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Russland
Russische Einflussnahme in Deutschland

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© picture alliance/dpa | Bodo Marks

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Selbstverständlichkeit von Frieden und Sicherheit in Europas als Irrglauben entblößt, die seit über siebzig Jahren bestehende regelbasierte internationale Ordnung in Frage gestellt und den globalen Machtwettbewerb verschärft. Mit dem Beginn seiner großangelegten Invasion untergrub der Kreml auch die jahrzehntelang entgegenkommende deutsche Ostpolitik. In diesem Zusammenhang hat Moskau sich dafür entschieden die einseitige Abhängigkeit, die aus der umstrittenen Entscheidung Deutschlands und vieler anderer europäischer Nationen bei ihrer Energiewende auf russisches Gas als Übergangsbrennstoff zu setzen, entstanden ist, als Waffe gegen diese Länder einzusetzen. Chinas anhaltende Unterstützung des Kremls, wenn auch eher zurückhaltend und in diplomatische Formulierungen eingebettet, hat dazu beigetragen, die Weltgemeinschaft in gegnerische Lager zu spalten. Dies hat auf globaler Ebene zu einer Zunahme der transaktionalen Diplomatie geführt, die meist auf Kosten Russlands und der Europäischen Union (EU) geht. Moskaus und Pekings wirksamstes Instrument in dieser neuen Periode der globalen Rivalität ist die Staatsunterwanderung – der Einsatz von zersetzendem Kapital oder anderen Formen des wirtschaftlichen oder geopolitischen Zwangs, um staatliche, oligarchische oder private Wirtschaftsressourcen so zu lenken, dass man erwünschte außenpolitische Ziele erreicht und dabei trotzdem noch von den Regeln des internationalen freien Marktes profitiert. Für das Überleben und den Wohlstand eines demokratischen Europas ist die Entkopplung und/oder Risikominderung von den zerstörerischen Auswirkungen dieses Unterwanderungsmodells von größter Bedeutung.

Inkonsequente Durchsetzung von Sanktionen

Die EU und Deutschland als ihre stärkste Volkswirtschaft und bevölkerungsreichste Demokratie wollen ihre globale Stellung stärken, indem sie gemeinsame transatlantische Verteidigungs- und Sicherheitsbemühungen aufrechterhalten, ihre interne demokratische Widerstandsfähigkeit stärken und ihre Wirtschafts- und Investitionssicherheit gewährleisten. Russland entgegenzukommen, obwohl seine Außenpolitik die europäische Sicherheit aktiv untergräbt, wie es die EU nach der Annexion der Krim tat, ist nicht länger vertretbar. Fast ein Jahrzehnt später, im Zuge der großangelegten Invasion in der Ukraine im letzten Jahr, haben sowohl die EU im Ganzen als auch viele ihrer Mitgliedstaaten Maßnahmen ergriffen, um ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland zu verringern und letztendlich zu beenden. Zu diesem Zweck verhängten sie eine Reihe von Wirtschaftssanktionen gegen den Kreml und sein Netzwerk staatlich kontrollierter Unternehmen und stellten den Import von russischem Gas und Öl ein.

