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Polen
Die Präsidentschaftswahl in Polen und ihre Folgen

Präsidentschaftswahl in Polen

Karol Nawrocki nach der Präsidentschaftwahl in Polen am 1. Juni 2025

© picture alliance / Anadolu | Jakub Porzycki

Wem Europa, der Westen und die demokratische Kultur insgesamt am Herzen liegen, dessen Kalender dürfte seit dem 1. Juni um einen schwarz gerahmten Eintrag reicher sein. Karol Nawrocki, Kandidat der rechtsautoritären, religiös-nationalistischen PiS, der Partei Recht und Gerechtigkeit, konnte die zweite Runde der polnischen Präsidentschaftswahlen am 1. Juni mit 50,9 Prozent knapp für sich entscheiden. Rafał Trzaskowski, liberal-konservativer Stadtpräsident von Warschau, unterlag mit 49,1 Prozent.

Ein Vorsprung von rund 370.000 Stimmen war es, der das Land und womöglich die komplette EU in absehbarer Zeit vor weitere Belastungsproben stellt. In der ersten Wahlrunde am 18. Mai waren 13 Kandidatinnen und Kandidaten gegeneinander angetreten. Trzaskowski hatte mit 30,4 Prozent den ersten Platz belegt, Nawrocki mit 29,5 mit überraschend geringem Rückstand den zweiten. Ebenso überraschend war das starke Abschneiden zweier Kandidaten der äußersten Rechten, die den dritten und vierten Platz belegten: Sławomir Mentzen von der Partei „Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit“ und Grzegorz Braun von der „Konförderation der Polnischen Krone“. Zusammen waren sie auf rund zwanzig Prozent der Stimmen gekommen. Auch wenn absehbar war, dass diese Voten in der Stichwahl nicht automatisch auf Nawrocki übergehen würden, saß der Schock tief bei den Trzaskowski-Anhängern.

Als Ausweis von Virilität betrachtet

Der Wahlkampf, in dem Trzaskowski anschließend mit dem PiS-Mann um den Einzug in den Präsidentenpalast in Warschaus Krakauer Vorstadt wetteiferte, war unerbitterlich. Selbst erfahrene, hartgesottene Beobachter und Analysten haben die aggressive Tonlage beanstandet. Ins Visier geraten war dabei vor allem Nawrocki. Er wurde von seiner Vergangenheit eingeholt: Er soll in seiner Heimatstadt Danzig als Türsteher tätig gewesen sein und sich als Zuhälter verdingt haben. Außerdem soll er als Hooligan an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligt gewesen sein. Biographische Makel wie diese passen eigentlich nicht zum Image des Kandidaten einer Partei, die wie die PiS einen betont katholischen Sittenkodex hochhält. Andererseits scheint ein Teil vor allem der männlichen Wählerschaft diese Makel eher als Ausweis von Virilität betrachtet zu haben und zur Wahlentscheidung zugunsten von Nawrocki bewegt worden zu sein.

Den Wahlsieg gesichert hat dem PiS-Kandidaten ferner der Umstand, dass es ihm besser als Trzaskowski gelungen ist, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. In der ersten Runde Mitte Mai lag die Wahlbeteiligung noch bei 67,3 Prozent. In der Stichwahl müsse sie, so hatte es im Vorfeld geheißen, höher als siebzig Prozent liegen. Nur dann habe Trzaskowski eine Chance, die Abstimmung für sich zu entscheiden. Am Ende lag sie bei 71,3 Prozent. Genutzt hat es allerdings dem Gegenkandidaten.

Breitbeiniger Möchtegern-Volkstribun

Trzaskowski war der politisch Erfahrenere. Seit 2019 fungiert er als Stadtpräsident – in der deutschen Kommunalpolitik würde man von Oberbürgermeister sprechen - der Hauptstadt Warschau. Wie schon Hillary Clinton oder Kamala Harris in ihrer Auseinandersetzung mit dem stets breitbeinig auftretenden Möchtegern-Volkstribun Donald Trump gereichten Trzaskowski sein Erfahrungsschatz, seine Weltläufigkeit und seine Zugehörigkeit zum Establishment nicht gerade zum Vorteil. Schon im ersten Wahlgang im Mai lagen die Rechtsaußenkandidaten, aber auch der Sozialist Adrian Zandberg, in der Alterskohorte der Wählerinnen und Wähler unter dreißig vorne. Gelegen haben dürfte das an einem professionellerem, taktisch klügeren Umgang mit den Sozialen Medien, aber auch an einem Mangel an Skrupeln gegenüber Extrempositionen.

