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Wahlen
Philippinen: Sara Duterte und das politische Erbe ihres Vaters

Die Tochter des philippinischen Präsidenten könnte den menschenverachtenden Kurs ihres Vaters fortsetzen
Sara Duterte
Sara Duterte (links) mit einer Unterstützerin nach der gewonnen Wahl zur Bürgermeisterin im Jahr 2019 © picture alliance / Kyodo

„Run, Sara, Run“: Werbeplakate für eine Kandidatur von Sara Duterte für die anstehende Präsidentschaftswahl sind auf den Philippinen allgegenwärtig. Offiziell entschieden hat sich die Tochter des amtierenden Präsidenten noch nicht – in Umfragen liegt sie aber weit vor allen anderen Kandidaten. Würde sie den brutalen, menschenverachtenden Kurs ihres Vaters fortsetzen?

Um die Frage zu beantworten, zu welchen Mitteln Sara Duterte greift, wenn sie sich durchsetzen will, reichen wenige Minuten Videomaterial. Die Bürgermeisterin der philippinischen Millionenstadt Davao ist darauf zu sehen, wie sie mit geballten Fäusten auf einen Amtsrichter eindrischt, der die gerichtlich angeordnete Räumung von Häusern in einem Slum der Stadt durchsetzen will. Erst trifft sie sein Gesicht, dann trommelt sie auf Kopf und Rücken des Mannes ein, der versucht, sich wegzuducken. Kurz darauf ist sie noch dabei zu sehen, wie sie an seinen Haaren zieht. Hintergrund des Ausrasters war, dass sie ihn um eine zweistündige Verschiebung der Räumung gebeten hatte, um diese friedlich ablaufen zu lassen, doch die Räumung ging weiter voran. Die umstehenden Bewohner des Slums klatschen, als Sara nach den Handgreiflichkeiten den Ort verlässt. Zehn Jahre ist der Vorfall nun her, doch die Geschichte wird immer noch erzählt.

Sara, die in den Medienberichten dazu den Spitznamen „die Schlägerin“ bekam, gilt spätestens seitdem ebenso als „harter Hund“ wie ihr Vater Rodrigo Duterte, der seit 2016 die Philippinen regiert. Auch ihm wurden Auffälligkeiten und Ausraster nie zum politischen Verhängnis. Er riet seiner Tochter dazu, sich für die Faustschläge nicht etwa zu entschuldigen. Im Gegenteil: Sie solle sich selbst feiern, schließlich habe sie versucht, ihre Leute zu beschützen.

Am 25. Mai 2022 könnte die dreifache Mutter die nächste Präsidentin der Philippinen werden. In Umfragen liegt Sara Duterte schon seit Monaten weit vor anderen möglichen Kandidaten für die Nachfolge ihres Vaters. Im Juni etwa kam sie auf Zustimmungswerte von über 28 Prozent. Auf dem zweiten Platz landete mit knapp 14 Prozent weit abgeschlagen ihr Konkurrent aus Manila, der dortige Bürgermeister Isko Moreno. Angefangen hat der Wahlkampf offiziell noch nicht, und noch ist auch nicht klar, ob Sara Duterte tatsächlich antreten wird. Seit Monaten aber hängen bereits Wahlplakate mit dem Spruch „Run, Sara, Run“ in vielen Städten des südostasiatischen Inselstaates. Auf die Frage, ob sie „offen“ sei, sich als Kandidatin für die Präsidentschaftswahl aufstellen zu lassen, antwortete sie kürzlich mit: „Ja“. Noch vor wenigen Wochen hatte sie das konsequent abgelehnt: „Es gibt Menschen, die nicht Präsident werden wollen. Ich gehöre dazu“. Und ihr Vater sagte öffentlich, das Amt sei nichts für eine Frau, die sei zu emotional. Dennoch deutet jetzt alles auf Saras Kandidatur hin. Die Salami-Taktik erinnert an das Vorgehen ihres Vaters, der vor seinem Wahlkampf 2016 auch immer wieder beteuert hatte, sich nicht aufstellen lassen zu wollen – um es dann doch zu tun. Diverse Parteien haben bereits ihr Interesse an einer Koalition mit Saras Partei Hugpong ng Pagbabago (HNP) angemeldet, solle sie sich aufstellen lassen.

