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Rechtsstaatlichkeit in Polen in Gefahr - Regierungspartei PiS treibt Orbanisierung voran

Vor Weihnachten legte die neue national-konservative polnische Regierung Hand an die Unabhängigkeit der Justiz, die EU zeigte sich besorgt. Polens Opposition, insbesondere die liberale, erstmals in Parlament gewählte Partei Nowoczesna, ging protestierend auf die Straße. Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, bezeichnete die Entwicklung als „potenzielle Bedrohung für die polnische Rechtsstaatlichkeit“. Doch eine Debatte des Europäischen Parlaments zu der politischen Lage in Polen wurde auf Januar vertagt. Man folgte damit ausgerechnet einem Wunsch der in Polen abgewählten Bürgerplattform PO, der Partei des früheren Premiers und heutigen EU-Ratspräsidenten. Während die EU-Entscheidungsträger zuhause die Weihnachtszeit genossen, nahm sich Polens Regierung die Medienfreiheit in Polen zur Brust. Künftig kann die Regierung nach Gutdünken die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender direkt ernennen und abberufen. Die Sender sollen endlich wieder „polnisch“ werden; Der Chef der Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS), Jarosław Kaczyński, warf den Programmachern eine „liberale Indoktrinierung“ vor. Einige Journalisten kündigten bereits von sich aus, um nicht politisch abgesetzt zu werden. Journalistenverbände protestierten. Diesmal folgte auch die Reaktion der EU-Kommission postwendend. Der niederländische Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans beklagte in zwei offiziellen Briefen an die polnische Regierung die eklatanten Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit und forderte Änderungen. Der für Digitales und damit auch Medien zuständige deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger brachte in einem Zeitungsinterview die Aktivierung des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus ins Spiel; es spreche viel dafür „Warschau unter Aufsicht zu stellen“. EU-Kommissionspräsident Juncker hat das Thema für die erste Kommissionssitzung am 13. Januar auf die Agenda gesetzt. Der Rechtsstaatsmechanismus ermöglicht es der Kommission, gemeinsam mit der polnischen Regierung eine mögliche Bedrohung des Rechtsstaates zu beseitigen. Wenn sich die PiS-Regierung einer Mitwirkung verweigerte und beanstandete rechtliche Regelungen nicht veränderte, könnte als letztes Polen das Stimmrecht im Rat entzogen werden (Artikel 7 des Lissabonner Vertrages). Artikel 7-Verfahren sollten in der Vergangenheit bereits zweimal eingeleitet werden. Doch in  beiden Fällen, Rumänien unter Premierminister Victor Ponta und Ungarn unter Premierminister Viktor Orban, wurden die Akteure von ihren europäischen Schwesterparteien, zum einen den Sozialdemokraten der S&D, zum anderen den Christdemokraten der EVP, in Schutz genommen. PiS gehört jedoch keiner der zwei großen europäischen Parteienfamilien an und hat so weniger Rückendeckung als z.B. Viktor Orban. Nach anfänglicher Zurückhaltung nach der Devise „give PiS a chance“ und um nicht einen weiteren offenen Konflikt mit einem großen Mitgliedstaat zu riskieren (Brexit lässt grüßen), scheinen die Europäer nun aber die Glacé- gegen Boxhandschuhe einzutauschen. Auch der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk sollte seine Zurückhaltung aufgeben. Nicht nur ist es unwahrscheinlich, dass ihn die neue polnische Regierung zur Wiederwahl (bei Gefälligkeit) nominiert; es geht auch um sein politisches Vermächtnis. Die europäische Gemeinschaft darf nicht zusehen, wie die Axt an die Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat angelegt wird. Und mindestens ebenso schlimm, wie der Gehalt der neuen Gesetze, ist die Art und Weise, wie sie von der PiS-Regierung durch das Parlament gepeitscht werden. Das bedroht das demokratische System insgesamt. [caption id="attachment_9209" align="alignnone" width="940"] Das polnische Parlament
Quelle: CC BY-SA 3.0 Wikipedia/ bearbeitet[/caption] Faktenbox:
  • Die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gewinnt die Parlamentswahlen in Polen am 25. Oktober 2015.
  • Mittels zweier Gesetze beschränkt die neue PiS-Regierung die Unabhängigkeit von Justiz und Medien.
  • Das neue Mediengesetz wurde von der „Association of European Journalists“ stark kritisiert.
  • EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans schrieb zwei Briefe an die polnische Regierung, die die legislativen Änderungen in Frage stellen.
  • Die EU-Kommission wird weitere Maßnahmen gegenüber der polnischen Regierung in einer Sitzung am 13. Januar 2016 besprechen.
  • EU-Kommissar Oettinger befürwortet die Einschaltung des Rechtsstaatsmechanismus.
  • Der Rechtsstaatsmechanismus regelt den Dialog zwischen der EU und einem Mitgliedstaat in Fällen, wo Verdacht besteht, dass der Rechtsstaat systematisch geschwächt wird.
  • Sollte der Rechtsstaatsmechanismus nicht erfolgreich sein, kann als letzte Instanz Polens Stimmrecht in der EU entzogen werden, gemäß Artikel 7 des Lissabonner-Vertrages.
[caption id="attachment_8373" align="alignnone" width="434"] Håvard Sandvik,
European Affairs Manager
FNF[/caption]