Präsidentschaftswahl in Polen
Polen wieder vor der Wahl. Bleibt das Land auf dem Kurs der liberalen Reformen?

Rafal Trzaskowski, der Bürgermeister von Warschau und Kandidat der liberalen Bürgerkoalition, hält eine Wahlkampfveranstaltung und eine Kundgebung mit Wählern auf dem Hauptmarkt in Krakau, Polen.
© picture alliance / NurPhoto | Marcin GolbaVor nicht allzu langer Zeit setzten die polnischen Bürger ein starkes Zeichen: Mit einer Rekordwahlbeteiligung stimmten sie im Oktober 2023 für eine pro-europäische und pro-demokratische Regierung und beendeten damit acht Jahre, in denen die Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Freiheiten Schritt für Schritt beschnitten und die liberale Demokratie systematisch abgebaut hatte. Doch noch hält die letzte Bastion der autoritären PiS-Herrschaft die Stellung: der scheidende Präsident Andrzej Duda. Sein Nachfolger wird in den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen bestimmt, deren erste Runde bereits am kommenden Sonntag stattfindet.
Zwar hat der polnische Präsident, ähnlich wie in Deutschland, in erster Linie eine repräsentative Funktion. Doch seine Vetomacht könnte sich als entscheidender Faktor erweisen – insbesondere im ersten Regierungsjahr der neuen Koalition unter Donald Tusk. Bislang nutzte Duda sein Veto, um nahezu alle Liberalisierungsreformen der neuen Regierung zu blockieren. Die anstehenden Präsidentschaftswahlen sind daher mehr als nur ein politisches Kräftemessen. Sie könnten das Schicksal der Tusk-Regierung und den weiteren Kurs des Landes maßgeblich beeinflussen. In einem weiterhin stark polarisierten Polen steht nicht weniger auf dem Spiel als die Zukunft der Demokratie und die Frage, ob das Land auf dem Weg nach Europa bleibt – oder erneut auf Abwege gerät.
Die Kandidaten im Vergleich: Bewährte Gegensätze oder neue Extreme?
Für das höchste Amt im polnischen Staat treten offiziell 13 Kandidaten an – darunter lediglich zwei Frauen. Das Kandidatenfeld vereint altbekannte Politgrößen ebenso wie bislang unbekannte Namen.
Laut Umfragen prägen die diesjährige Präsidentschaftswahl aber besonders drei Kandidaten: Rafał Trzaskowski, Karol Nawrocki und Sławomir Mentzen. Ihre politischen Programme könnten unterschiedlicher nicht sein und stehen stellvertretend für die grundlegenden Konfliktlinien der polnischen Gesellschaft – zwischen einem offenen, pro-europäischen Kurs und einem zunehmend nationalistisch-konservativen Narrativ.
Seit Beginn ist Favorit des Wahlkampfes Rafał Trzaskowski (laut Umfragen 32,3 %), der 52-jährige Bürgermeister von Warschau und Vertreter der liberalen Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska), verkörpert die Hoffnung auf eine vollständige Rückkehr zu demokratischen Grundwerten. Bereits 2020 trat er als Gegenkandidat des rechtskonservativen Amtsinhabers Duda an und verfehlte nur knapp den Sieg. Trzaskowski ist ein profilierter Verfechter europäischer Integration und setzt sich für eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit ein. Überraschenderweise schlug er in seiner Kampagne einen leicht populistischen Ton an: Neben der ständigen Betonung der Sicherung polnischer Grenzen und nationaler Interessenwurde auch seine Lieblingsmarke polnischer Sauergurken und Waffeln zum Thema, auf das die Medien und seine Gegenkandidaten heftig reagierten. Gleichzeitig richtete er seine Angriffe gezielt gegen seinen wohl größten politischen Gegner aus dem gegnerischen Lager, Karol Nawrocki.
Karol Nawrocki, 41 Jahre alt und parteiloser Kandidat mit Unterstützung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ist bisher vor allem als Direktor des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) bekannt. Nawrocki (laut Umfragen in der ersten Runde auf dem zweiten Platz mit 25,2 %) vertritt eine strikt konservative Agenda und spricht vor allem die ländliche, katholisch geprägte Wählerschaft an. Seine Reden sind durchzogen von einer nationalistischen Rhetorik, in der er Polen als Bollwerk gegen ‚europäische Überfremdung‘ positioniert. Für die PiS ist er ein politischer Neuling, der jedoch die Hardliner der Partei hinter sich versammelt und auf die Fortsetzung ihres national-konservativen Regierungsstils setzt. Rhetorisch bleibt er jedoch schwach und seine Argumente wirken oft wenig überzeugend. Zudem wurde sein Wahlkampf von mehreren Skandalen überschattet – vor allem Vorwürfe von Korruption und Machtmissbrauch rückten ihn ins Zwielicht. Jüngste Enthüllungen von Journalisten werfen ein besonders fragwürdiges Licht auf Nawrocki: So soll er von einem Anhänger höheren Alters eine Wohnung als Geschenk erhalten haben, mit der Verpflichtung, ihn bis zu seinem Lebensende zu versorgen. Recherchen zufolge lebt der Mann jedoch mittlerweile in einer Pflegeeinrichtung und hat kaum noch Kontakt zu Nawrocki.
