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Philippinen
Die Persönlichkeit schlägt das politische Programm

Leni Robredo

Die philippinische Vizepräsidentin Leni Robredo winkt ihren Anhängern während einer Wahlkampfveranstaltung zu

© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Oliver Haynes

Politische Parteien auf den Philippinen sind schwach, deshalb konzentrieren sich Wahlkämpfe und Wahlen auf die Persönlichkeiten der Kandidaten. Das zeigt sich auch an der beachtlichen Zahl von fast 100 Filipinos, die bis Ende 2021 ihre Kandidatur für das Amt des Präsidenten eingereicht haben. Nachdem die offiziellen Behörden "Störenfried-Kandidaten" von der Liste gestrichen hatten, stehen nun 10 finale Kandidaten zur Wahl. Unter den ersten fünf befinden sich ein ehemaliger Boxchampion, ein ehemaliger Schauspieler sowie ein ehemaliger Polizist, dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Der allgemeine Mangel an starken und klaren Parteiprogrammen ist auch auf den Straßen sichtbar: Große Plakate, auf denen nur die Namen und Gesichter der Kandidaten abgebildet sind, sind selbst in den kleinsten Dörfern des Landes allgegenwärtig.

Der Fokus auf die Persönlichkeiten der Kandidaten könnte sogar dazu führen, dass die Ära Duterte in gewisser Weise fortgesetzt wird: Sara Duterte, Tochter des Noch-Präsidenten Rodrigo Duterte und Vizepräsidentschaftskandidatin, profitiert von der ungebrochenen Popularität ihres Vaters trotz dessen gewaltsamer Herrschaft. Unter allen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten würde Sara Duterte nach den jüngsten Umfragen mehr als 50 Prozent aller Stimmen erhalten.

Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat ist nach den jüngsten Umfragen mit rund 55 Prozent der Stimmen Ferdinand "Bongbong" Marcos Jr., Sohn des verstorbenen Diktators Ferdinand Marcos Sr., der die Philippinen fast zwei Jahrzehnte bis zu seinem Sturz im Jahr 1986 unter Kriegsrecht regierte. Marcos' stärkste Gegnerin ist die derzeitige Vizepräsidentin Leni Robredo von der oppositionellen Liberal Party. Durch den unermüdlichen Einsatz ihrer Unterstützer, die Straßenumzüge mit Hunderttausenden Menschen organisierten, hat ihre Kampagne in den Wochen vor der Wahl an Momentum gewonnen - aber ist die Bewegung stark genug, um das Blatt zu wenden?

Der Wiederaufstieg der Familie Marcos

Familiendynastien sind auf den Philippinen in allen Ebenen von Politik und Regierung üblich. Die Rückkehr der Familie des ehemaligen Diktator Marcos in die Politik war jedoch ein außergewöhnlicher und lange im Voraus geplanter Schachzug. Bereits 2019 veröffentlichte das unabhängige und investigative Nachrichtenportal Rappler.com Berichte, die Desinformationskampagnen aufdeckten, mit denen die Marcos-Familie ihr Image aufpolieren wollte. Gleichzeitig versuchten Marcos-Anhänger, Trolle und Fake-Accounts in den sozialen Medien die Geschichte zu revidieren, indem sie die damalige allgegenwärtige Korruption und die Menschenrechtsverletzungen leugneten, für die Marcos Sr. verantwortlich zu machen ist. In den ersten drei Jahren, nachdem das Kriegsrecht verhängt wurde, ließ Marcos Sr. rund 50.000 kirchliche Mitarbeiter, Menschenrechtsverteidiger, Anwälte, Gewerkschaftsführer und Journalisten verhaften und ins Gefängnis sperren. In krassem Gegensatz dazu stellen Marcos‘ Unterstützer die Diktatur jetzt als "goldenes Zeitalter" dar.

