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Wahlausgang in Polen völlig ungewiss – neuen Liberalen könnte Einzug in Sejm gelingen

[caption id="attachment_8597" align="alignleft" width="640"] flickr.com/photos/kancelariapremiera[/caption] Wenn am kommenden Sonntag in Polen der Sejm (2. Kammer des polnischen Parlaments) gewählt wird, kann sich in Polen alles ändern, denn: Wie die Wahlen ausgehen ist zum ersten Mal seit Monaten völlig unklar. Kann die liberalkonservative Premierministerin Ewa Kopacz weiterregieren oder wird es durch einen Sieg der Nationalkonservativen (PiS) zu einem Rechtsruck kommen? In allen aktuellen Umfragen liegt die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski vorn, doch in der Vergangenheit wichen die Umfrageergebnisse immer deutlich vom tatsächlichen Wahlergebnis ab. Und Totgesagte leben bekanntlich länger: die liberalkonservative Ewa Kopacz (Bürgerplattform PO), die wesentlich beliebter ist als die PiS-Spitzenkandidatin Beata Szydlo, könnte als Überraschungssiegerin hervor gehen. Bereits bei der Präsidentenwahl im Mai lagen die Demoskopen vollkommen daneben, als sie den Amtsinhaber Komorowski favorisierten. Ewa Kopacz folgte Ende 2014 als PO-Parteichefin und Premierministerin Donald Tusk nach dessen Wahl zum EU-Ratspräsidenten. Ihre Bereitschaft zu Kompromissen im Regierungsalltag wurde ihr zunächst als Schwäche ausgelegt, hat sich aber in den letzten Monaten eher als Stärke erwiesen. PiS-Chef Kaczynski hatte als Schachzug Szydlo ins Rennen geschickt hat, weil vor allem die mittlere Generation mit der Regierung Kaczynski (2005-2007) viele negative Erinnerungen verbindet. Die PO bildet seit November 2007 in Koalition mit der gemäßigt konservativen Bauernpartei (PSL) die Regierung in Warschau. Allerdings kämpfte das Bündnis in seiner seit 2011 laufenden zweiten Amtszeit zunehmend mit Schwierigkeiten, insbesondere aufgrund von Flügelkämpfen innerhalb der PO und einem Abhörskandal Mitte 2014. So gewann die oppositionelle PiS Oberwasser und ihr Kandidat Andrzej Duda konnte sich bei den Präsidentenwahlen im Mai 2015 überraschend gegen Amtsinhaber Komorowski durchsetzen. Damit war klar, dass Premierministerin Kopacz ums politische Überleben kämpfen muss. Um die fallende Popularität der PO zu stoppen, hat sie drei besonders stark attackierte Regierungsmitglieder entlassen und auch der Präsident des Sejm, der frühere langjährige Außenminister Radislaw Sikorski, musste gehen. Ob sie mit den erzwungenen Rücktritten die Erfolgschancen ihrer Bürgerplattform bei der Parlamentswahl erhöht hat, zeigt sich am Montag. Ihre proeuropäische Regierung befindet sich seit der Präsidentenwahl in einem Dauerkonflikt mit dem neuen, euroskeptischen Staatschef Duda. Duda schaltete sich selbst aktiv in den Wahlkampf ein, attackierte die Premierministerin und PO-Chefin Kopacz und verteidigte PiS-Chef Kaczynski. Für Aufsehen hatte u. a. Kaczynskis Äußerung gesorgt, Flüchtlinge würden „Bakterien und Parasiten ins Land einschleppen“. Beherrschendes Wahlkampfthema war, neben der Flüchtlingskrise und den von der EU-Kommission vorgesehenen Verteilungsquoten, die Einrichtung von permanenten NATO-Stützpunkten als Konsequenz aus der Ukraine-Krise und der russischen Expansionspolitik. Diese werden bekanntlich vor allem von Deutschland abgelehnt, daher dürfte das deutsch-polnische Verhältnis  auf der Agenda der neuen Regierung ganz oben stehen. Das polnische Parlament, der Sejm Rzeczypospolitej PolskiejKpalion/Wikimedia Die Regierungsbildung dürfte im Falle des Wahlsiegs von PiS auch äußerst   schwierig werden, weil keine andere große Partei mit ihr koalieren will. Zuletzt gab der Vorsitzende des Bundes der demokratischen Linken (SLD) Leszek Miller der PiS einen Korb. Das im Juli von Vertretern des SLD, der Grünen und der libertären „Deine Bewegung“ (TR) von Janusz Palikot gebildete Wahlbündnis „Vereinigte Linke“ könnte den letzten Umfragen zufolge auf bis zu elf Prozent der Wählerstimmen kommen. Ein neues liberales Bündnis könnte es auf Anhieb ins Parlament schaffen. An der Spitze der erst Ende Mai dieses Jahres von Ökonomen, Unternehmern und bürgerlichen Aktivisten gegründeten Partei „Modernes Polen“ (NowoczesnaPL) steht Ryszard Petru. Er war von 1997 bis 2000 Berater des erfolgreichen Wirtschaftsreformers Leszek Balcerowicz war. Zu den Gründern gehören außerdem mehrere  Akteure der im liberalen Netzwerk 4Liberty aktiven Think Tanks Civic Development Forum FOR und  Fundacija Industrial/Liberté, beide langjährige Partner der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Die neue liberale Partei “Modernes Polen“ hat zur Überraschung vieler schnell an Bedeutung gewonnen und punktet vor allem bei den enttäuschten bürgerlichen Wählern und bisherigen Nicht-Wählern mit neuen, politisch unbelasteten Gesichtern. Mit ihrem marktliberalen Programm (z.B. Einführung einer FlatTax) mit einer sozialen, familienfreundlichen Komponente fischt sie im Teich der enttäuschten Tusk-Anhänger. Parteichef Petru hat in der letzten TV-Debatte der acht Spitzenkandidaten zu den inhaltlich kompetentesten Rednern gehört. Sollten entsprechend den letzten Umfragen tatsächlich bis zu sechs Parteien in den Sejm einziehen, stehen Polen stürmische Zeiten bevor. Und das in einer Zeit, wo nicht nur die Polen, sondern auch Europa mehr denn je eine starke Regierung in Warschau brauchen. Dr. Borek Severa Repräsentant der Friedrich-Naumann-Stiftung für Mitteleuropa und die Baltischen Staaten Verschaffen Sie sich hier einen Überblick über die wichtigsten Ereignisse des Wahlkampfs, sowie Prognosen und mögliche Koalitionen: