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Bosnien & Herzegowina
Eine nationale Wahl mit drei Nationen

Bosnien

Am 2. Oktober finden Parlamentswahlen in Bosnien und Herzegowina statt

© picture alliance / EPA | FEHIM DEMIR

Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission von Bosnien und Herzegowina sind 3,4 Mio. Bürgerinnen und Bürger für die Teilnahme an den Wahlen registriert, davon 2,1 Mio. in der Föderation Bosnien und Herzegowina – also dem bosniakisch-kroatischen Landesteil – und 1,3 Mio. in der Republika Srpska, der serbischen Entität. Aufgrund starker Abwanderungstendenzen führt das staatliche Einwohnermeldeamt jedoch nur noch 2,7 Mio. Menschen als in Bosnien und Herzegowina lebend. Das Wählerverzeichnis bleibt davon jedoch unberührt, so dass alle Staatsbürgerinnen und -bürger, die einen Personalausweis, Reisepass oder Führerschein besitzen, als Wähler registriert sind. Rechnet man die mehr als 400.000 Bürgerinnen und Bürger hinzu, die zwischen 2013 und 2018 ihren ständigen Wohnsitz in der EU hatten, wird die Diskrepanz noch deutlicher.

Die überhöhten Zahlen im Wählerverzeichnis sorgen für mindestens zwei Probleme: einerseits ist eine Manipulation mit ungenutzten Stimmzetteln in den Wahllokalen möglich, andererseits resultieren daraus ungenaue Zahlen zur Wahlbeteiligung. Die offizielle Wahlbeteiligung in Bosnien und Herzegowina lag zuletzt bei 50-55 Prozent, während die realistische Wahlbeteiligung angesichts der überhöhten Zahlen in den Wählerverzeichnissen bei 65-75 Prozent lag.

Im Allgemeinen haben die Bürgerinnen und Bürger Bosnien und Herzegowinas kaum Vertrauen in den Wahlprozess. Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in die Zentrale Wahlkommission, aber auch in andere gesamtstaatliche Institutionen, gering ist. Zurückliegende Wahlfälschungen festigen diese Stimmung. Bei der Kommunalwahl 2020 im serbischen Landesteil wurden in der Stadt Doboj, die 63.711 Wähler zählt, rund 17.000 Stimmzettel angefochten. Bisher wurden 79 Wahlhelfer wegen versuchten Wahlbetrugs angeklagt, aber noch keiner wurde für schuldig befunden oder verurteilt.

Ein Deutscher als Schiedsrichter

Am 25. Juli erließ der von den Vereinten Nationen eingesetzte Hohe Repräsentant, der Deutsche Christian Schmidt, zur Überraschung vieler eine Reihe weitreichender Änderungen des Wahlgesetzes. Der Hohe Repräsentant überwacht seit 1995 auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates die Umsetzung der zivilen Aspekte des Daytoner Friedensabkommens und hat weitreichende Gesetzesbefugnisse. Mit den Änderungen sollten unter anderem gegen den weit verbreiteten Betrug und den Tausch von Plätzen in den Wahlausschüssen, die Verwendung von Hassreden während des Wahlkampfs, aber auch gegen den Missbrauch staatlicher Mittel vorgegangen werden.

Doch sowohl der Zeitpunkt – mitten im Wahlprozess, der am 5. Mai begann – als auch die vage gehaltenen Vorgaben, die nicht detailliert genug zu sein schienen, um Fehlverhalten zu verhindern, stießen viele Bosnier vor den Kopf. Beobachterinnen und Beobachter denken, dass die Vorbehalte des Hohen Repräsentanten diesmal vor allem der bosniakisch-kroatischen Föderation gelten, die an dem Scheitern einer Wahlrechtsreform in den vergangenen anderthalb Jahren nicht unschuldig war.

Trotz der emotional vorgetragenen Intervention des Hohen Repräsentanten gibt es besorgniserregende Berichte über den Austausch von Sitzen in den Wahlausschüssen, der angeblich bereits im serbischen Landesteil stattfindet. Angaben von „Transparency International“ zufolge hat die Wahlkommission inzwischen 36 Beschwerden über Verstöße gegen das Wahlgesetz, verfrühte Wahlkampfaktionen und den Missbrauch staatlicher Mittel erhalten, die in den jüngsten Änderungen des Hohen Vertreters nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die illegale Verwendung öffentlicher Mittel für parteipolitische Zwecke wird von „Transparency International“ auf einen dreistelligen Millionenbetrag geschätzt, der insbesondere vor Wahlen drastisch ansteigt.

Parteien befördern ethnische Konflikte

Bosnien und Herzegowina wird oftmals als eine Gesellschaft wahrgenommen, die entlang ethnischer Linien irreparabel gespalten ist, und der politische, stark auf Ethnizität reduzierte Diskurs scheint dies zu bestätigen. Umfragen bestätigen jedoch, dass die wichtigsten Themen für die Bevölkerung nicht diejenigen Themen sind, über die in der Öffentlichkeit am meisten diskutiert werden: Vielmehr sorgen sich die Bürgerinnen und Bürger um ihre Arbeitsplätze, die weit verbreitete Korruption, Vetternwirtschaft, Gesundheit, Bildung und Sozialleistungen, während die „großen“ politischen Themen entweder gar nicht oder nur in sehr geringem Maße auftauchen.

Die liberale Partei „Naša stranka“ („Unsere Partei“) gehört zu den wenigen politischen Akteuren, die versuchen, den Status quo zu verändern und sich auf Themen zu konzentrieren, die für die Wählerinnen und Wähler wichtig sind. Während andere Parteien interethnische Konflikte befördern, um „das Beste“ für „ihre Bevölkerungsgruppen“ herauszuholen, schafft es die nicht ethnisch organisierte Partei, den Fokus auf für die Wählerschaft relevante Themen zu legen. Dies macht sie anfällig für Kritik von allen Seiten, da sie sich angeblich auf „weniger wichtige“ Themen konzentriert und „die Verteidigung der Nation“ anderen überlasst. Ungeachtet dessen ist es „Naša stranka“ gelungen, ihren Kurs beizubehalten, selbst als es den breiten Rückhalt bei den Wählerinnen und Wählern zu beeinträchtigen drohte. Grundsätzlich hat sich „Naša stranka“ als einzige politisch konsequente und verlässliche Partei in Bosnien und Herzegowina behauptet, was in der gegenwärtigen Lage schon ein Alleinstellungsmerkmal ist.

Dr. Adnan Huskić ist Projektmanager für Bosnien und Herzegowina für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit Sitz in Sarajevo.