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Bosnien und Herzegowina
Langer Weg zur neuen Regierung

Liberale zum ersten Mal dabei
Borjana Krišto

Die  neu ernannte Ministerpräsidentin auf Staatsebene, Borjana Krišto

© picture alliance / AA | Samir Jordamovic

Bosnien und Herzegowina besteht aus zwei Entitäten, der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ – verkürzt ausgedrückt eine Föderation von Bosniaken und Kroaten – sowie der Republika Srpska, die 51 % bzw. 49 % des Staatsgebiets einnehmen. Die beiden Entitäten haben asymmetrische Strukturen: Während die Föderation in zehn Kantone unterteilt ist, die jeweils über eine Regierung und ein Parlament verfügen, ist die Republika Srpska unitär organisiert. Die Dezentralisierung des Gesamtstaats ist also erheblich, was Bosnien und Herzegowina zu einem äußerst komplexen Staatsgefüge macht. Im Oktober 2022 fanden Wahlen für das dreiköpfige Präsidium auf gesamtstaatlicher Ebene statt, bei denen ein Bosniake und ein Kroate aus dem Gebiet der Föderation sowie ein Serbe aus der Republika Srpska gewählt wurden. Diese Bestimmungen werden als diskriminierend und als Verstoß gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte angesehen, da die Wahlvoraussetzungen nicht für alle Bürgerinnen und Bürger gleich sind. Bislang haben sich alle Gespräche zur Beseitigung der diskriminierenden Bestimmungen jedoch als erfolglos erwiesen.

Seit der Unterzeichnung des „Allgemeinen Rahmenabkommens für den Frieden“, besser bekannt als „Dayton-Abkommen“ (benannt nach der Stadt, in der es ausgehandelt wurde), im Jahr 1995 sind die Wahlergebnisse fast ausschließlich zugunsten ethnischer und nationalistischer Parteien ausgefallen. Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Erstens gibt es nach wie vor viele inter-ethnische Konflikte, die von ebendiesen Parteien angeheizt und aufrechterhalten werden. Zweitens haben diese Parteien seit mehr als zwei Jahrzehnten die ausschließliche Kontrolle über umfangreiche öffentliche Mittel und Institutionen ausgeübt und diese missbraucht, um ihre Machtstellung zu festigen.

Opposition hat schweren Stand

Aufgrund dieser Rahmenbedingungen hat die gemäßigte Opposition naturgemäß einen schweren Stand. Doch dieses Mal wurde die „Dreierkoalition“, die bereits im Kanton Sarajevo mit dem Präsidenten von „Naša stranka“ Edin Forto als Premierminister regiert, für das Präsidentschaftsrennen auf acht Parteien erweitert. Der Oppositionskandidat Denis Bećirović von der Sozialdemokratischen Partei gewann die Wahl und sicherte sich den Posten eines Mitglieds der dreiköpfigen Präsidentschaft gegen Bakir Izetbegović, Vorsitzender der größten bosniakischen Partei SDA (Mitglied der EVP) und Sohn des Kriegspräsidenten Alija Izetbegović. Obwohl die SDA von Izetbegović stärkste Partei blieb, wurde sie von der vereinigten Front der Oppositionsparteien überflügelt, die auf dem Gebiet der Föderation sodann Gespräche mit kroatischen Parteien unter der Führung der HDZ (Kroatische Demokratische Union) aufnahm. Auf gesamtstaatlicher Ebene nahm das Oppositionsbündnis Verhandlungen mit der HDZ und dem Wahlsieger in der Republika Srpska, der nationalistischen SNSD des berüchtigten Milorad Dodik, auf. Die Gespräche zur Regierungsbildung auf gesamtstaatlicher Ebene dürften noch in diesem Monat abgeschlossen werden, was eine erhebliche Verbesserung gegenüber früheren Wahlen darstellt, bei denen es mitunter mehr als ein Jahr bis zur Regierungsbildung dauerte.

