Invasion der Ukraine
Seit 1945 war der Weltfrieden nicht derart gefährdet

Invasion der Ukraine
Ukrainische Soldaten am 24. Februar 2022 in der Hauptstadt Kiew

Ukrainische Soldaten am 24. Februar 2022 in der Hauptstadt Kiew

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picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Emilio Morenatti

Ich werde die Bilder nicht vergessen: Michael Chodokowski sitzt 2005 in einem Käfig im russischen Gerichtssaal. Der Prozess war von Anfang eine rechtsstaatliche Farce. Anwälte selbst wurden in Haft gesetzt, Yukos-Mitarbeiter und eine schwangere Mitarbeiterin wurden ohne Grund verhaftet.

Als ich dann kurz darauf meinen Bericht für den Europarat vorlegte, schlug mir in einigen Teilen der deutschen Öffentlichkeit Unverständnis entgegen. Putin, ein autoritärer Herrscher, der mögliche Kritiker ausschalten lässt? So genannte Telefonjustiz? Übertriebener Aktionismus, schallte es mir oft genug als Antwort entgegen. Der Europarat-Bericht wurde mehrheitlich angenommen. In kurzen zeitlichen Abständen ging es dann weiter: 2006 die Vergiftung von Alexander Litwinenko und die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja, das Schicksal des Anwalts Sergei Magnitski, der vom Verteidiger zum Angeklagten wurde und 2009 in der Untersuchungshaft wegen Unterlassung medizinischer Hilfe starb. 2015 wurde der bekannte Oppositionspolitiker Boris Nemzov von dem Kreml erschossen. Und immerhin, langsam sickerte auch eine kritischere Sicht auf das wieder autoritär gewordene Russland durch.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum Angriffskrieg Russlands.

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FNF

Dennoch wurde 2005 Nordstream 2 vereinbart, entscheidend eingefädelt von Gerhard Schröder mit Präsident Putin. Ganz in der Gewissheit, man habe ja auch mit der Sowjetunion regen Handel betrieben, begab sich die Bundesrepublik in eine neue und gewollte Abhängigkeit von russischem Gas. „Wandel durch Handel“, ganz in Anlehnung an die Ostpolitik, sollte das Motto sein. Der einzige Wandel war, dass das Putin-Regime immer autoritärer wurde und dass die unabhängige Presse, die Opposition und Anwälte systematisch ausgeschaltet wurden. Heute erscheint die Annexion der Krim wie der erste Akt dessen, was wir gerade erleben. Viel zu lange – acht Jahre lang – wurde von manchem deutschen Politiker und Experten immer wieder das Putin-Regime schöngeredet. Man müsse die Geschichte der Sowjetunion betrachten. Der Westen habe auch Fehler gemacht. Ich mag gar nicht die teils naiven Rechtfertigungsgründe wiederholen. 

Seit dem 24. Februar 2022 wissen wir, dass die Welt eine andere ist. Die Nachkriegsordnung, die in Europa Kriege zwischen einzelnen Staaten verhindert hat, ist zusammengebrochen. Die zahllosen Gespräche westlicher Politikerinnen und Politiker waren vollkommen unerheblich. Sie haben Putin nur Zeit zur Vorbereitung der militärischen Invasion verschafft. Der militärische Angriff auf die Ukraine – einen friedlichen Nachbarn – bedeutet die Isolation Putins in der westlichen Welt. Das mag ihm gleichgültig sein, aber Krieg möchte auch die russische Bevölkerung nicht. 

Viele Russen lehnen diesen Militarismus ab, auch wenn es immer noch ein Narrativ gibt, das sehr populär ist: Russland wolle per se Frieden und ziehe nur in den Krieg, wenn es dazu wegen angeblicher Bedrohung gezwungen werde. Auf diese falschen alternativen Fakten hat sich das Putin-Regime immer wieder vor dem russischen Volk berufen. Erst hat Russland 2008 Georgien angegriffen, weil es dazu „gezwungen" wurde. Dann die Ukraine im Jahr 2014. Nun also die Ukraine im Jahr 2022 – dieses Mal mit einem Angriffskrieg, um eine angebliche Entnazifizierung der Ukraine durchzuführen. 

Diesem brutalen und skrupellosen Vorgehen Putins kann nur mit klaren Entscheidungen begegnet werden, die wirken, auch wenn die westlichen Staaten davon selbst betroffen sind. Und die NATO muss zeigen, wozu sie fähig ist. Putin wird nur Einhalt geboten werden können, wenn der Westen zusammenhält. Zu keinem Zeitpunkt seit 1945 war der Weltfrieden stärker gefährdet.