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Verfassungskrise in Polen spitzt sich zu

[caption id="attachment_9752" align="alignnone" width="640"] Source: flickr.com/gregor_zukowski[/caption] Die nationalkonservative Regierung in Warschau schreckt vor nichts zurück. Nach der Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien ist jetzt das Verfassungsgericht an der Reihe. Doch die unmittelbar betroffenen Richter haben den von der PiS-Mehrheit im Parlament gleich nach den Wahlen im Oktober 2015 verabschiedeten Umbau und die damit verbundene Lähmung des Verfassungstribunals für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil vom 9. März bezieht sich vor allem auf die vorgeschriebene Zweidrittel-Mehrheit für ein gültiges Urteil. Weiter im Fokus der Richter sind die Vorschriften, dass das Gericht aus mindestens 13 Richtern bestehen muss und die Regelung, dass das Gericht alle Fälle in chronologischer Reihenfolge zu behandeln hat. Damit sollte laut PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski die ordnungsgemäße und unabhängige Arbeit des Verfassungsgerichts gewährleistet werden. Mehrere Oppositionsparteien und Rechtsexperten hatten gegen das im vergangenen Dezember erlassene Gesetz geklagt. Volle Rückendeckung gegen das umstrittene Gesetz hat das Verfassungstribunal von der Venedig-Kommission des Europarates erhalten. Bereits Anfang des Jahres hatte die EU-Kommission ein formelles Prüfverfahren zur Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet. Trotz dieser massiven und in der Geschichte der EU einmaligen Abmahnung ist die Regierung von Beata Szydlo, die die Entscheidung des Verfassungstribunals als nicht rechtmäßig ergangen und als Verfassungsbruch bezeichnet, nicht bereit, das Urteil bzw. die deutlichen Vorbehalte internationaler Rechtsexperten anzuerkennen. Sie  will verhindern, dass es veröffentlicht und damit rechtskräftig wird. Auch die parlamentarische Opposition und die Akteure der polnischen Zivilgesellschaft steigern den Druck auf die Regierung. Bei einer Großdemonstration am vergangenen Samstag haben alle Redner eine Stärkung des Tribunals und die Rücknahme der umstrittenen Justizreform  gefordert. Der frühere Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski befürchtet, dass der Streit ums Verfassungstribunal dem internationalen Ansehen und mittelfristig auch der wirtschaftlichen Entwicklung Polens schadet. Polen verliere im Westen und in der EU das Image des Musterschülers bei der Transformation und lasse alte Zweifel an der Richtigkeit der EU-Osterweiterung wieder aufleben. Und der Vorsitzende der neu ins Parlament gewählten liberalen Partei Nowoczesna und eigentliche Oppositionsführer Ryszard Petru bringt es auf den Punkt: „Früher haben die Polen demonstriert, um das Staatssystem zu verändern, heute demonstrieren sie, damit es erhalten bleibt. Seit der demokratischen Wende von 1989 hat das Land keine solche Verfassungskrise erlebt.“ Dr. Borek Severa, Polen-Experte und Projektberater Mitteleuropa und Baltische Staaten der Stiftung für die Freiheit (Prag)