Venezuela
Venezuela am Scheideweg: Die Opposition bereitet den Tag danach vor
Luftaufnahme des Flugzeugträgers USS Gerald R. Ford über dem Karibischen Meer.
© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Mc2 Tajh Payne/U.S. NavyUS-Präsenz: Droht eine Intervention?
In der Karibik spitzt sich die Lage zu: Rund 15.000 US-Soldaten sowie 15 Kriegsschiffe, darunter die USS Gerald R. Ford, der größte Flugzeugträger der Welt, sind vor der Küste Venezuelas stationiert. Die Botschaft Washingtons ist klar: Das Regime Maduro steht unter Druck.
Derzeit führt die US-Marine zahlreiche Einsätze gegen Boote durch, um Drogenschmuggel zu verhindern. Es wird geschätzt, dass bei diesen Angriffen bis zu 80 Menschen getötet wurden. Diese Operationen sind jedoch umstritten. Auch der republikanische US-Senator Rand Paul spricht sich dagegen aus, weil er rechtsstaatliche Prinzipien verletzt sieht.
Die US-Regierung versucht weiterhin, gegenüber der autoritären Regierung unter Nicolás Maduro in einer „Sprache der Stärke“ zu sprechen. Was derzeit in der Karibik passiert, wird vielfach als Wiederbelebung der Monroe-Doktrin gesehen, als Reaktion darauf, dass die USA insbesondere seit der Obama-Regierung erheblich an Einfluss in der Region verloren haben. Davon haben vor allem China und Russland profitiert.
Trotz dieser militärischen Kulisse ist ein direktes Eingreifen der USA extrem unpopulär und unwahrscheinlich. Laut einer Umfrage von YouGov unterstützen nur etwa 18 Prozent der US-Bevölkerung eine Intervention. Eine militärische Operation in Venezuela wäre deutlich komplizierter als frühere Einsätze, wie zum Beispiel die Intervention 1989 in Panama. Venezuela ist dreimal so groß wie Deutschland, was jede größere militärische Operation enorm erschwert. Gezielte Schläge auf Stützpunkte und illegale Geschäfte sind deshalb deutlich wahrscheinlicher als eine umfassende Invasion.
Offiziell geht es primär um die Bekämpfung des Drogenhandels, doch der allgemeine politische Druck auf das autoritäre Regime ist offensichtlich. Venezuela selbst ist zwar kein bedeutender Drogenproduzent, fungiert jedoch als Transit- und Logistikzentrum für internationalen Drogenhandel, Menschenhandel und andere kriminelle Aktivitäten. Das Regime schützt Strukturen wie das Cartel de los Soles, paramilitärische Milizen, kolumbianische Guerillas, Hisbollah-Zellen und die global agierende Tren de Aragua.
Ist ein Regimewechsel das Ziel?
Die Frage wird immer wieder gestellt, doch viele Medien übersehen, dass der Regimewechsel in Venezuela bereits von innen heraus begonnen hat. Bei den Präsidentschaftswahlen am 28. Juli zeigte die venezolanische Gesellschaft mit einer überwältigenden Mehrheit von 72% der Stimmen, dass sie einen Wandel will. Die Wahlen fanden unter schwierigen Bedingungen statt – trotz massiver Repression, des Ausschlusses der liberalen Oppositionsführerin und Gewinnerin der Vorwahlen, María Corina Machado, sowie weiterer Unterdrückungsmaßnahmen.
Nach den gestohlenen Wahlen verliert das Regime seine Legitimität, hält sich jedoch weiterhin durch staatliche Repression, die Finanzierung illegaler Geschäfte und die Einnahmen aus Ölproduktion, die allerdings zurückgehen, an der Macht. Trotz dieser Mechanismen ist der politische Wille der Bevölkerung unverkennbar.
Die Opposition ist sich bewusst, dass die Rolle der USA und die Militärpräsenz des Southern Command den Prozess eines Machtwechsels beschleunigen können. Nachdem alle Vermittlungsversuche gescheitert sind – sei es über eine Interimspräsidentschaft, den Vatikan, Norwegen, die Grupo Lima oder andere internationale Initiativen – betont die Nobelpreisträgerin María Corina Machado, dass eine Verhandlung mit Maduro nur über seinen Rücktritt möglich ist.
Wird ohne Maduro Venezuela instabil?
Venezuela ist bereits extrem instabil unter Maduro. Die miserable Lage und die politische Unterdrückung zwangen mehr als 10 Millionen Venezolaner, ihre Heimat zu verlassen. Über 60 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, rund 20.000 Menschen wurden durch Gewalt und Repression seit der Einführung der bolivarischen Republik getötet, 884 politische Gefangene werden heute laut Foro Penal gezählt, ebenso wie zahlreiche inhaftierte Journalistinnen und Aktivistinnen.
Die Machtstrukturen des Landes zeigen deutliche Risse, besonders innerhalb der Streitkräfte. Die Opposition versucht derzeit, durch internen und externen Druck diese Risse zu vergrößern. Gleichzeitig existiert ein klarer Plan für die ersten 100 Stunden und die ersten 100 Tage nach einem Machtwechsel. Der gewählte Übergangspräsident Edmundo González und María Corina Machado verkörpern den politischen Willen für einen geordneten und demokratischen Wandel.
Ist die Opposition bereit für den Tag danach?
Die venezolanische Opposition unter der Führung von María Corina Machado ist heute so gut vorbereitet wie nie zuvor. Sie hat gelernt, ihre Gegner nicht zu unterschätzen, und die Zwischenzeit genutzt, um den Übergang sorgfältig vorzubereiten – von der Organisation am Tag des Machtwechsels über die ersten 100 Stunden bis hin zu den entscheidenden 100 Tagen sowie einem Wiederaufbauplan. Eine Amnestie für Teile des Militärs wurde angeboten, um Stabilität zu sichern.
Auch wenn die Opposition kein einheitlicher Block ist und unter den Bedingungen der Geheimhaltung agieren muss, verfügt sie über klare Ziele, eine klare Führung und einen konkreten Plan für den Übergang. Diese Organisation ist entscheidend, denn in einem autoritären Regime wie Venezuela kann die Bevölkerung nicht dauerhaft auf die Straße gehen, ohne Repression zu riskieren. Im entscheidenden Moment dürfte sich die Zivilgesellschaft mobilisieren, um das Ende der bolivarischen Albtraumherrschaft und den Übergang zu einer demokratischeren Ordnung voranzutreiben.
Ihr frisch veröffentlichtes „Manifesto für die Freiheit“ zeigt Machados Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Es fordert den Schutz der natürlichen Rechte aller Venezolaner und Venezolanerinnen, verankert individuelle Freiheiten, Demokratie, Marktwirtschaft und Privateigentum und wendet sich gegen staatliche Überregulierung.
Machado plädiert für die Privatisierung staatlicher Unternehmen und die Übergabe der Öl- und Gasindustrie an private Eigentümer, während der Staat lediglich faire Wettbewerbsbedingungen schaffen soll. Zudem fordert sie Rechenschaft über das Schicksal aller politischen Gefangenen und umfassende Reformen von Militär und Polizei, damit diese wieder zum Schutz aller Bürger dienen und nicht zu ihrer Unterdrückung.
Das Manifest skizziert eine ambitionierte Vision für ein erneuertes Venezuela. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob Venezuela diese historische Chance nutzt oder weiterhin im Schatten eines repressiven Regimes verharrt. Für die Freiheit, für den Wohlstand und für die Stabilität des Landes und der gesamten Region ist ein erfolgreicher demokratischer Übergang dringend wünschenswert.