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Liberalismus
Walther Rathenau – früher Wegbereiter einer liberalen Politik der internationalen Verständigung

Walther Rathenau
Undatierte Aufnahme des deutschen Außenministers Walther Rathenau. © picture-alliance / dpa | dpa  

Der Politiker, Publizist und Industrielle Walther Rathenau (1867-1922) gehört zu den bedeutendsten deutsch-jüdischen Persönlichkeiten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Er profilierte sich als wortgewaltiger Kritiker des politischen Systems, der gesellschaftlichen Verhältnisse und herrschenden Kultur seiner Zeit.

Heute vor 100 Jahren, am 31. Januar 1922, wurde Rathenau im Kabinett von Reichskanzler Joseph Wirth zum Außenminister in der Weimarer Republik berufen, in einer Koalition aus Linksliberalen, Sozialdemokraten und Zentrum. In seiner kurzen Zeit in diesem Amt – nach nicht einmal fünf Monaten wurde er Opfer einer rechtsradikalen Verschwörung gegen die Republik – begründete Rathenau eine liberale Tradition der deutschen Außenpolitik: Annäherung an die westlichen Werte mit dem Ziel einer Bindung an den Westen sowie gleichzeitig die Verständigung mit den Nachbarstaaten und Russland. Mit seinem außenpolitischen Primat des Gewaltverzichts und der internationalen Kooperation trug Rathenau – auf lange Sicht – zur Umorientierung der deutschen und gesamten europäischen Außenpolitik bei. 

Als Intellektueller, Jude, Publizist und Unternehmer hatte sich Rathenau zu zahlreichen Fragen konzeptionell geäußert, politischen, kulturellen und wirtschaftlichen. Gerade wirtschaftliche Verflechtungen verbürgten für ihn am ehesten die Sicherung friedlicher Koexistenz. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs, 1913, forderte er demgemäß die wirtschaftliche Einigung, denn dann würde „dem nationalistischen Hass der Nationen der schärfste Stachel genommen. Verschmilzt die Wirtschaft Europas zur Gemeinschaft, […] so verschmilzt auch die Politik. Das ist nicht der Weltfriede, nicht die Abrüstung und nicht die Erschlaffung, aber es Milderung der Konflikte, Kräfteersparnis und solidarische Zivilisation.“ Innenpolitisch setzte er noch im Kaiserreich auf Reform, plädierte für ein umfassendes demokratisches Wahlrecht und die Sammlung linksliberaler Kräfte – hier schienen ihm die Chancen für einen gesellschaftlichen Fortschritt am größten. Im Ersten Weltkrieg bewies Rathenau dann sein Talent als kriegswichtiger Organisator in der Rohstoffversorgung und schuf damit die Grundlage für seinen politischen Aufstieg. Dieser blieb allerdings heftig umstritten: Zeitlebens war Rathenau Zielscheibe hasserfüllter antisemitischer Anfeindungen. 

Nach dem fehlgeschlagenen Versuch einer eigenen Parteigründung schloss sich Rathenau nach dem Krieg der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) an und gehörte seit Sommer 1921 ihrem Parteivorstand an. Von Anfang an plädierte er innen- und außenpolitisch für die Verständigung mit den ehemaligen Kriegsgegnern im Westen. Ansatzpunkt war das vernünftige Kalkül, dass eine Verbesserung der deutschen Lage zunächst die Bewältigung der Kriegsfolgen, insbesondere der Reparationen bedingte. Damit gehörte er nicht zur Mehrheit im politischen Bürgertum, zumal er den Wiederaufstieg der Wirtschaft nicht nur als nationale Aufgabe im deutschen Alleingang definierte, sondern diesen im Zusammenspiel der europäischen Mächte sah.  

Einsicht in die Notwendigkeit außenpolitischer Kooperation

Denn Rathenau war zu der Einsicht gelangt, dass der sicherlich bedrückende „Versailler Vertrag“ nicht durch Obstruktion und Verweigerung, sondern nur durch Kooperation überwunden werden könnte und dass davon ganz Europa profitieren würde: „Es handelt sich darum, einen Kontinent wiederherzustellen. Die Lösung des Problems wird darin bestehen, dass erkannt wird die enge Verflochtenheit und Verbundenheit der europäischen Nationen, dass erkannt wird die freiwillige oder unfreiwillige Schicksalseinheit eines ganzen Kontinents […].“ So Rathenau im Juli 1921, und es war folgerichtig, dass er schon als Berater der Reichsregierung, dann als Wiederaufbauminister im Herbst 1921 und schließlich als Außenminister die Verständigung mit den Siegermächten, vor allem mit Frankreich suchte, was ihm auch im „Wiesbadener Abkommen“ gelang. Von rechter Seite brachte ihm dies die verhängnisvolle Schmähung als „Erfüllungspolitiker“ ein. 

 Nach seiner Ernennung zum Außenminister konnte Rathenau an der Umsetzung dieser friedenspolitischen Ziele einer konstruktiven Transformation der Kriegsgesellschaften weiterarbeiten. Exemplarisch stehen dafür seine Ausführungen auf der Friedenskonferenz in Genua im Frühjahr 1922: In Europa müsse der latente Kriegszustand, der an die Stelle der offenen Feindseligkeiten getreten sei, durch eine Phase der vertrauensvollen Zusammenarbeit, gerade auch auf wirtschaftlichem Gebiet beendet werden. Dazu müssten alle Beteiligten als gleichberechtigte Partner – also auch Deutschland und das international isolierte Russland – anerkannt werden. Vornehmlich weil bei der Konferenz in Genua Mitte April 1922 keine Annäherung mit dem Westen in der Reparationsfrage in Sicht war, vereinbarte die deutsche Regierung mitsamt dem zögernden Rathenau im Gegenzug ein Abkommen mit der verfemten Sowjetunion, in das mehr hineininterpretiert worden ist, als tatsächlich Sache war. Rathenaus Zögern erklärte sich durch seine Sorge, dass eine Einigung mit Russland auf keinen Fall bedeuten dürfe, „mit den Westmächten in Konflikt zu kommen“. Ganz unberechtigt waren diese Befürchtungen nicht, wie sich gerade hinsichtlich der daraufhin verhärtenden französischen Haltung erweisen sollte. 

Dieser außenpolitische Erfolg in Genua verstärkte den Hass der Republikgegner von rechts auf Rathenau aber weiter: Mit Rathenaus Ermordung 1922 versuchten diese die gemäßigte, auf internationalen Ausgleich und wirtschaftliche Verflechtung setzende Politik auszulöschen. Dies sollte – jedenfalls zunächst – nicht gelingen, denn mit dem Liberalen Gustav Stresemann wurde der Faden friedenssichernder internationaler Politik der Verständigung wieder aufgenommen. Die Person Rathenau wurde für diese Politik zum Symbol und zur Projektionsfläche all dessen, was den Republikfeinden, Antisemiten und Populisten verhasst war: Als Jude, als Vertreter des politischen demokratiebejahenden Liberalismus, als Verweigerer populistischer Vereinfachungen und Ressentiments. Insofern verteidigte Rathenau unter schwierigen innen- und außenpolitischen Bedingungen das Recht und die Rechtsordnung, die Menschenrechte, wirtschaftliche Freizügigkeit und die Zusammenarbeit gegen antiliberale, antidemokratische und nationalistische Engstirnigkeit.