwindung ethnischer Konflikte, ein klar pro-europäischer Weg mit Durchführung aller dazu notwendigen Reformen, eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit sowie wirtschaftspolitische Maßnahmen zum Erhalt des Lebensstandards wurden die Eckpfeiler von Milatovićs Kampagne.

Anders Djukanović, der sich als „bürgerlicher Kandidat“ darstellen wollte, inhaltlich jedoch eine Angstkampagne betrieb: er malte die Gefahr der „Rückkehr ins Mittelalter“ an die Wand, mit einer Einverleibung Montenegros als Teils Großserbiens im Falle seiner Niederlage. Mit diesen rückwärtsgewandten Botschaften konnte er lediglich seine Stammwählerschaft erreichen, hinterließ jedoch bei Wechselwählern den Eindruck, er sei eher auf Spaltung zwischen Serben und Montenegrinern denn auf Einigung aus. Die Taktik, den großen Vorsprung Milatovićs in den wenigen Großstädten des Landes damit auszugleichen, ging jedenfalls nicht auf. Die politische Zukunft Djukanovićs nach dem Ende seiner Amtsperiode Mitte Mai ist ungewiss. Als eine Journalistin am Wahlabend eine Frage zu einer möglichen Kandidatur als Ministerpräsident stellen wollte, wurde sie von Anhängern Djukanovićs niedergebuht.

Alles geklärt? Mitnichten

Tatsächlich ist es nicht vollkommen sicher, ob die von Djukanović ausgerufenen Parlamentswahlen am 11. Juni tatsächlich stattfinden werden. Zum einen muss das Verfassungsgericht noch klären, ob es in der Kompetenz des Präsidenten liegt, das Parlament ohne sein Einverständnis aufzulösen. Sollte das Gericht dies negieren, müssten Parlamentswahlen spätestens im August 2024 stattfinden. Die Ironie dabei ist, dass sowohl Djukanovićs Partei DPS als auch die pro-serbische Demokratische Front (DF) – beide mit vollkommen unterschiedlicher politischen Ausrichtung – einen baldigen Urnengang fürchten.

Die DPS hat Angst, sowohl von der Apathie ihrer eigenen Wählerschaft als auch davor, nun als Verliererpartei ins Rennen zu gehen. Die pro-serbische DF, die zurzeit ein Drittel der Mandate im Parlament besitzt, kann gegenwärtig von einer Wiederholung dieses Ergebnisses nur träumen, da ihr Vorsitzender Andrija Mandić im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen lediglich 19 Prozent der Stimmen auf sich vereinte. Bei der kommenden Parlamentswahl muss die Partei mit herben Verlusten rechnen, da die Bewegung „Europa Jetzt!“ von Milatovićs Erfolg profitieren wird.

Umfragen zeigen, dass fünf von sechs Montenegrinern ihre Zukunft innerhalb der EU sehen. Um die Mitgliedschaft zu erlangen – Milatović sprach am Wahlabend davon, dies binnen fünf Jahren zu erreichen – soll eine ausreichend große und reformwillige Parlamentsmehrheit geschaffen werden. Dies wird ohne Mitwirkung pro-serbischer Parteien kaum möglich sein. Mit seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl hat Milatović eine günstige Ausgangslage geschaffen, um einen tragfähigen Kompromiss mit traditionell pro-serbischen Parteien zu schmieden. Dies war nach der ersten Niederlage von Djukanovićs DPS bei den Parlamentswahlen im August 2020 noch verpasst worden.

Dušan Dinić ist Senior Project Coordinator im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am Standort Belgrad.