Naher Osten
Israel-Iran-Krieg: Steht das Regime in Teheran vor dem Fall?

Tel Aviv unter iranischem Raketenbeschuss.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Leo CorreaAm 13. Juni 2025 eskalierte der langjährige Stellvertreterkrieg zwischen Israel und dem Iran zu einem offenen Krieg. In der vergangenen Woche flog Israel umfangreiche Luftangriffe auf iranische Nuklear- und Raketenanlagen, während der Iran Wellen von Drohnen und Raketen auf Israel abfeuerte. Laut israelischer Behörden hat die Luftwaffe die Lufthoheit errungen. Dennoch bleibt unklar, ob Israel tief verbunkerte Anlagen wie Fordow zerstören kann. Das wäre ein entscheidender Schritt zur Ausschaltung des iranischen Atomprogramms.
Wir haben Oberstleutnant a. D. Danny Citrinovitch eingeladen, seine Einschätzungen mit uns zu teilen. Citrinovitch war Leiter der Iran-Abteilung im militärischen Nachrichtendienst Israels und ist heute leitender Forscher im Iran- und Schiitische-Achse-Programm am Institute for National Security Studies (INSS). Im Gespräch mit Kristof Kleemann, dem Leiter des FNF-Büros in Jerusalem seit 2023, analysiert er Teherans strategisches Kalkül, Israels mögliche Reaktionen und die regionalen Implikationen der aktuellen Eskalation.
Kristof Kleemann: Analysten haben wiederholt den Zusammenbruch der Islamischen Republik Iran vorausgesagt. Könnte der gegenwärtige Israel-Iran-Krieg Ihrer Ansicht nach schließlich das Regime in Teheran zu Fall bringen?
Lt. Col. (res.) Danny Citrinovitch: Das ist, ganz wortwörtlich, die Million-Dollar-Frage. Letztlich hängt alles von den Vereinigten Staaten ab. Israel mag Luftherrschaft genießen und seine Fähigkeit demonstrieren, Ziele im gesamten Iran zu treffen, doch reicht Luftmacht allein nicht aus, um das Regime zu stürzen.
Trotz ihrer Legitimationskrise verfügt die Islamische Republik im Inneren nach wie vor über bemerkenswerte Stärke. Entscheidend ist: Die meisten Iraner verstehen den aktuellen Einsatz als Krieg gegen den gesamten Iran, nicht nur gegen die Machthaber. Ein Alleingang Israels mit Luftschlägen zum Regimewechsel wäre demnach eine gigantische Aufgabe.
Wenn sich die USA jedoch beteiligen würden, könnte deren Feuerkraft die gesamte Gleichung grundsätzlich verändern und das Regime ernsthaft in Gefahr bringen, auch wenn dies nicht garantiert ist. Ich bin überzeugt, dass Premierminister Netanjahu diesen Moment als einmalige Gelegenheit für einen Regimewechsel bewertet, auch wenn dieses Ziel offiziell nicht kommuniziert wird. Die Auswahl der Ziele – viele davon mit direkter Verknüpfung zur Machtbasis des Regimes – gibt Aufschluss darüber, was Jerusalem erreichen will.
Bleiben die USA außen vor, droht ein langwieriger Abnutzungskrieg. Dann wäre die entscheidende Frage, wer den längeren Atem hat. Ob sich die amerikanische Politik unter dieser Administration einbringen wird, kann niemand voraussehen – vielleicht nicht einmal Präsident Trump selbst. Ein weiterer Punkt ist, dass einige der empfindlichsten iranischen Nuklearanlagen, allen voran Fordow, außerhalb der Reichweite Israels liegen. Um diese „hinter dem Berg liegenden” Anlagen zu neutralisieren, ist amerikanische Mitwirkung erforderlich – was erneut unterstreicht, wie zentral die US-Beteiligung für jede Initiative wäre, die im Iran endgültige Wirkung zeigen soll.
Kleemann:Einige Analysten argumentieren, dass Israel auch ohne groß angelegte Unterstützung der USA andere Wege finden könnte, um das iranische Nuklearprogramm entscheidend zu schwächen. Wie sehen Sie das?