Angesichts der Perspektive, zum ersten Mal auf allen Ebenen – mit Ausnahme einiger Kantone – die Macht zu verlieren, griff die SDA auf übliche, aber radikalere Verleumdungskampagnen zurück, die die Opposition als Verräter und Beschwichtiger kroatischer und serbischer Nationalisten darstellte, die das Land zerstören und zerschlagen wollten. Die SDA scheute selbst nicht davor zurück, Forto und andere Oppositionsführer mit Fikret Abdić, einem abtrünnigen bosniakischen Kriegsführer und Kriegsverbrecher, in Verbindung zu bringen. Es dauerte nicht lange, bis ernsthafte Drohungen gegen Edin Forto und andere ausgesprochen wurden. Als Reaktion auf eine solche Drohung nahm die Polizei einen Verdächtigen fest und beschlagnahmte eine automatische Waffe und Munition. Bislang ist die vereinigte Opposition trotz einiger Abtrünniger weiterhin in der Lage, eine Regierung auf Staats- und Föderalebene zu bilden.

Regierungsbildungsgespräche als große Herausforderung

Die nun neu ernannte Ministerpräsidentin auf Staatsebene ist Borjana Krišto von der HDZ, die zuvor bereits Präsidentin der Föderation Bosnien und Herzegowina war. Die Namen ihrer Minister wurden vor wenigen Tagen bekannt, kurz bevor die Frist für die Einreichung der Namen ablief. Der Präsident von „Naša stranka“ Edin Forto wird neuer Minister für Verkehr und Kommunikation und soll sich um den ins Stocken geratenen Digitalisierungsprozess sowie den schleppenden und oft belächelten Bau der Nord-Süd-Autobahn „Korridor Vc“ kümmern. Die Regierungsbildungsgespräche und -prozesse auf der Ebene der Föderation erweisen sich als größere Herausforderung. Hier verfügt die SDA über eine Mehrheit der bosniakischen Vertreter und Vertreterinnen und wird diesen Einfluss höchstwahrscheinlich nutzen, um den Regierungsbildungsprozess zu verzögern. Leider ist dies keine neue Entwicklung, denn die derzeitige Regierung auf Föderationsebene ist bereits seit vier Jahren lediglich geschäftsführend im Amt. Beim letzten Mal war es die HDZ, die eine Regierungsbildung in der Föderation kontinuierlich blockierte. Christian Schmidt, der „Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen“ für Bosnien und Herzegowina, dessen Mandat die weitreichenden „Bonner Befugnisse“ umfasst und dessen jüngste Handlungen viele Kontroversen auslösten, erzwang im Juli bzw. Oktober 2022 Änderungen am Wahlgesetz und der Verfassung der Föderation von Bosnien und Herzegowina. Letztere zielten darauf ab, die Blockade der Regierungsbildung in der Föderation zu verhindern. Diese werden derzeit vom Verfassungsgericht gerichtlich überprüft.

Wie funktionsfähig und stabil die neuen Regierungen sein werden und inwieweit die liberale „Naša stranka“ in der Lage sein wird, die historisch negative politische Dynamik auf Staatsebene und der Föderation zu verändern, sind Fragen, die sich jeder Bürger und jede Bürgerin gegenwärtig stellt. Dieselben Zweifel wurden allerdings auch geäußert, als eine Regierungskoalition unter Beteiligung von „Naša stranka“ nach den Wahlen 2018 im Kanton Sarajevo entstand. Ihre gute Regierungsbilanz brachte der liberalen Partei viele Sympathien und den Status einer unerschütterlichen, sozial fortschrittlichen Partei ein. Zweifellos wird die Arbeit mit Proto-Nationalisten, die eine Vorliebe dafür haben, eher Konflikte zu produzieren als zu lösen, eine Herausforderung sein, aber „Naša stranka“ hat bereits bewiesen, dass sie in der Lage ist, die politische Kultur in Bosnien und Herzegowina zu verändern.

Dr. Adnan Huskić ist Projektmanager für Bosnien und Herzegowina bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Sarajevo.