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LGBTQ+
Zwischen Repression und Hoffnung: Queer sein in Polen

Teilnehmer marschieren während der LGBT-Gleichstellungsparade in Warschau

Teilnehmer marschieren während der LGBT-Gleichstellungsparade in Warschau

© picture alliance / Matrix Images | Tatyana Zenkovich

Die LGBTQ+-Gemeinschaft in Polen ist in Bezug auf ihre Rechte und Akzeptanz in der Gesellschaft zahlreichen Herausforderungen ausgesetzt. Die Geschichte Polens ist sowohl von Zeiten relativer Toleranz als auch von intensiver Verfolgung geprägt. Die aktuelle politische Situation ist hoch polarisiert. Das Land war und ist noch immer stark vom Einfluss der Kirche und den sehr konservativen Ansichten des dort praktizierten Katholizismus geprägt. Langsam aber sicher gewinnen allerdings auch andere, liberale gesellschaftliche Akteure an Relevanz.  

Eine Wechselhafte Geschichte

Im frühen 20. Jahrhundert war die Situation für LGBTQ+-Personen in Polen gut, zumindest im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dieser Zeit. Im Allgemeinen war Polen ein Land, in dem verfolgte Gruppen wie Protestanten, Juden und die queere Community ein vergleichsweise unbehelligtes Leben führen konnten.

Die frühe Entkriminalisierung der Homosexualität im Jahr 1932 in Polen war außergewöhnlich, allerdings nur von kurzer Dauer. Nach dem Einmarsch des Deutschen Reichs im Jahr 1939 änderte sich die Situation für LGBTQ+ Personen dramatisch. Sie waren von da an brutalen Repressalien, Verhaftungen und Inhaftierungen ausgesetzt. Viele wurden in Konzentrationslager geschickt, wo sie extremer Grausamkeit, Folter und unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich das kommunistische Regime unter starkem Einfluss der Sowjetunion in Polen etablierte, gab es kein großes Aufatmen für die LGBTQ+-Gemeinschaft. Die sowjetische Regierung betrachtete Homosexualität als bourgeoisen und dekadenten westlichen Lebensstil. Verhaftungen, Inhaftierungen und psychiatrische Zwangsbehandlungen zur "Korrektur" der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität waren Teil der Realität. Auf der anderen Seite etablierten sich Untergrundklubs, Schwulenbars und ab 1986 sogar eine Schwulenzeitung in der Stadt Łódź.

Erst nach dem Fall des Kommunismus im Jahr 1989 gewann die Debatte über die Rechte der LGBTQ+ Gemeinschaft wirklich an Schwung. Im Jahr 2001 fand in Warschau die erste „Pride“-Parade statt. Seitdem werden im ganzen Land regelmäßig solche Veranstaltungen abgehalten. Diese Art der Demonstrationen rufen jedoch auch immer wieder starken Widerstand von konservativen und nationalistischen Gruppen hervor. Dazu gehören auch Gegenproteste zu „Pride“-Märschen, bei denen diskriminierende Parolen skandiert werden und die immer die Gefahr bergen, in einer gewaltvollen Eskalation zu enden.

Die Rückkehr der Konservativen?

Die stark konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die 2015 an die Macht kam, verfolgt eine Politik, die die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz untergräbt. Dieser Prozess, ein klassisches Beispiel für das Phänomen des „democratic backsliding“ („demokratische Rückentwicklung“), schwächt die demokratischen Institutionen und damit auch den rechtlichen Schutz von LGBTQ+ Menschen.

Die Einschränkung der Rechte von LGBTQ+ Menschen in Polen ist sogar ein eigener, zentraler Programmpunkt der PiS-Partei.

LGBTQ+-Themen passen nicht in das konservative Weltbild der Regierungspartei. Deren Anhänger glauben an traditionelle Familienwerte und sind eng mit der katholischen Kirche in Polen verbunden. Die Rhetorik verschärft sich immer mehr und die staatlichen Medien, die von der Regierungspartei kontrolliert werden, heizen diese Stimmung weiter an. Der Schutz der Kinder wird als Rechtfertigung für ihr Vorgehen gegen die LGBTQ+-Gemeinschaft herangezogen. Auch die hohe Relevanz der Kirche in dem stark katholisch geprägten Land spielt bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle. Viele Priester und Bischöfe unterstützen das Anti-LGBTQ+-Narrativ und verurteilen progressive Bewegungen, die LGBTQ+-Rechte stärken wollen.

Eine der wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre war die Einführung "LGBT-freier Zonen". In diesen Zonen sind „Pride“-Events und andere Veranstaltungen im Zusammenhang mit LGBTQ+-Themen verboten. Mehrere Regionen und Gemeinden haben Gesetze verabschiedet, in denen sie sich für frei von jedweder "LGBT-Ideologie" erklären und „traditionelle Werte“ fördern wollen. Diese Erklärungen entbehren jeglicher Rechtsgrundlage und stigmatisieren und diskriminieren die LGBTQ+-Gemeinschaft. Das Europäische Parlament hat bereits eine Resolution verabschiedet, in der es diese "LGBT-freien Zonen" verurteilt, weil sie gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen. Die EU hat außerdem die Finanzierung von Gemeinden, in denen solche Gesetze gelten, aus ihren Struktur- und Kohäsionsfonds eingestellt. Dies hat zwar dazu geführt, dass einige Zonen aufgelöst wurden; wie viel Veränderung jedoch in den Köpfen der Menschen bereits stattgefunden hat, bleibt unklar.