Citrinovitch: Israel hat im Kampf gegen das iranische Nuklearprogramm bereits große Erfolge erzielt: durch die Eliminierung zentraler Nuklearwissenschaftler, Sabotageakte an den Umwandlungsanlagen in Esfahan und – nach bisherigen Erkenntnissen – durch die Zerstörung von etwa 14.000 Zentrifugen durch Stromunterbrechungen bei laufendem Betrieb. Das sind signifikante Erfolge.
Das Hauptproblem bleibt aber Fordow. Außerhalb Irans weiß niemand verlässlich, auf welchem Stand sich das Anreicherungsniveau dort befindet, da internationale Inspektoren nicht mehr präsent sind. In der Theorie könnte der Iran inzwischen waffenfähiges Material produzieren. Fordow ist das Fundament, auf dem der Iran mit fortschrittlichen, tief im Fels gebunkerten Zentrifugen neu aufbauen kann.
Die israelische Luftwaffe verfügt weder über die extrem schweren Bunkerbrecher-Bomben, die nötig wären, um Fordow zu durchdringen, noch über die entsprechenden Langstreckenbomber (wie die US-amerikanischen B-52), um diese auszuliefern. Sofern Israel nicht mit einer bislang nicht bekannten, überraschenden Alternative agiert, ist das Ausschalten von Fordow außerhalb seiner Fähigkeiten.
Deswegen ist zumindest eine begrenzte amerikanische Beteiligung unerlässlich. Unter der Trump-Administration sehe ich drei potenzielle Szenarien: Erstens erreicht Washington ein Abkommen mit Teheran und zwingt Israel zum Rückzug. Zweitens unterstützen die USA gezielt einen Schlag gegen Fordow, um den Iran dann von einer geschwächten Position aus an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Drittens: Washington geht noch einen Schritt weiter und stellt sich gemeinsam mit Israel das Ziel eines umfassenden Regimewechsels. Welches dieser Szenarien Präsident Trump wählen würde, ist völlig offen.
Kurzum: Ohne US-Unterstützung wird das Neutralisieren von Fordow – dem Herzstück des iranischen Atomprogramms – unmöglich.
Kleemann: Sie legen nahe, dass ein Regimewechsel in Teheran zu den unausgesprochenen Zielen Israels gehört. Glauben Sie, dass der Sturz der Islamischen Republik Teil des israelischen Kriegsplans ist?
Citrinovitch: Für Premierminister Netanjahu ist das seit Jahren ein Lebensmotiv. Seine optimistische Haltung speist sich aus dem Gefühl, er habe jetzt eine historische, einmalige Chance, das Regime direkt zu konfrontieren. Ob er sich dabei eng mit Präsident Trump abgestimmt hat, kann ich nicht beurteilen. Sprache und Zielsetzung – etwa Hinweise auf Angriffe gegen Khamenei oder Schläge auf Machtzentren des Regimes – verdeutlichen jedoch, wohin Jerusalem will.
Die Herausforderung besteht darin: Was passiert, wenn dieses Ziel nicht erreicht wird? Ein unausgesprochener Anspruch auf Regimewechsel erhöht das Risiko eines langwierigen Abnutzungskriegs. Israel mag derzeit die Oberhand haben, doch langfristige Luftoperationen über iranischem Territorium sind mit hohen Kosten verbunden. Letztlich könnte der Ausgang davon abhängen, wer bereit ist, diesen Preis auf Dauer zu zahlen.
Deshalb ist eine Ausstiegsstrategie entscheidend. Operativ war der erste israelische Schlag exzellent, strategisch darf es jedoch nicht dabei bleiben. Aus Netanjahus Perspektive geht es nur auf, wenn die USA voll in den Konflikt involviert werden, um mit amerikanischer Macht den Zusammenbruch des iranischen Regimes zu erzwingen. Er vertraut weder auf einen möglichen Deal zwischen Washington und Teheran noch auf dessen Verlässlichkeit. Stattdessen nutzt er seine öffentliche Kommunikation – auch gegenüber Trump –, um eine Beteiligung der USA zu fördern. Ohne die USA droht ein unbefristetes Duell der Ausdauer mit dem Iran.
Kleemann: Ein Regimewechsel in Teheran wäre riskant. Wird dieses Ziel jedoch von allen Seiten – dem israelischen Militär, der Koalition, der Opposition und der Öffentlichkeit – getragen?
