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Stadt, Land, Spaltung?

Zahlreiche schneebedeckte Traktoren stehen auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor.

Zahlreiche schneebedeckte Traktoren stehen auf der Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor.

© picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Vergangenen Montag haben die Bauernproteste in Deutschland ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Tausende Demonstranten haben sich zu einer Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor versammelt, um ihren Unmut über die geplanten Einsparungen deutlich zu machen. Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, hat für die nächsten Wochen bereits weitere bundesweite Aktionen in Aussicht gestellt.

Demonstrationen spiegeln auch eine Stadt-Land-Spaltung wider

Die friedlichen Demonstrationen richten sich ganz konkret gegen den Abbau bestehender Steuervergünstigungen in der Landwirtschaft. Zu einem Teil könnten die Proteste jedoch auch Ausdruck einer anderen Entwicklung sein: einer sich verstärkenden emotionalen Spaltung zwischen Stadt und Land.

Das Leben in den Städten dominiert unsere Diskussionen über Verkehrskonzepte, Digitalisierung, Energiewende, Wohnen und Lebensstile. Die Wahrheit ist, dass die Lebenswirklichkeit für einen erheblichen Teil der Bevölkerung eine gänzlich andere ist. Viele ländliche Räume kämpfen gegen wachsenden Leerstand – und nicht gegen steigende Mietpreise. Und in vielen ländlichen Räumen stellt man sich die Frage, wann der letzte Bus nach Hause fährt – und nicht, wie man den nächsten Stau am besten umgeht.

Stadt und Land sind unterschiedlich – zum Glück!

Städtische und ländliche Regionen sind und waren schon immer unterschiedlich. Zum Glück! Denn auch die Menschen sind verschieden und haben unterschiedliche Vorlieben bei ihrer Wahl des Wohnorts. Die einen bevorzugen das städtische Chaos, andere die ländliche Ruhe. Doch es ist sehr wohl ein Problem, wenn die Unterschiede zwischen Stadt und Land zu groß werden und der ländliche Raum aufgrund schlechter Voraussetzungen nicht mehr als Wohnort in Betracht gezogen wird. Kommt es erst einmal zu einem Abwanderungsprozess, lässt sich der Teufelskreis aus sinkenden Steuereinnahmen, schlechter werdender Infrastruktur und weiterer Abwanderung nur schwer aufhalten.

Stadt, Land, Spaltung? – Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze

Unser Policy Paper „Stadt, Land, Spaltung?“ geht der Frage nach, ob uns eine Spaltung zwischen Stadt und Land bevorstehen könnte. Dabei fällt auf, dass es bereits Uneinigkeit bei der Frage gibt, was der ländliche Raum überhaupt ist. Eine exakte Definition existiert nicht – weder weltweit noch in Deutschland. Unterschiedliche Quellen weisen daher auch unterschiedliche Bevölkerungsanteile für ländliche Regionen in Deutschland aus. Die Schätzungen bewegen sich zwischen 20 und fast 60 Prozent.

Die Analyse von 30 Indikatoren zu unterschiedlichen Themenbereichen zeigt, dass es in Deutschland erhebliche Stadt-Land-Unterschiede gibt. Städtische Regionen sind wirtschaftlich stärker, beheimaten eine jüngere Bevölkerung und weisen eine deutlich bessere infrastrukturelle und medizinische Versorgung auf. Doch es gibt auch positive Entwicklungen auf dem Land. Insbesondere die Arbeitslosigkeit ist signifikant gesunken und liegt inzwischen sogar unterhalb des Niveaus in Städten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei all diesen Zahlen um Durchschnittswerte handelt. Es gibt einzelne Städte mit enormen Problemen, genauso wie florierende ländliche Gegenden.

Kreistypen in Deutschland

Kreistypen in Deutschland

© BBSR

Welche Perspektiven gibt es für den ländlichen Raum?

Aussichtslos ist die Situation keineswegs. Die derzeitige Revolution der Arbeitswelt mit einem Aufstieg des mobilen Arbeitens in Zusammenspiel mit einem sich verstärkenden Fachkräftemangel schafft für den ländlichen Raum neue Perspektiven, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. So könnte der ländliche Raum zum neuen Gründungshotspot werden, der das Arbeiten im Grünen ermöglicht und den Traum vom Eigenheim für mehr Menschen Realität werden lässt. Und warum sollte aus der aktuellen Debatte nicht tatsächlich der lang ersehnte Bürokratieabbau für die Landwirtschaft hervorgehen, der ländliche Räume zum Zentrum für Hightechlandwirtschaft werden lässt.

Dies ist alles kein Selbstläufer. Es braucht eine bestmögliche digitale Infrastruktur auch abseits der Speckgürtel, eine moderne Verkehrsinfrastruktur, um Stadt und Land optimal zu verbinden, eine Service-orientierte Verwaltung und eine Politik, die den Erwerb von Wohneigentum unterstützt. Doch vor allem braucht es auch den Abbau unnötiger Bürokratie, damit ländlichen Räumen wieder die notwendigen Freiheiten zugestanden werden.

Fazit

Der ländliche Raum ist für Deutschland von enormer Relevanz. Sie sind der maßgebliche Ort der Lebensmittelproduktion. Sie sind Heimat äußerst erfolgreicher mittelständischer Unternehmen. Sie nehmen eine Schlüsselrolle beim Ausbau erneuerbarer Energien ein. Und sie prägen mit ihrer Vielfalt das Erscheinungsbild der Bundesrepublik. Um die Spaltung zwischen Stadt und Land zu verhindern, braucht es nicht neue Förderprogramme, sondern weniger Bürokratie und mehr Gestaltungsfreiheiten für die Menschen vor Ort.