Im Jahr 2019 wurde die Stadt Białystok im Nordosten Polens zu einem Brennpunkt für die alarmierende Gewalt gegen die LGBTQ+-Gemeinschaft. Während der allerersten Pride in Białystok sahen sich die Teilnehmer heftigen Anfeindungen und körperlichen Angriffen von Rechtsextremisten und Hooligans ausgesetzt. Diese gewaltvollen Vorfälle schockierten sowohl die polnische Gesellschaft als auch die internationale Gemeinschaft und machten auf die zunehmende Polarisierung und Intoleranz aufmerksam, mit der die LGBTQ+-Gemeinschaft im Land konfrontiert ist.

Im Jahr 2020 war der Präsidentschaftswahlkampf stark von einer Anti-LGBTQ+-Rhetorik geprägt und polarisierte die Gesellschaft weiter. Der amtierende Präsident Andrzej Duda machte hetzerische Äußerungen, in denen er das ganze Thema als „fremde“ Ideologie darstellte, die die polnischen Werte und die polnische Gemeinschaft bedrohe. Diese Äußerungen schürten Diskriminierung und Homophobie und trugen zu einem zunehmend feindlichen Umfeld für die LGBTQ+-Gemeinschaft bei.

2019 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das seither den Sexualkundeunterricht sowie Diskussionen über LGBTQ+-Themen in Schulen verbietet. Lehrkräfte, die diese Themen dennoch diskutieren, können entlassen werden. Außerschulische Aktivitäten, die von nichtstaatlichen Gruppen durchgeführt werden, müssen vom Ministerium genehmigt werden. Auch hier kann davon ausgegangen werden, dass die Aktivitäten mit Blick auf eine mögliche LGBTQ-Verbindung geprüft werden. Im Jahr 2023 wurde eine Liste mit sogenannten „LGBT-freundlichen Schulen“ veröffentlicht. In einer  Erklärung des Kinderrechtsbeauftragten brachte dieser, Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung und kündigte Inspektionen der genannten Schulen an. In der aktuellen PiS-Kampagne für die kommenden Wahlen im Herbst 2023 spielen traditionelle Familienwerte wieder eine wichtige Rolle. So stellt die Kampagne beispielsweise die Homo-Ehe und die Adoption durch homosexuelle Paare als eine Gefahr für die Gesellschaft dar.

Hoffnung für die Zukunft

Trotz all dieser Herausforderungen gibt es eine starke und widerstandsfähige LGBTQ+-Bewegung in Polen. LGBTQ+-Aktivisten, Organisationen und Verbündete setzen sich weiterhin für Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und Akzeptanz ein. Sie organisieren Pride-Veranstaltungen, engagieren sich in öffentlichen Aufklärungskampagnen und bieten Unterstützung und Ressourcen für LGBTQ+-Personen. In der jüngsten Umfrage aus diesem Jahr befürworten 54 % der polnischen Gesellschaft die Ehe für alle. Diese Zahl steigt stetig an; im Jahr 2020 lag sie noch bei 46 %. An der diesjährigen Warschauer „Pride“ nahmen rund 80.000 Menschen teil. Auch in diesem Jahr war Rafał Trzaskowski, Bürgermeister der Stadt und Mitglied der Partei Bürgerplattform, der auch die liberale Partei Nowoczesna angehört, Schirmherr der Veranstaltung. Trotz der polarisierten polnischen Gesellschaft und der stark konservativen Regierung ist die Warschauer „Pride“ die größte in Mitteleuropa.

Die bevorstehenden Parlamentswahlen im Herbst 2023 werden einen entscheidenden Einfluss auf die künftige Situation der LGBTQ+-Community im Land haben. Eine vereinte Opposition gegen die PiS-Partei könnte zu bedeutenden politischen Veränderungen führen. Die größte Oppositionspartei Bürgerplattform hat sich in dieser Frage ebenfalls weiterentwickelt. Sie hat in den letzten Jahren eine Verschiebung von rechts in die Mitte des politischen Spektrums vollzogen und wird von den Experten mittlerweile als liberal-konservativ bezeichnet. Der Parteivorsitzende, der frühere Ministerpräsident und Europäischer Ratspräsident Donald Tusk, bezeichnet sich selbst als christlich, hat aber insbesondere in den letzten Jahren damit begonnen, sich öffentlich für LGBTQ+-Rechte einzusetzen, wie etwa für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Die liberale Nowoczesna-Partei hat in diesen Fragen den größten positiven Einfluss auf die Oppositionskoalition gehabt.