Citrinovitch: Ich habe kürzlich einen Leitartikel veröffentlicht, in dem ich folgende Argumentation vorbringe: Wenn die Regierung den Sturz des Regimes tatsächlich zu ihren Kriegszielen zählt, muss sie der israelischen Öffentlichkeit reinen Wein einschenken, denn jeder Israeli hätte die Konsequenzen zu tragen. Seit dem 7. Oktober hat das israelische Militär kaum noch Raum, sich politischen Direktiven zu widersetzen. Die IDF fühlt sich verpflichtet, Abschreckung wiederherzustellen, und viele israelische Offiziere betrachten gezielte Angriffe gegen den Iran als Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn. Sie verstehen, dass ein Sturz Khameneis die Region grundlegend verändern könnte, wenngleich sie die Erfolgschancen womöglich unterschätzen.
In Kriegszeiten tendiert die israelische Gesellschaft zu Hause zur Geschlossenheit. Wer die Militäroffensive infrage stellt, läuft Gefahr, als illoyal oder „links” abgestempelt zu werden. Eine ernsthafte öffentliche Debatte über ein unausgesprochenes Ziel wie den Regimewechsel findet derzeit kaum statt. Eine momentane Euphorie schirmt abweichende Stimmen weiter ab.
Kleemann: Gestern berichteten mehrere Vermittler aus der Golfregion, Teheran habe signalisiert, die Nukleargespräche wieder aufnehmen zu wollen. Ist das ein Zeichen der Verzweiflung im Iran?
Citrinovitch: Das deutet definitiv auf den Wunsch Teherans hin, einen Ausweg zu finden. Das Regime möchte den Krieg beenden und signalisiert Gesprächsbereitschaft, gleichzeitig bereitet es sich jedoch auf eine Eskalation vor. Im Fall einer US-Intervention macht es sich bereit, US-Basen in der Region anzugreifen oder sogar die Straße von Hormus zu bedrohen.
Politisch steht das Regime vor einem harten Dilemma: Die Einstellung der Anreicherung könnte das Regime retten, würde aber einen zentralen Machtpfeiler zerstören. Die Weigerung hingegen erhöht die Wahrscheinlichkeit einer direkten US-Militärbeteiligung. Wir haben keine klare Einsicht darüber, wie dieses Machtzentrum um Khamenei solche Gedanken intern abwägt – insbesondere nach den jüngsten Umstrukturierungen in der Führung der IRGC.
Eines ist jedoch klar: Teheran strebt zwar einen Waffenstillstand an, jedoch nicht zu Bedingungen, die seine nuklearen Ambitionen dauerhaft untergraben.
Kleemann: Wie reagieren andere Akteure in der Region auf diese Konfrontation?
Citrinovitch: Die meisten arabischen Regierungen verurteilen Israels Angriffe, doch ihre Rhetorik ist eher diplomatisch als Ausdruck echter Solidarität mit Teheran. Die sogenannte „Widerstandsachse“ bleibt beispielsweise auffallend passiv: Iraks Milizen poltern zwar, bleiben aber tatenlos; die Hisbollah verspricht Rückendeckung, agiert jedoch im Verborgenen.
Praktisch unterstützt niemand den Iran – strategisch ist das enorm bedeutsam. Die Golfstaaten sind ein Lehrbeispiel. Riad und Abu Dhabi distanzieren sich öffentlich von Israels Kampagne und betonen, nicht involviert zu sein, da sie eine Eskalation fürchten, die ihre Sicherheit und ihre wirtschaftlichen Interessen gefährden könnte. Privat hingegen würden beide Staaten ein geschwächtes oder gar gestürztes iranisches Regime begrüßen, da dies ihre Sicherheitslage deutlich verbessern würde.
Doch ihre Strategie ist eine Gratwanderung: Nach Jahren der vorsichtigen Annäherung an Teheran haben sie ausdrücklich zugesagt, israelische Operationen nicht zu unterstützen. Zusammengefasst lautet ihre Strategie also: öffentlicher Neutralitätsanspruch, private Hoffnung auf einen geschwächten Iran und – falls notwendig – das Abfangen iranischer Drohnen, die den Golf gefährden.