EN

Europapolitik
Düstere Prognose für EU-Wirtschaft

Der für Wirtschaft zuständige EU-Kommissar Paolo Gentiloni gibt eine Pressekonferenz zur Vorstellung der Herbstprognose 2022 der Europäischen Kommission in Brüssel, Belgien

Der für Wirtschaft zuständige EU-Kommissar Paolo Gentiloni gibt eine Pressekonferenz zur Vorstellung der Herbstprognose 2022 der Europäischen Kommission in Brüssel, Belgien

© picture alliance / EPA | OLIVIER HOSLET

Im Gegensatz zur ersten Jahreshälfte ist die europäische Wirtschaft mit Herbstbeginn in eine deutlich schwierigere Phase eingetreten. Die Abhängigkeit vom russischen Gas und die Auswirkungen der Inflation zeigen sich nun ihrer vollen Konsequenz. Trotz der hohen Preissteigerungen insbesondere für Energie und Lebensmittel, erwartet die EU immer noch bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres trotzdem noch ein Wirtschaftswachstum von insgesamt 3,3 %. Hier hat sich besonders die Normalisierungsphase nach zwei langen Pandemiejahren bemerkbar gemacht: Conora-Maßnahmen sind europaweit gelockert, und der Erlebnishunger hat die Europäer erneut in Bewegung gesetzt: Es wird wieder gereist und der Gastronomiesektor sowie andere kontaktintensive Branchen profitieren von der allmählichen Rückkehr zum regulären Geschäft.

Die Inflation zeigt nun jedoch sehr deutlich, dass die finanziellen Mittel der europäischen Haushalte für länger anhaltende Spendabilität zu begrenzt sind: Die Europäer müssen sehen, wie sie finanziell über den Winter kommen. Für das kommende Jahr soll das Wachstum daher spektakulär geringer ausfallen: die Kommission hat es sogar noch einmal herunterkorrigiert und erwartet nun nur noch 0,3 % Zuwachs.

Rezession zum Jahresende erwartet: 2023 wird ein schwieriges Jahr für die Wirtschaft

Aktuell steht uns der Höhepunkt der Inflation noch bevor und dürfte uns zu Beginn des Winters am härtesten treffen. Die Kommission prognostiziert eine Rezession in den meisten EU-Mitgliedsstaaten ab dem Jahresende. Die einzig gute Nachricht ist, dass das schlimmste damit überstanden sein dürfte: Im Jahresdurchschnitt wird eine Gesamtinflation von 8,5 % in der EU zu verzeichnen sein, die im neuen Jahr sinken wird. Bis sich die Entspannung dann aber auch wirklich spürbar bemerkbar macht, müssen wir trotzdem noch das ganze kommende Jahr durchhalten: Die Gesamtinflation für 2023 wird immer noch auf 6,3 % geschätzt. Erst 2024 wird sie sich normalisieren. Auf den Konsum und die allgemeine Liquidität europäischer Haushalte wird dies längerfristige Auswirkungen haben. Subventionen zum Ausgleich der hohen Energiepreise zeigen hier Wirkung, aber sind natürlich nicht beliebig wiederhol- oder erweiterbar. Eine weitere gute Nachricht gibt es aber trotzdem noch: Die Entwicklung des europäischen Arbeitsmarktes wird von der Rezession nicht so schwer betroffen sein, wie eingangs befürchtet. Er wird mit Verzögerung auf den Wirtschaftseinbruch reagieren, aber insgesamt nicht ins Wanken geraten. Vorerst bleibt die Arbeitslosenquote in Europa so niedrig wie zuvor seit 10 Jahren nicht.

Die größte Sorge bleibt die Unsicherheit

Die wirtschaftlichen Folgen der Inflation wären leichter zu tragen und zu bewältigen, wenn der Ukrainekrieg nicht andauern und die gesamte EU in andauernde Unsicherheit versetzen würde. Zudem hat die Corona-Pandemie zu einer allgemeinen Entkopplung von Regulierungs- und und Deregulierungsprozessen zwischen einzelnen EU-Mitgliedsstaaten geführt. Dies führt zu einer fortdauernden Diversifizierung politischer Strategien, was wiederum die Bildung gemeinsamer Strategien wie auch gemeinsame Vorhersagen erschwert. Die wirtschaftlichen Aussichten und der künftige Rechtsrahmen sind nach wie vor mit einem außergewöhnlichen Maß an Unsicherheit behaftet, was nicht nur auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine zurückzuführen ist, sondern auch auf die Verabschiedung einer unberechenbaren Politik in der gesamten EU.

Aus liberaler Perspektive ist hierbei besonders eine erhöhte Bereitschaft von Regierungen zur Überregulierung in Reaktion auf politischen und wirtschaftlichen Druck bedenklich. Je stärker einzelne EU-Mitgliedsstaaten durch große Finanzierungspakete in den Markt eingreifen, desto stärker riskieren sie auch, den Inflationsprozess dadurch noch stärker anzuheizen.

In Zeiten des andauernden Kriegs und der weiterhin zunehmenden Polarisierung globaler Kräfteverhältnisses sind Regierungen in der EU hier angehalten, mit Bedacht vorzugehen und längerfristige Selbstregulierungsprozesse globaler Märkte in ihre Maßnahmenplanung mit einzubeziehen.

 

Matyáš Pospíšil beendet derzeit sein Studium der Rechtswissenschaft an der Karlsuniversität Prag, wo er sich auf European Studies und Internationale Beziehungen spezialisiert. Nach einer Tätigkeit als Policy Analyst für den tschechischen Think Tank CETA absolviert er aktuell ein Praktikum bei der im Europäischen Dialogprogramm der FNF in Brüssel.

Dr. Nele Fabian ist Sinologin und Politikwissenschaftlerin. Sie ist European Affairs Managerin im Europäischen Dialogprogramm der FNF in Brüssel und betreut dort die Themenbereiche Wirtschaft, Innovation und Umwelt.