Menschenrechtsverletzungen, Einschüchterungen, Beschimpfungen

Die Juristin betrat 2007 zum ersten Mal an der Seite ihres Vaters die politische Bühne, der damals noch Bürgermeister von Davao war. Drei Jahre später wechselten sie die Posten und Sara wurde Bürgermeisterin, ihr Vater Vize. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Umfragen zufolge sind 93 Prozent der Bürger mit ihrer Bürgermeisterin zufrieden – ihr Vater erreicht in seiner Amtszeit 2010 knapp 85 Prozent Zustimmung. Dass eine Tochter die Nachfolge ihres Vaters auf kommunalpolitischer Ebene antritt, ist auf den Philippinen nichts Neues, sagt Prof. Ramon Casiple, geschäftsführender Direktor des Institute for Political and Electoral Reform (IPER) auf den Philippinen. "Wenn man den Vater wählt, wählt man die Familie." Sara Duterte werde als sehr loyal gegenüber ihrem Vater wahrgenommen, sagt Prof. Casiple im Interview mit freiheit.org. Bei den Nichtregierungsorganisationen allerdings genieße sie eine höhere Akzeptanz als ihr Vater. Es bestehe daher die Hoffnung, dass sie für Verhandlungen mit NGOs auch auf nationaler Ebene offen sei.

Sara Duterte würde als Präsidentin ein vor allem im Ausland hoch umstrittenes politisches Erbe antreten. Ihr Vater Rodrigo Duterte hatte sich bei seinem Wahlkampf 2016 vor allem mit dem Versprechen hervorgetan, ähnlich brutal wie in Davao, wo er ebenfalls viele Jahre Bürgermeister war, landesweit gegen Drogensüchtige und Dealer vorgehen zu wollen. Nach seiner Wahl machte er sich an die Umsetzung seines sogenannten Anti-Drogen-Kriegs: Nach offiziellen Angaben kamen von 2016 bis heute mehr als 6000 Menschen bei Einsätzen dazu ums Leben. Nach Darstellung der Polizisten handelte es sich allermeist um Notfallsituationen, in denen die Verdächtigten als erste zur Waffe gegriffen hätten. Recherchen von Journalisten und Menschenrechtsorganisationen belegten in zahlreichen Fällen das Gegenteil. Hinzu kommen Tötungen sogenannter „Todesschwadronen“, die auch schon in Davao Unheil angerichtet hatten. Opfer der außergerichtlichen Tötungen stammen vor allem aus dem armen Teil der Bevölkerung, aus den Slums, es sind auch Straßenkinder unter den Getöteten. Die Gesamtzahl der Opfer wird von Menschenrechtsorganisationen auf ein vielfaches der offiziellen Zahl geschätzt.

Ein weiteres Kennzeichen der Ära Rodrigo Dutertes ist die systematische Einschüchterung von Menschenrechtsverfechtern und der Opposition. Eine der schärfsten Kritikerinnen Dutertes, Senatorin Leila de Lima, sitzt seit 2017 in Haft. Vor wenigen Monaten setzte zudem Duterte ein neues Anti-Terror-Gesetz durch, das Angst unter liberalen Kräften im Land schürt, denn darin ist der Terrorbegriff so weit gefasst, dass sich das Gesetz auch für die politische Agenda des Präsidenten einspannen ließe. Mit Duterte verrohte in den vergangenen Jahren auch die Sprache des Staatsoberhauptes. Er beschimpft nicht nur andere Politiker, sondern auch den Papst und vor allem Frauen, die ihm im Weg stehen. Trotz allem kann er nun nach fünf Jahren auf eine enorme Beliebtheit in der Bevölkerung verweisen: Umfragen zufolge sprechen sich bis zu 90 Prozent der Befragten für den Kurs des Präsidenten aus.