Auch aus diesen Gründen favorisieren einige Umfragen Sławomir Mentzen für die zweite Runde, die am 1. Juni stattfinden soll (sofern keiner der genannten Kandidaten in der ersten Runde am 18. Mai mehr als 50 % der Stimmen erreicht, was nicht zu erwarten ist). Der 38-jährige Vorsitzender der rechtslibertären Partei Nowa Nadzieja (Neue Hoffnung) und Kandidat des rechtsextremen Bündnisses Konfederacja (Konföderation), steht für einen radikal anderen Kurs. Mentzen (der laut letzten Umfragen den dritten Platz mit 11,2 % besetzt) ist ein scharfer Kritiker der EU und spricht sich für einen wirtschaftslibertären und gesellschaftlich stark konservativen Kurs aus. Im Jahr 2019 machte er sich in ganz Polen mit seinem Wahlkampfslogan bekannt: „Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibungen, Steuern und die Europäische Union“. Er fordert eine drastische Reduktion der Steuern sowie einen Rückzug Polens aus „unnötigen europäischen Verpflichtungen“. Mentzens Aufstieg verdankt er vor allem der Unzufriedenheit junger, männlicher Wähler, die sich von den traditionellen Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Das zentrale Thema seiner Kampagne ist tatsächlich der Kampf gegen die beiden politischen Lager, die die polnische Politik seit Jahren prägen: die PiS und die Bürgerplattform. Mit dieser Positionierung gelang es ihm, unzufriedene Wähler aus beiden Lagern auf sich aufmerksam zu machen. Während des Wahlkampfs dominierte er insbesondere auf TikTok und besuchte mehr Gemeinden und Städte als jeder andere Kandidat – eine Strategie, die ihm breite mediale Präsenz einbrachte, sodass einige ihn bereits im Präsidentenamt sahen. In der Schlussphase der Kampagne verlor er jedoch an Schwung, und vor allem dank der Fernsehdebatten konnten auch andere Kandidaten wie die linke Senatorin Magdalena Biejat oder der Sejm-Vorsitzende Szymon Hołownia (Polska 2050) punkten.
Ergebnis ist nicht sicher
Trzaskowski führt seit Beginn der Kampagne stabil in den Umfragen – doch ein klarer Sieg ist keineswegs sicher. Ein unbestimmter Teil der Wählerschaft, der für das sogenannte Wunder vom 15. Oktober verantwortlich war, ist nach anderthalb Jahren Regierung unter Donald Tusk desillusioniert. Die enttäuschten Wähler der pro-demokratischen Koalition haben sich zurückgezogen, frustriert über die schleppende Umsetzung der Wahlversprechen. Ob es Trzaskowski gelungen ist, ihre Hoffnung neu zu entfachen, bleibt ungewiss. Für Tusk und seine Regierung wird dies zur Bewährungsprobe.
Auf der anderen Seite präsentiert die PiS keinen überzeugenden und charismatischen Kandidaten. Der Überraschungserfolg von Andrzej Duda, der zuvor ebenso wie Karol Nawrocki kaum bekannt war, dürfte sich wohl nicht wiederholen. Nawrockis Versuch, sich als unabhängiger Kandidat darzustellen, verfängt nicht, und die jüngsten Skandale um seine Person und die PiS können sein Potenzial weiter schwächen, obwohl die jüngsten Umfragen nur ein paar Tage vor der Wahl diese Hypothese nicht unbedingt bestätigen.
Auch Mentzen, der noch vor Kurzem als "schwarzer Schwan" der Wahl gehandelt wurde, musste in der Endphase Federn lassen. Er musste seine extremistischen und anti-ukrainischen Narrative verteidigen, die in der polnischen Gesellschaft nicht so stark verwurzelt sind, dass ein Kandidat mit solchen Ansichten gewinnen könnte.
Die neuesten Umfragen deuten auf ein Duell zwischen Trzaskowski und Nawrocki hin. Entscheidend wird nun, welche Kandidaten und Wähler sich in der zweiten Runde hinter Trzaskowski oder Nawrocki stellen. Mentzen hat sich stets als Gegner der großen Parteien positioniert, doch inhaltlich steht er Nawrocki deutlich näher als dem liberalen Bürgermeister der Hauptstadt. Auch unter den anderen Kandidaten finden sich etliche mit ähnlichen rechtspopulistischen Ansichten. Wenn es Nawrocki gelingt, diese Stimmen zu bündeln, muss Trzaskowski dringend auch die linken Wähler mobilisieren, deren Unterstützung derzeit alles andere als sicher ist.
Das Rennen bleibt eng – doch es gibt Hoffnung, dass Polen die letzten Schatten der PiS-Herrschaft abschütteln und seine Rückkehr in die pro-demokratische Familie Europas vollenden kann. Mit seinem immensen Potenzial steht das Land an einem historischen Wendepunkt.