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Myanmar
„Wir leben, um diese Krise zu überleben“

Rauch steigt aus dem Material auf, das von Demonstranten während eines Protestes gegen den Militärputsch in Mayanmar angezündet wurde, um eine Straße zu blockieren

Rauch steigt aus dem Material auf, das von Demonstranten während eines Protestes gegen den Militärputsch in Myanmar angezündet wurde, um eine Straße zu blockieren

© picture alliance / AA | Stringer

Am 01. Februar 2021 rollten Panzer die breiten Straßen von Naypyidaw, der myanmarischen Hauptstadt, entlang. Kurz darauf nahmen Militärs die Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung Sang Suu Kyi fest. Seit dem Putsch vor drei Jahren hat sich das Leben der Menschen in dem südostasiatischen Land drastisch verändert. Proteste gegen das Militär wurden zunächst brutal niedergeschlagen . Die Wirtschaft sackte zusammen. Gleichzeitig formierte sich breiter Widerstand gegen die Gewaltherrschaft in dem multi-ethnischen Land. Vergangenen Oktober startete das Bündnis „Three Brotherhood Alliance“, das aus Kämpfern verschiedener ethnischer Gruppen besteht, die „Operation 1027“. Innerhalb weniger Tage nahmen die Rebellen wichtige Stützpunkte des Militärs sowie Handelsrouten ein. Das Militär antwortete vor allem mit Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Besonders heftige Gefechte erschütterten auch den nördlichen Shan-Staat an der Grenze zu China. Von dort stammt Ying Ying (Name geändert). Sie setzt sich seit mehr als zehn Jahren mit geschlechtsspezifischer Gewalt in den Staaten Shan und Kachin auseinander und unterstützt das Women-Empowerment-Programm der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Myanmar.

freiheit.org: Wie hat sich das Leben im nördlichen Shan-Staat in den drei Jahren seit dem Putsch verändert?
Ying Ying: Vor dem Putsch war es relativ einfach für uns, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, weil es noch Infrastruktur gab. Jetzt gibt es viele Sicherheitskontrollpunkte an den Straßen. Die Telefonleitungen wurden gekappt, Straßen und Brücken zerstört. Die Menschen sind Luftangriffen und Schüssen auf ihre Häuser ausgesetzt. In dem Dorf Kutkai etwa fiel eine Bombe in ein Schlafzimmer eines Ehepaares, das dort im Bett schlief. Bei der Explosion verloren beide ihre Beine. Viele Menschen sind in Binnenflüchtlingslager umgezogen, aber auch dort gibt es Luftangriffe und Explosionen durch schwere Artillerie.

Hat sich seit der „Operation 1027“ die Lage noch einmal zugespitzt?
Die Gefechte werden immer intensiver, weil mehrere Gruppen um die territoriale Kontrolle kämpfen. Gleichzeitig sind die Preise für das Nötigste in die Höhe geschnellt. Früher kostete ein Ei 150 MMK (etwa 7 Cent), jetzt sind es 1000-2000 MMK (etwa 90 Cent). Eine Tomate kostet fast das Dreifache. Diejenigen, die Geld haben, ziehen in die Städte Yangon oder Mandalay, wo es weniger Kämpfe gibt. Diejenigen, die kein Geld haben, verstecken sich im Dschungel. Von Muse aus kann man nach China fliehen, wenn die Grenze geöffnet wird. Aber für die einmonatige Aufenthaltsgenehmigung in China muss man bezahlen. Wie soll man das aufbringen, wenn man keine Arbeit hat? Auch in Kutkai müssen die armen Leute in nahe gelegene Höhlen ziehen oder in selbst gebauten Bunkern leben. Meine Verwandten haben in ihrem Hinterhof einen geheimen unterirdischen Bunker gebaut.

nti-Putsch-Demonstranten schalten das LED-Licht ihrer Handys während einer nächtlichen Kundgebung in Yangon, Myanmar, ein

Anti-Putsch-Demonstranten schalten das LED-Licht ihrer Handys während einer nächtlichen Kundgebung in Yangon, Myanmar, ein

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Sie selbst leben inzwischen nicht mehr in Ihrem Haus in Muse. Warum?
Soldaten der Militärregierung sind um Dezember in mein Haus eingedrungen und haben sich dort verschanzt. In meiner Nachbarschaft wurden viele Häuser von der Armee und ihren Soldaten gestürmt. Sie haben ihren eigenen Generator für Strom mitgebracht und wohnen in unseren Häusern. Wenn ein Gebäude verschlossen ist, brechen die Soldaten das Schloss auf und bleiben im Haus oder räumen es leer. Das war allerdings auch schon vor der aktuellen Krise üblich.

Wie geht es Frauen und älteren Menschen in den Konfliktgebieten?
Für ältere Frauen und Säuglinge ist das Leben besonders schwierig. Manche Frauen müssen in selbstgebauten Bunkern entbinden.  Ich treffe mich regelmäßig mit Frauen, die innerhalb des Landes auf der Flucht sind. Viele haben sich im Dschungel versteckt und leben dort in Höhlen. Sie sagten mir, dass sie Kleidung, Reis und Öl brauchen. Reis wird in diesen Konfliktgebieten am Dringendsten benötigt. Auch medizinische Nothilfe ist unerlässlich, denn in letzter Zeit wurden viele Menschen von schwerer Artillerie getroffen.

Können zivilgesellschaftliche Organisationen dort humanitäre Hilfe leisten?
In Kutkai gab es nur ein Krankenhaus. Die Ärzte sind in den Dschungel geflohen, als die Konflikte begannen. Inzwischen ist das Krankenhaus zerstört. In Lashio gibt es UN-Büros, doch es heißt, dass auch diese bald geschlossen werden.

Wie kann man trotz alledem noch hoffnungsvoll bleiben?
Vor allem die vertriebenen Frauen halten an ihrem Glauben und ihren Gebeten fest, um zu überleben und durchzuhalten. Wir müssen bis zum Ende kämpfen, um einen Sieg zu erringen. Wir leben, um diese Krise zu überleben.

Was möchten Sie der internationalen Gemeinschaft mitteilen?
Die internationale Gemeinschaft muss die Wahrheit über die rechtswidrige Tötung von Unschuldigen, einschließlich älterer Menschen und schwangerer Frauen, erfahren. Ich wünsche mir, dass die internationale Gemeinschaft ihre Stimme dagegen erhebt und die dringend benötigte humanitäre Hilfe für die vom Konflikt betroffenen Gebiete leistet.

Ayemyat Mon ist Kommunikationsreferentin im Yangon-Büro der FNF. Vanessa Steinmetz leitet die FNF-Büros in Thailand und Myanmar von Bangkok aus.