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Treffen zwischen Macron und Sunak
"Je t’aime, moi non plus"

Eine geopolitische Einordnung der britisch-französischen Beziehungen zum Treffen zwischen Macron und Sunak
Der britische Premierminister Rishi Sunak und der französische Präsident Emmanuel Macron während eines bilateralen Treffens

Der britische Premierminister Rishi Sunak und der französische Präsident Emmanuel Macron während eines bilateralen Treffens

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ludovic Marin

Wie bereits der amerikanische Dichter Robert Frost beobachtet hat, „machen gute Zäune gute Nachbarn“. In Abwesenheit des Äquivalents etwa einer so hervorragenden Einrichtung wie dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, ist es um das gegenseitige Einvernehmen über den Ärmelkanal schlechter bestellt als um jenes über den Rhein – aber vielleicht trägt genau das auch zu einer größeren wechselseitigen Faszination, wie schon von Serge Gainsbourg und Jane Birkin in ihrem Hit aus dem Jahr 1970 zum Ausdruck gebracht hatten: Je t’aime, moi non plus. Das Exotische ist eben oft auch erotisch.

Entsprechend steht das Treffen zwischen Premierminister Sunak und Präsident Macron, das erste seiner Art seit fünf Jahren, in einer langen Tradition des Nachkriegsaustauschs. Dieser begann mit Charles de Gaulles Zurückweisung der wiederholten Gesuche der beiden Premierminister MacMillan und Wilson, das Vereinigte Königreich als Mitglied in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aufzunehmen, setzte sich fort mit Pompidous Eingehen auf Heaths Vorschlag, das Großbritannien nun doch beitreten solle; und überdauerte auch Thatchers reibungsgeladenes Verhältnis mit Mitterand, welchen sie beschrieb als „ausgestattet mit den Augen Caligulas und den Lippen von Marilyn Monroe“. Jüngere Beziehungen waren da weniger poetisch, dafür aber ergebnisorientierter, insbesondere die Duos Blair-Chirac und Cameron-Hollande.

Die letzten Jahre der britisch-französischen Beziehungen waren zunehmend belastet durch Streitigkeiten über Fischereirechte und Migration sowie den Vertrauensverlust zwischen Macron und Boris Johnson. Seit Johnsons Rücktritt bedarf es daher dringend einer neuen Gelegenheit, über die Herausforderungen der Zeit zu sprechen - von Sicherheit über Klima und Energie bis Wirtschaftsbeziehungen und gemeinsame Außenpolitik. Ein Staatsbesuch König Charles III nach Frankreich steht ebenfalls an.

Der Brexit hat die britisch-französischen Handelsbeziehungen hart getroffen

Werden Macron und Sunak zu Aznavour’s You are the one for me, formidable tanzen? In Sachen Alter und professioneller Hintergrund haben die beiden einiges gemeinsam. Sunak muss sich der Zusammenarbeit mit Frankreich aber vor dem Hintergrund eines in den Sand gesetzten Brexit nähern, sowie einer durch und durch nationalistischen Konservativen Partei und einer Presse, die kein gutes Haar an den „Schneckenfressern“ lassen will. Macron hingegen – vom gelegentlichen Aufstand einmal abgesehen – hat seine Partei im Griff und steht auf der europäischen Bühne ganz weit vorne.

Das bevorstehende Treffen wäre nicht ermöglicht worden, ohne die neue Übereinkunft zwischen der EU und Großbritannien zum Nordirland-Protokoll im Rahmen dessen Großbritannien nun auch wieder bereit scheint, dem Horizon-Programm der EU für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit erneut beizutreten. Diskussionen zwischen Großbritannien und der EU, die die Stadt London betreffen, sollen ebenfalls wieder aufgegriffen werden. Fragen wie diese sind für beide Staatschefs von erheblichem Interesse.

Der Brexit hat die britisch-französischen Handelsbeziehungen härter getroffen als den Handel Großbritanniens mit jedem anderen Land. Vier von fünf Unternehmen meldeten Verzögerungen an der Grenze, Lieferketten im Im- und Export verlangsamten sich um zwei bis drei Wochen. Französische Unternehmen haben durch diesen Zeitverlust 1.9 Milliarden Euro Gewinne eingebüßt, britische noch mehr. Zahlreiche Klein- und Mittelständische Unternehmen in beiden Ländern haben den Handel über den Ärmelkanal ganz aufgegeben und konzentrieren sich seither eher auf verstärkten nationalen Marktzugang oder Marktbeteiligung anderswo, als dass sie sich weiter an den durch den Brexit verursachten Hindernissen abmühen. Zwischen 2018 und Ende 2021 ist der Güterhandel zwischen Großbritannien und Deutschland 18,6 % zurückgegangen; zwischen Großbritannien und Frankreich um 14,1 %, gegenüber einem EU-Durchschnitt von 10,7 %. Aber während Deutschlands Gesamtimporte um 5,4 % gewachsen sind und seine Gesamtexporte um 2,4 %, verzeichnete Frankreich einen Rückgang um 0,4 % in den Importen respektive 4,5 % in den Exporten. Das Vereinigte Königreich schrieb die schlechtesten Zahlen mit einem Importrückgang um 6,8 % und einem Exportrückgang um 7 % im Gütersektor. Britische Dienstleistungsexporte sind gegenüber dem Stand von 2019 sogar um 10 % gesunken (auch wenn dies zum Teil der Covid-Pandemie geschuldet ist), und Dienstleistungsimporte um über 30 %.