Ministerpräsident Tusk, seit rund anderthalb Jahren wieder im Amt, muss bei seinen Bemühungen darum, den Justizbereich wieder zu entpolitisieren und die Rechtsstaatlichkeit zu restituieren, weiterhin auf Störfeuer gefasst sein. Die Machtfülle des Hausherrn des Pariser Élyssée-Palasts besitzt der polnische Staatschef zwar nicht. Dennoch verfügt er über mehr als nur zeremoniellen Kompetenzen. Er kann sein Veto gegen Gesetzesvorlagen einlegen. Der scheidende Amtsinhaber Andrej Duda – auch er war einst auf dem Ticket der PiS ins Präsidentenamt gekommen – hat davon immer wieder Gebrauch gemacht und der Regierung Tusk das Arbeitsleben damit massiv erschwert. Der Präsident kann allerdings auch eigene Gesetzesvorschläge einbringen. Er kann die Regierung einbestellen, den Präsident der Zentralbank ernennen und hat, wie sein deutsches Pendant, der Bundespräsident, ein Begnadigungsrecht – ein Relikt aus monarchischen Vorzeiten, gleichzeitig ein willkommenes Instrument, wenn es darum geht, die eigenen Leute vor dem Zugriff des Staatsanwalts zu bewahren. Auch wenn er das Parlament nicht auflösen kann, seine konstitutionellen Munition reicht also aus, um die Regierung zu malträtieren, vorzuführen und damit am Ende zu zermürben. Auch in Brüssel dürfte man es mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn zur Kenntnis nehmen, dass der Pro-Europäer Tusk bei seinen Reformbemühungen auch in Zukunft nicht so schnell vorankommen dürfte wir erhofft.

Antipoden auf der Bühne des polnischen Politdramas

Tusk selbst hat am Tag nach der Stichwahl die Flucht nach vorne angetreten und in Aussicht gestellt, im Sejm, der Abgeordnetenkammer der polnischen Parlaments, die Vertrauensfrage zu stellen. Diese hat mittlerweile stattgefunden. Tusk hat sie gewonnen. 243 Abgeordete sprachen ihm das Vertrauen aus, 210 stimmt gegen ihn. Seine Viel-Parteien-Koalition stützt sich eigentlich nur auf 242 Parlamentarieren. Tusk hat für die kommenden Wochen eine Kabinettsumbildung in Aussicht gestellt. Beides, der Vertrauensbeweis im Sejm wie auch ein paar neue Gesichter auf der Regierungsbank, dürfte ihm einen Legitimationsschub verleihen, gegenüber der Öffentlichkeit, vor allem aber gegenüber dem neuen Mann an der Staatsspitze, der Anfang August vereidigt wird.

Jarosław Kaczyński, nach wie vor Übervater der PiS und seit zwei Jahrzehnten Tusks Antipode auf der weiten Bühne des polnischen Politdramas, dürfte sich Nawrocki als Handlanger seiner eigenen politischen Agenda, der Wiederherstellung eines starken, souveränen, traditionsstolzen katholischen Polen, ausgesucht haben. Niemand hatte den 42-jährigen gebürtigen Danziger auf der Liste, als sich Kaczyński um die Jahreswende auf die Suche nach einem aus seiner Sicht geeigneten Kandidaten für die Duda-Nachfolge machte. Nawrocki stammt aus einfachen Verhältnissen, kann nun also mit einer Aufstiegsgeschichte aufwarten. Der Vater war Dreher und als solcher Solidarnoćś-Mitglied. Nawrocki versuchte sich im Boxsport, war 2001 Juniormeister im Schwergewicht. Er studierte Geschichte in seiner Heimatstadt, promovierte und leitete zunächst das Museum des Zweiten Weltkriegs. 2021 rückte er an die Spitze des Instituts für Nationales Gedenken, eine Art Gauck-Behörde mit staatsanwaltlichen Kompetenzen. Der PiS, der Partei, die ihn nominierte, gehört er nicht an. Der Mangel an einem gefestigten ideologischen Profil, einer klassischen Politkarriere und einem verlässlichen Netzwerk war für seinen Entdecker Kaczyński eher von Vorteil.

Auch Polen ist gespalten, politisch, gesellschaftlich, mental. Die politische Landkarte spricht eine eindeutige Sprache: In den Großstädten sowie an der Küste und im Westen lag Trzaskowski vorne, in den ländlichen Gebieten des Ostens und Teilen des Südens Nawrocki. Die Vertrauensabstimmung hat Tusk gewonnen. Trotzdem dürfte der Regierungsalltag kompliziert bleiben. Eine gute Nachricht ist das nicht, nicht für Polen und nicht für die EU.