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Nordkorea
Per Überschallrakete an den Verhandlungstisch?

Nordkorea feierte das 75. Parteijubiläum mit einer nächtlicher Militärparade
Nordkorea feierte das 75. Parteijubiläum mit einer nächtlicher Militärparade © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Mehrere Tests von Angriffs- und Abwehrtechnologie, aufwändige Militärparaden, die Wiederinbetriebnahme eines Atomreaktors zur Urananreicherung: Nordkorea stellt eindeutig klar, dass es an seinem Rüstungsprogramm festhalten wird und als Atommacht angesehen werden will.

Der Zeitpunkt war gut kalkuliert: Am 11. September testete Nordkorea eine Langstreckenrakete, die Atomsprengköpfe transportieren kann. Vier Tage später ließ das Regime von einem Zug aus eine ballistische Kurzstreckenrakete abfeuern. Einiges Erstaunen löste dann noch Ende des Monats die Test-Rakete aus, die in bis zu fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegt und durch Radar extrem schwer zu erfassen ist. Diese Rakete ist zwar keine Neuerfindung, aber selbst Experten hatten nicht erwartet, dass neben den Großmächten auch die kleine Demokratische Volksrepublik Korea ein solches Waffensystem besitzt. Wenige Tage später teilte auch das russische Verteidigungsministerium mit, dass man eine solche Hyperschall-Rakete getestet habe. Da hatten die Nordkoreaner den Russen aber bereits die Schau gestohlen.     

Zeigen, was man hat, damit keine Zweifel aufkommen

An Entspannung auf der Koreanischen Halbinsel ist also weiterhin kaum zu denken. Nach den Entspannungsmonaten und der Ernüchterung des gescheiterten USA-DVRK-Gipfeltreffens in Hanoi im Frühjahr 2019 ging das Regime bald wieder zu Tests über. Ob die militärische Forschung und Entwicklung jemals unterbrochen worden war, ist mehr als zweifelhaft. Jedenfalls setzte Pjöngjang mit den Militärparaden im Oktober 2020 und im Januar 2021 deutliche Zeichen und überraschte mit der Vorführung neuer und modernisierter Waffen und Ausrüstungsgegenstände selbst Experten. Solche Militärparaden beginnen um Mitternacht und werden mit großem Aufwand und viel Gespür für Wirkung inszeniert. Die Staatsmedien übertragen sie nicht live, sondern präsentieren die Schau erst nach Fertigstellung des Feinschnitts der Öffentlichkeit.

Solcherlei Inszenierungen sollen sowohl nach innen als auch nach außen wirken. Der Führung in Pjöngjang ist klar, dass der nordkoreanischen Bevölkerung große Entbehrungen zugemutet werden, denn die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Konsumgütern ist mangelhaft. Die komplette Schließung der Grenzen, um sich vor Corona zu schützen, hat diese Unterversorgung noch einmal massiv verschärft. Daher ist es ihr wichtig, bei den Menschen das Gefühl der Bedrohung von außen wachzuhalten und die Gewissheit zu stärken, dass die Volksrepublik gut dagegen gerüstet ist. Nach Außen setzt man durch diese zweieinhalbstündigen Paraden ein Zeichen der Unumkehrbarkeit des bestehenden Status Quo und zeichnet das Bild einer Militärmacht auf höchstem Niveau.

Feindliche Haltung des Auslandes und zweierlei Maß?

Jeder Test, ob Sanktionsverletzung oder nicht, setzt Zeichen. Manches wird interessengeleitet unterschiedlich interpretiert und bei den Tests im September fällt die Bilanz gemischt aus. Sanktionsverletzungen haben stattgefunden. Das stört die Führung in Pjöngjang aber nicht, da sie weiß, dass vom Ausland momentan ohnehin nichts zu erwarten ist. Zu verfahren ist die Situation, als dass sie davon ausgehen könnte, für neutrales oder gar Wohlverhalten eine Gegenleistung zu erhalten.