Gemeinsames Interesse in Energiefragen

Großbritannien und Frankreich haben auch gemeinsame Interessen in Energiefragen. Während das Vereinigte Königreich recht häufig auf den Einkauf von Elektrizität vom Festland zurückgreift, um sein eigenes Netz zu entlasten, besonders in Phasen geringeren Outputs der Erneuerbaren, gab es im vergangenen Jahr auch eine Reihe aufeinanderfolgender Monate, als britischer Strom aus Unterseekabeln Ausfälle von EDF-Reaktoren in Frankreich auffangen musste, das ja eigentlich selbst Europas größter Energieexporteur ist. Großbritannien strebt an, 2023 weiterhin Strom auf den Kontinent zu exportieren, insbesondere nach Frankreich. Während die im Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien vereinbarten Energieklauseln noch bis zum 30. Juni 2026 ihre Gültigkeit behalten werden, dürften beide Seiten weitere Vereinbarungen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Energieregulierungsbehörden anstreben. Weiterhin wird der Handel mit Radioisotopen fortgesetzt.

Eines will Großbritannien allerdings weniger aus Frankreich „importieren“, und zwar Migranten, die versuchen, in kleinen Booten den Ärmelkanal zu überqueren. Der Transport von Personen auf dem Landweg ist zwar weitgehend unterbunden, dafür ist der Seetransport beispiellos angestiegen, mit weiter zunehmendem Verlust von Menschenleben auf dem Weg. Hat sich Macron das Thema Energie ganz oben auf die Tagesordnung geschrieben, werden es für Sunak die Asylsuchenden sein (er würde sie „Wirtschaftsmigranten“ nennen).

Ein weiterer wichtiger Bereich der Zusammenarbeit ist die Luft- und Raumfahrttechnik. 5,6 Milliarden Pfund aus den britischen Wirtschaftserträgen werden von Airbus erwirtschaftet, unter Einbindung von 2.000 britischen Zulieferern und Bereitstellung von 86.000 Arbeitsplätzen, davon 30 % in Klein- und Mittelständischen Unternehmen. Darüber hinaus werden 45 % dieser Arbeitsplätze in jenen 10 % der Regionen Großbritanniens bereitgestellt, die am strukturschwächsten sind. Die Zusammenarbeit, die mit der Concorde in den 1960er-Jahren begann, bleibt zentral für die Vorhaben beider Länder, auch was Satelliten, Telekommunikation und andere Aspekte der Luft- und Raumfahrt angeht.

Ukrainekrieg weit oben auf der Tagesordnung

Ebenfalls wird unvermeidbar, der Ukrainekrieg weit oben auf der Tagesordnung stehen. Auch wenn es Anzeichen gibt, dass beide Staatschefs diesen als existenziell betrachten, ist das Vereinigte Königreich bisher stärker bereit als Frankreich, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Der Druck auf die Führungen der beiden europäischen Atommächte, sich auf eine gemeinsame Strategie zu Europas größter außenpolitischer Herausforderung zu einigen, wird sich weiter verstärken. Macrons jüngster Schwenk im Ton bezüglich dieses Diskurses dürfte dabei behilflich sein.

Rein bezogen auf die Anzahl ansässiger französischer Staatsbürger ist London Frankreichs fünftgrößte Stadt, und trotz des Brexit verbringen verrentete Briten weiterhin viel Zeit in Frankreich, wenngleich sich ihre Aufenthaltsgenehmigung im Schengenraum nunmehr auf 90 Tage im Halbjahreszeitraum beschränkt. Beides sind wichtige Aufenthaltsorte für einkommensstarke Bürgerinnen und Bürger. Selbst wenn sich die beiden Staatschefs auf nichts weiteres mehr würden einigen können: Der personenbezogene Austausch zwischen Großbritannien und Frankreich dürfte mühelos mehr als nur einen kurzen Absatz in jeder Pressemitteilung füllen.

Sir Graham Watson war 2002-2009 Fraktionsvorsitzender der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament (damals ALDE-Fraktion, heute Renew Europe) und 2011-2015 Präsident der ALDE-Partei. Heute lehrt er an der Munk School of Global Affairs in Toronto und der Symbiosis University’s School International Studies in Pune, Indien.