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Bundestagswahl 2021
Die Ampel-Koalition wendet sich Indien zu

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Deutschlands künftige Regierung setzt auf neue Schwerpunkte in der Asien-Politik. Die größte Demokratie der Welt bekommt eine Schlüsselrolle in ihrer Indo-Pazifik-Strategie.

Vor neun Jahren flog Deutschlands designierter Bundeskanzler zum ersten Mal nach Indien. Damals war Olaf Scholz noch Hamburger Bürgermeister und warb für einen stärkeren wirtschaftlichen Austausch zwischen dem Subkontinent und seiner Heimatstadt. Auf der Reise besuchte er ein Gandhi-Museum in Mumbai und backte Fladenbrot in einem Sikh-Tempel in Delhi. Seine mitgereiste Delegation informierte sich in einem Slum am Rand der Hauptstadt über die Armut im Land. Auf die Frage, was ihn an Indien am meisten beeindruckt hat, antwortete Scholz hinterher: "Der Optimismus, Herausforderungen zu bewältigen. Und die Offensichtlichkeit der Demokratie und des demokratischen Lebensstils hier."

Der positive Blick auf das inzwischen fast 1,4 Milliarden Einwohner große Land dürfte künftig auch die Asien-Politik der neuen Bundesregierung prägen, der Scholz vorstehen wird. Die Parteien der Ampel-Koalition – SPD, Grüne und FDP – haben sich vorgenommen, die Beziehungen zu Indien weiter zu vertiefen. Der größten Demokratie der Welt kommt damit eine Schlüsselrolle in der Indo-Pazifik-Strategie der künftigen Bundesregierung zu.

Deutschlands im vergangenen Jahr vorgelegte Indo-Pazifik-Leitlinien haben das Ziel, die Beziehungen in Asien breiter aufzustellen und zusammen mit gleichgesinnten Staaten ein Gegengewicht zu Chinas stark wachsendem Einfluss zu schaffen. In ihrem Koalitionsvertrag bekräftigen die Ampel-Parteien dieses Ziel. Die Regierung setze sich für "eine freie und offene indo-pazifische Region auf der Grundlage globaler Normen und des Völkerrechts ein", heißt es in dem Papier. Von Kooperationen in der Region erhoffe man sich Fortschritte bei den Themen Multilateralismus, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Klimaschutz, Handel und bei der Digitalisierung. "Wir haben ein herausragendes Interesse an der Vertiefung unserer strategischen Partnerschaft mit Indien", stellen die Koalitionsparteien fest.

Außenpolitische Experten werten die Aussagen der künftigen Regierung als richtungsweisend. "Indien kommt in diesem Koalitionsvertrag genauso oft vor wie Frankreich, weil es auch eine dem Multilateralismus verpflichtete Demokratie ist", kommentierte die Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Cathryn Clüver Ashbrook, im "Tagesspiegel"[1]. Die neue deutsche Regierung denke globaler als ihre Vorgängerin und wolle ein wertegeleitetes internationales System stärken.

Indien hatte sich bereits frühzeitig der von Deutschland mitinitiierten "Allianz für Multilateralismus" angeschlossen. Indiens Premierminister Narendra Modi hatte zuletzt beim Ostasien-Gipfel im Oktober Indiens Bekenntnis zu einer regelbasierten internationalen Ordnung und die Unterstützung für einen freien und offenen Indo-Pazifik bekräftigt. Die Regierung in Neu-Delhi hat dabei vor allem den Nachbarn China im Blick: Die Beziehungen zwischen beiden Ländern hatten sich nach gewaltsamen Zusammenstößen an der Grenze im Himalaja im vergangenen Jahr deutlich verschlechtert. Indien sieht auch Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer mit Sorge: Ein Großteil von Indiens regionalem Handel läuft durch das Gewässer.[2] Ein stärkeres Engagement Deutschland in der Region wertet die Regierung in Neu-Delhi positiv.

Meinungsverschiedenheiten gibt es jedoch beim Klimaschutz. Am Ende des Weltklimagipfels in Glasgow kritisierte die designierte Außenministerin Annalena Baerbock: "Es ist bedauerlich, dass in der Schlussphase der Konferenz Indien und China die gemeinsame Forderung zum Kohleausstieg abgeschwächt haben." Die Länder hatten bei der Konferenz durchgesetzt, dass mit Blick auf den Kohleausstieg nur noch die Rede davon war, die Kohlekraft "herunterzufahren" – anstatt komplett auszusteigen.

Indien bezieht derzeit 70 Prozent seines Stroms aus Kohlekraftwerken und ist hinter China und den USA der drittgrößte CO2-Emittent der Welt. Doch eine Charakterisierung als Klimasünder hält die Regierung in Neu-Delhi für ungerecht: Unter Einbeziehung der Bevölkerungsgröße ist Indiens Ausstoß von Treibhausgasen weniger als halb so hoch als der globale Durchschnitt. Regierungschef Modi, der sein Land bis 2070 CO2-neutral machen möchte, sieht reiche Industrieländer in der Pflicht, Schwellenländern wie Indien beim Umstieg auf erneuerbare Energien mit mehr Geld zu helfen. Die SPD, Grüne und FDP sicherten in ihrem Koalitionsvertrag zu, die Zusagen für den deutschen Anteil an den 100 Milliarden US-Dollar der internationalen Klimafinanzierung zu erfüllen.

Das Thema Klimaschutz könnte auch bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien eine Rolle spielen. Die Ampel-Parteien setzen sich laut Koalitionsvertrag dafür ein, künftige Handelsverträge an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auszurichten und verweisen dabei explizit unter anderem auf das geplante Abkommen mit Indien. Der regelbasierte Freihandel solle auf Grundlage von fairen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Standards gestärkt werden, heißt es.

Genau verfolgen dürfte Indien auch die Afghanistan-Politik der künftigen Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag bekräftigen, die Ampel-Parteien, das Engagement für die Menschen in Afghanistan fortzusetzen und die Vereinten Nationen "zur Verhütung einer humanitären Katastrophe" in dem Land finanziell und personell zu unterstützen. Die FDP hatte bereits im Oktober gefordert, die Mittel für humanitäre Organisationen zu erhöhen[3]. Eine Anerkennung der Taliban-Regierung soll jedoch nicht automatisch mit den Hilfen einhergehen. Bedingung für eine Anerkennung seien laut Koalitionsvertrag "Inklusivität und an die Bewahrung der Menschenrechte".

Auch Indiens Premier Modi ist dagegen, die Taliban vorschnell als Afghanistans Regierung anzuerkennen. Er sprach sich zuletzt für ein international koordiniertes Vorgehen aus. Mit dem Abzug der westlichen Truppen und dem Sturz der Regierung des früheren Präsidenten Aschraf Ghani durch die Taliban hatte er einen Verbündeten in der Region verloren. Modi sorgt sich nun davor, dass das Land erneut zur Quelle von Terrorismus wird. Bei einem virtuellen G20-Treffen im Oktober betonte er: "Eine einheitliche internationale Reaktion ist notwendig, um die Lage in Afghanistan zu verbessern."

[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/gruenen-chefin-soll-neue-aussenmini…

[2] https://www.orfonline.org/research/strategic-signal-indian-presence-sou…

[3] https://www.liberale.de/content/schnelle-loesungen-fuer-afghanistan