Das Testen und der Besitz ballistischer Raketen beispielsweise ist verboten, worüber sich Pjöngjang regelmäßig hinwegsetzt und dies auch sehr selbstbewusst der Weltöffentlichkeit mitteilt. Nur eine Stunde nach einem der Tests im September sagte der UN-Botschafter Nordkoreas der 76. UN-Generalversammlung in New York, dass seinem Land „niemand das Recht zur Selbstverteidigung absprechen kann.“

Meist ohne weitere Spezifizierung wurden den USA und Südkorea immer wieder eine „feindliche Haltung“ vorgeworfen, außerdem das Messen mit zweierlei Maß. Geradezu reflexartig und stets verlässlich ausgelöst werden die Vorwürfe bei jeder Form der militärischen Zusammenarbeit der beiden Verbündeten, beispielsweise bei gemeinsamen Militärmanövern. Besonders in Wallung versetzt Pjöngjang, dass auch Südkorea damit begonnen hat, seine Raketen zu modernisieren.

Im September konnte man anschaulich studieren, wie unterschiedlich die Aufmerksamkeit und öffentliche Würdigung bei den Raketentests auf der Koreanischen Halbinsel verteilt ist: Zwei Kurzstreckenraketentests der Nordkoreaner schafften es prominent in die Weltnachrichten; der Abschuss einer südkoreanischen Testrakete nur wenige Stunden später von einem U-Boot aus war kaum eine Schlagzeile wert. Auch eine Boden-Luft-Rakete und weitere Waffensysteme hat Südkorea in letzter Zeit getestet. Größere Empörung löste das nicht aus, da Südkorea ja auch keinen Sanktionen unterliegt.

Die Regierung in Seoul scheint mit ihren Entwicklungs- und Testaktivitäten zum Ausdruck bringen zu wollen, dass es zumindest hier eine Gemeinsamkeit mit dem Norden gibt: In der Rüstungstechnologie vertraut man auch auf die eigene Kraft. Offensichtlich ist die Zeit des Wettrüstens wieder da.

Wiederaufnahme eines Dialogs mit den USA?

Dass Waffentests auch jetzt diplomatische Aktivitäten flankieren (oder umgekehrt), ist offenbar: Nicht nur der nordkoreanische Test parallel zur UN-Generalversammlung, sondern auch das Treffen des US-Sonderbeauftragen für Nordkorea, Sung Kim, mit seinen japanischen und südkoreanischen Amtskollegen sowie das Treffen des südkoreanischen mit dem chinesischen Außenminister am Tag der Raketentests sind keineswegs zufällig.

Bereits im Februar 2021, nur wenige Wochen nach der Amtseinführung der Biden-Regierung, hatten die USA die Fühler ausgestreckt, ob eine Wiederaufnahme der seit 2019 unterbrochenen Gespräche mit Nordkorea möglich sein könnte. Eine Reaktion aus Pjöngjang blieb aus. Trotzdem bieten die USA weiterhin eine Wiederaufnahme von Gesprächen ohne Vorbedingungen an, was Machthaber Kim Jong Un allerdings erst jüngst wieder als „faulen Trick“ bezeichnete, um die eigentliche „feindliche Politik“ zu kaschieren. Tatsächlich scheint sich die DVRK nun in eine Position bringen zu wollen, aus der heraus sie selbst Vorbedingungen stellen kann.

Der Weg dorthin ist kompliziert: In der Tauwetterperiode in Donald Trumps Regierungszeit gab es zwar einige zuversichtliche Phasen, doch darf man dabei nicht vergessen, dass sich die Vertreter beider Seiten schon damals de facto nicht einmal über das Ziel von Verhandlungen hatten verständigen können. Die USA glaubten, als Fernziel eine vollkommene Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel definieren zu können, doch weiß man heute, dass die DVRK nicht einen einzigen Gedanken auf die Abschaffung eigener Atomwaffen verschwendet hat. An beiden Standpunkten hat sich nichts geändert. Es ist schon eine große Herausforderung, alleine einen Grund für neue Gespräche zu definieren. Von einem Ziel ganz zu schweigen.

 

Dr. Christian Taaks ist Projektleiter Korea der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er lebt seit 2018 in Seoul.