Diese Beliebtheit kann Rodrigo Duterte allerdings nicht nutzen, um sich ein zweites Mal zum philippinischen Präsidenten wählen zu lassen – die Verfassung untersagt eine weitere Amtszeit nach der sechsjährigen Regentschaft. Damit würde auch seine Immunität erlöschen. Derzeit untersucht etwa die Chefanklägerin vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag, Duterte wegen der Menschenrechtsverbrechen im Zusammenhang mit dem sogenannten Anti-Drogen-Krieg zur Rechenschaft zu ziehen. Um sich dem zu entziehen, könnte er sich zum Vizepräsidenten wählen lassen. Experten allerdings bezweifeln, dass er in dem Posten ebenfalls Immunität wie zuvor als Präsident genießen würde.

Duterte-Gespann für 2022?

Möglich, dass Sara Duterte mit ihrem Vater als möglichem Vize antreten könnte – was Vertraute der Presse gegenüber ausschließen. Auch Prof. Casiple hält es für unwahrscheinlich, dass dies geschieht. "Das ist nicht Teil der normalen politischen Kultur hier auf den Philippinen. Man kann das auf lokaler Ebene machen, aber es wäre das erste Mal auf nationaler Ebene." Ob Sara Duterte die brutale Anti-Drogen-Kampagne ihres Vaters fortsetzen würde, ist ebenfalls ungewiss. Sie hat sich nie öffentlich zu diesem Thema geäußert. "Als sie Bürgermeisterin in Davao wurde, hat sie dort einfach die Anti-Drogen-Kampagne ihres Vaters fortgesetzt. Aber das Problem dort ist inzwischen eingedämmt, in Davao ist es kein großes Thema mehr", sagt Prof. Casiple. Der Nachrichtenagentur Reuters gegenüber sagte sie lediglich, dass Prävention und Wiedereingliederung Teil der Drogenpolitik sein müsse – aber auch, dass Strafverfolgungsbehörden „schnell am Auslöser“ sein sollten.

"Sie ist keine öffentliche Verfechterin der Menschenrechte", fügt Prof. Casiple hinzu. Wahrscheinlich würde sie die Menschenrechtsverteidiger tolerieren, aber nur so weit, wie sie die Politik ihres Vaters nicht gefährdet sieht. "Wenn die Interessen des Vaters verletzt werden, dann ist auch die Tochter getroffen", prognostiziert Prof. Casiple. Aber sie könnte eine deutlichere Abkehr von der Politik ihres Vaters in der Außenpolitik verfolgen. Ihr Vater hatte sich der Führung in Peking angedient, und damit den alten Verbündeten USA mehrmals brüskiert. Sara, die 2020 ein Führungstraining den USA absolvierte, sagte Reuters gegenüber, die Philippinen sollten sich aus dem Zwist zwischen China und den USA heraushalten und sprach sich stattdessen für einen multilateralen Ansatz aus. Das Gleichgewicht zwischen ihren eigenen politischen Überzeugungen und der Loyalität gegenüber ihrem Vater könnte für Sara Duterte zu einem Problem werden, sagt Prof. Casiple. Er glaubt, dass sie am Ende dennoch die Interessen ihres Vaters verteidigen würde.

Wie tolerant sie den verbalen Auswürfen ihres Vaters gegenüber ist, bewies sie bereits in dessen Wahlkampf 2016. Zum internationalen Entsetzen kommentierte der Präsidentschaftskandidat damals den Fall der1989 auf den Philippinen ermordeten Australierin Jacqueline Hamill, die Vergewaltigern zum Opfer fiel, mit den Worten: „Ich hätte der erste sein sollen“. Sara spielte den Vorfallanschließend herunter indem sie sagte, auch sie sei Opfer einer Vergewaltigung, störe sich aber dennoch nicht an dem „Witz“ ihres Vaters. Rodrigo Duterte nannte sie anschließend vor Reportern eine „Drama Queen“. Woher Sara ihre Härte hat, konnte sich danach jeder vorstellen.