Während die Sanktionen wirksam dazu beigetragen haben, einige Finanzbeziehungen zwischen Europa und russischen Unternehmen zu durchbrechen und den Einsatz von Energie als Waffe durch den Kreml zu verhindern, war ihre Durchsetzung in besorgniserregendem Maße inkonsequent. Dies hat sich insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle sensibler Technologien und Dual-Use-Güter sowie die Störung offener und verdeckter Einflussnetzwerke von Unternehmen als besorgniserregend erwiesen. Die deutsche Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um ihre Abhängigkeit von russischen Importen fossiler Brennstoffe nahezu vollständig zu beenden und die zerstörerische Präsenz des Unternehmens Gazprom in der deutschen Wirtschaft zu beenden. Allerdings gibt es weiterhin Schwachstellen in Schlüsselsektoren, und es sind weitere, umfassendere politische Maßnahmen vonnöten, um Deutschland vollständig von den russischen Staatsunterwanderungsnetzwerken abzukoppeln, die die Kriegsmaschinerie des Kremls antreiben und weiterhin die wirtschaftliche Sicherheit und die demokratischen Institutionen sowohl Deutschlands als auch der EU bedrohen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Versuche, sich von Russland zu entkoppeln, durch die zunehmende Abhängigkeit von China eingeschränkt werden. Die deutsche Regierung hat die Problematik dieser Abhängigkeit in ihrer ersten Nationalen Sicherheitsstrategie anerkannt, die darauf abzielt, Risiken für die Wirtschaft zu verringern und auf wirtschaftliche Partnerschaften mit verbündeten Staaten zu setzen. Allerdings lässt die Bezeichnung Chinas als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ auch erkennen, welch zögerliche Haltung das Land einnimmt, wenn es darum geht, Maßnahmen zu ergreifen, um der wachsenden wirtschaftlichen und politischen Durchsetzungskraft Chinas weltweit entgegenzuwirken.

Im Rahmen des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit wurden spezifischere Maßnahmen zur Risikominderung vereinbart, darunter die Einführung eines EU-Instrument gegen Zwangsmaßnahmen, um Länder davon abzuhalten, Handel oder Investitionen einzuschränken oder damit zu drohen, um eine Änderung legitimer Politik in der EU herbeizuführen, und die Gründung eines „Clubs für kritische Rohstoffe“, um langfristige Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern für einen fairen und nachhaltigen Handel aufzubauen, der allen beteiligten Ländern zugutekommt.“

Verschmelzung der politischen und der wirtschaftlichen Interessen Russlands

Der wirtschaftliche Einfluss Russlands in Deutschland ist das Ergebnis des Einsatzes verschiedener strategischer Instrumente aus dem Kreml-Playbook-Werkzeugkasten. Diese Instrumente reproduzieren die innerstaatliche Unterwanderungsfähigkeit des Kremls in Russland, wo die beiden bestimmenden Merkmale des politischen Regimes in Moskau, Autokratie und Korruption, die Grenze zwischen staatlichem und Privatkapital verwischen. Die Konzentration der wirtschaftlichen und politischen Macht in den Händen einer kleinen Zahl derzeitiger oder ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter festigte den Einfluss des Kremls auf die russische Gesellschaft und ermöglichte es ihm, seine revisionistische Außenpolitik fortzusetzen. Die innenpolitische Verschmelzung geschäftlicher und politischer Interessen in Russland spiegelt sich in der europäischen Außenpolitik und Strategie des Landes wider. Diese Einflusskampagne nutzt die soziale, wirtschaftliche und politische Polarisierung sowie demokratische Defizite und Lücken in der Regierungsführung, die wichtige Angriffspunkte für den Kreml und andere autoritäre Einflüsse darstellen, aus und gedeiht auf ihnen.

In Deutschland hat sich der Kreml sowohl auf institutionelle Wegbereiter als auch auf Regierungslücken verlassen, unter anderem in Form von Korruption und Voreingenommenheit in Politik und Regierung, der ineffektiven Durchsetzung bestehender Gesetze und Polarisierung in den Medien. Der Kreml nutzt vier wiederkehrende Instrumente zur Einflussnahme des russischen Staates in Deutschland: die Förderung großer Energieprojekte mit russischer Beteiligung, die Unterstützung politischer Parteien mit antiwestlichen Agenden, die Verflechtung strategischer Unternehmen und Vermögenswerte in langfristige Geschäfte mit russischen oder mit Russland verbündeten Unternehmen und die Überflutung des Cyber- und Medienraums mit Desinformation und Propaganda. Russlands Oligarchen, die in vielen Fällen vom Staat ernannt werden, brauchen Zugang zur Regierung, um ihren Reichtum zu bewahren und zu vermehren. Im Gegenzug nutzt der Kreml ihren Reichtum, um seine außenpolitischen Ziele voranzutreiben.