Desinformation als Wahlkampftaktik

Vor allem die Jüngeren sind für das aufpolierte Social-Media-Image empfänglich: Das Durchschnittsalter auf den Philippinen liegt bei 25 Jahren, das Land hält den Weltrekord mit durchschnittlich vier Stunden täglicher Nutzung von sozialen Medien. Diese Kombination macht junge Wähler noch empfänglicher für Falschinformationen, da sie die Marcos-Diktatur weder selbst miterlebt haben noch in der Schule darüber aufgeklärt werden. Das philippinische Bildungswesen vernachlässigt die dunkle Ära unter der Herrschaft von Marcos Sr. In den Philippinen können bestimmte Social-Media-Kanäle kostenlos genutzt werden, ohne dass kostenpflichtige Datenvolumen in Anspruch genommen werden müssen. Auf diese Weise sind diese Plattformen oft die primäre und einzige Informationsquelle für die philippinische Bevölkerung, in der die Armut bei etwa 25 Prozent liegt. Die Algorithmen der Plattformen und Programme verhindern einen weiteren Austausch außerhalb der eigenen Echokammern, was einseitige Ansichten und Denkweisen unter den Filipinos weiter fördert. Die Wirkung dieser Desinformationsmechanismen zeigt sich in den Altersgruppen, die für "Bongbong" Marcos stimmen würden: Die Anhänger des Sohnes des verstorbenen Diktators werden um rund ein Drittel weniger wenn sie alt genug sind, das Kriegsrecht selbst miterlebt zu haben.

So sehr Ferdinand "Bongbong" Marcos als aufstrebender Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf von Desinformationen profitierte, so sehr rückten sie seine stärkste Gegnerin, die derzeitige Vizepräsidentin Leni Robredo, in ein negatives Licht. Bereits 2016 konkurrierten Robredo und Marcos um das Amt der Vizepräsidentin. Robredo gewann die damalige Wahl mit rund 250.000 Stimmen. Trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofs, welches die Behauptungen von Ferdinand Marcos Jr. widerlegte, Robredo habe die Wahl durch Wahlbetrug gewonnen, hält sich das Gerücht einer "gestohlenen Wahl" hartnäckig in den philippinischen sozialen Medien - nur eines von vielen Beispielen für die gezielten Diffamierungsaktionen, denen Leni Robredo im Vergleich zu anderen Präsidentschaftskandidaten am meisten ausgesetzt ist.

Skandale im Austausch für sachlichen Wahlkampf

Nicht nur Desinformation, sondern auch Skandale beherrschten die Monate vor den Wahlen am 9. Mai. Eine der größten Kontroversen betraf die generelle Eignung von "Bongbong" Marcos für die Präsidentschaftswahlen. Ferdinand Marcos Jr. steht wegen nicht gezahlten Erbschaftssteuern vor Gericht. Die ausstehenden Erbschaftssteuern resultieren aus dem wohl unrechtmäßig erworbenen Reichtum seines verstorbenen Vaters, welches dieser während seiner Zeit als Diktator angehäuft hatte, bis die Familie 1986 gestürzt wurde und ins Exil flüchtete. In einer Petition werden die Steuerschulden inzwischen auf über 203 Milliarden PHP geschätzt, wenn man Zinsen, Zuschläge und andere Strafgebühren hinzurechnet. Die philippinische Verfassung verbietet es Filipinos für das Präsidentenamt zu kandidieren, wenn sie wegen eines Verbrechens verurteilt worden sind. Die Einsprüche gegen die Steuerschulden von Marcos werden derzeit noch vom Gerichtshof bearbeitet.

Nur wenige Tage vor der Wahl werden entsprechende Einsprüche, um eine Disqualifizierung von "Bongbong" Marcos zu erreichen, noch von der philippinischen Wahlkommission geprüft. Neben einem potenziell nicht qualifizierten Spitzenkandidaten sorgten mehrere Meldungen über Doppel-Registrierungen von fast 900.000 philippinischen Wählern, die mehrfache Ausgabe von Stimmzetteln an Bürger im Ausland und fehlerhafte Stimmzettel für Wähler in der Diaspora für Aufregung im laufenden Wahlkampf. Zusätzlich sorgen die offiziellen Umfragewerte für Spannung: während Leni Robredo in den ersten vier Wochen des offiziellen Wahlkampfs, also seit Februar, 10 Prozentpunkte gewinnen konnte und in der Gunst von ca. einem Viertel der Wähler liegt verringerte sich die Zustimmung für „Bongbong“ Marcos um ca. fünf Prozentpunkte. Weiterhin würden gut die Hälfte aller Wähler für den Sohn des ehemaligen Diktators stimmen. Da Umfragewerte auf den Philippinen mit einigen Wochen Verzögerung veröffentlich werden zeigen sie eher einen Trend als die aktuellen Zahlen innerhalb der Wählerschaft. Bei der anstehenden Wahl bleibt es also spannend bis zum Schluss: Reicht das Momentum von Leni Robredo um einen Wahlsieg zu erreichen?