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Archiv des Liberalismus
Rebekka Denz: Bürgerlich, jüdisch, weiblich

Frauen im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1918-1938)
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In ihrer im Jahr 2016 an der Freien Universität Berlin abgeschlossenen, nun publizierten Dissertation widmet sich Rebecca Denz einem Thema, das sich in vielerlei Hinsicht mit Fragen der jüdischen Selbstbehauptung, jüdischer Organisationsgeschichte und weiblicher Teilhabe und Einflussmöglichkeit an dieser beschäftigt. Nicht unabsichtlich wird dabei die Reihenfolge der die Frauen im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) charakterisierenden Adjektive im Titel des Bandes gewählt sein; sie spiegelt im Grunde bereits sowohl die Grundhaltung als auch das Selbstverständnis der untersuchten Gruppierung im gewählten Zeitraum wider.

Die sich der Durchsetzung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung, der Aufklärungsarbeit und dem Kampf gegen den Antisemitismus im deutschen Kaiserreich widmende, einflussreiche, größte bzw. mitgliederstärkste deutsch-jüdische Vereinigung, der im Jahr 1893 gegründete CV, rekrutierte sich primär aus dem religiös-liberalen, weitgehend akkulturierten deutschen Bürgertum. Die Tatsache der darin zum Ausdruck kommenden Mehrfachidentität und –identifikation als deutscher Staats-Bürger jüdischen Glaubens war u.a. das Ergebnis des langwierigen Emanzipationsprozesses in Deutschland im 19. Jahrhundert, der in der 1871 ausgesprochenen rechtlichen Gleichstellung der Juden kulminierte, die jedoch eher die Gleichberechtigung des Individuums denn die einer sozialen Gruppe mit eigenständiger Religion und kulturellen Eigenheiten meinte. Die Akkulturation an die bürgerliche Gesellschaft, Nation und deren Werte stand dabei der jüdischen Identität, Selbstverortung und dem individuellen Selbstverständnis gegenüber.

Frauen konnten dabei erst recht spät, nach Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes von 1908, der lang umkämpften Möglichkeit, (politischen) Vereinen und Parteien beizutreten, wirksam werden. Auch dem CV schlossen sich in den Folgejahren mehr und mehr Frauen an, denen sich nun auch außerhalb der bisher traditionell sehr umfänglichen ehrenamtlichen Tätigkeiten im jüdischen Vereins-, Sozial- und Gemeindewesen damit auch ein neues Aufgabenfeld im öffentlichen gesellschaftlichen Leben eröffnete. Von vornherein setzten sich Frauen daher auch in vielfältiger Weise für die Unterstützung der Vereinsziele ein. Denz fokussiert in ihrer Studie auf dieses „Wirken, [die] Wirkung und [die] (Selbst-)Organisation von Frauen im C.V. innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches im Zeitraum zwischen 1918 bis 1938“ (S. 309) sowie auf deren Arbeitsfelder, Rollenzuweisungen und die sich wandelnden Geschlechternormen. Mit dem gewählten Zeitfenster wurde damit bewusst die Phase zwischen der Erlangung des Frauenwahlrechts und der Zwangsauflösung des CV und der Novemberpogrome Ende 1938 berücksichtigt. Denz umschreibt damit die Phase unmittelbarer quantitativ und qualitativ höchster Präsenz von Frauen in politischen Funktionen, die dann im Verlauf der folgenden Jahre vermehrt abnimmt und letztlich in der Behinderung bzw. dem Ausschluss jüdischer Männer und Frauen vom politischen wie gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben durch die Nationalsozialisten gipfelte.

In drei großen Blöcken untersucht Denz einerseits die weibliche Organisationsgeschichte, die Rolle der Frau im jüdischen Bürgertum, ihre Erfahrungs- und Lebenswelten, die Wirkungs- und Themenbereiche und die Verortung in der Frauenarbeit des CV – auch in Bezug zum Verhältnis gegenüber der jüdischen Frauenbewegung (Jüdischer Frauenbund). Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Analyse der Arbeit der lokalen Frauengruppen des CV und ihres Verhältnisses zum jüdischen Frauenbund, insbesondere aber auf dem eigentlichen Arbeitsschwerpunkt von Frauen im CV, dem Pressewesen. Dieser Teil macht auch den größten und quellenmäßig am intensivsten erarbeiteten Anteil der Studie aus. Genutzt wurde dabei ein großes Quellenkonvolut an Presseerzeugnissen des Vereins aber u.a. auch das bis 1990 nicht zugängliche Archiv des CV.

Die sehr umfängliche und akribische Quellenanalyse untermauert dabei die anfänglich von Denz postulierte Annahme, dass die Akteurinnen aufgrund ihres Selbstverständnisses als deutsch, jüdisch und aufgrund ihres Geschlechts eine „multiple Zugehörigkeit oder hybride Identität“ aufwiesen (S. 11). Dies wird in den kollektivbiographischen Darstellungen von elf Protagonistinnen ebenso anschaulich wie anhand der von ihnen gewählten Themenbereiche, der Tatsache ihrer unterschiedlichen Verankerung im Verein wie auch ihres individuellen Beitrags in der Presse- und Vereinsarbeit. Entsprechend heterogen wird so auch das Frauenbild in der CV-Presse der Jahre 1918 bis 1938 wiedergegeben: Zwischen traditionellem (jüdischem) Frauenbild und dem Bild von modernen, berufstätigen, sowohl gesellschaftlich als auch politisch agierenden Staatsbürgerinnen liegt eine Vielzahl von nebeneinander existierenden unterschiedlichen Frauenrollen und -bildern. Dies unterschied sich jedoch wohl kaum von den Gegebenheiten im nicht-jüdischen gesellschaftlichen Umfeld. Es war Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen und politischen Entwicklung der damaligen Zeit. Hier wie dort blieb aber der Dreh- und Angelpunkt – auch bei der der Studie zugrundeliegenden Betonung des jüdischen Frauenbezugs, der Benennung und dem Wandel von beschriebenen Frauenrollen im Rahmen des CV und seines Pressewesens – die allgemeine gemischtgeschlechtliche Bezugsgröße. Männer waren stets dominierende Protagonisten, bestimmten Tätigkeitsfelder, traditionelle Frauenbilder und Wirkungsmöglichkeiten eben auch im CV mit. Ebenso aber waren es gerade auch die Zeichen der damaligen Zeit, dass den Frauen ganz allgemein neue Zugänge, auch im Pressewesen, möglich wurden. Dies war keineswegs nur eine im CV festzustellende Besonderheit, sondern ein Ergebnis der emanzipatorischen Entwicklung der Vorkriegszeit, die auch den Frauen als künftigen Akademikerinnen auch in Zeitungsredaktionen neue Arbeits- und Artikulationsmöglichkeiten schuf – gerade in der Haupt- und Pressestadt Berlin. In der nicht-jüdischen wie auch in der jüdischen Presse finden sich daher divergierende Zugänge von Frauen in unterschiedlichen Positionen mit unterschiedlicher Präsenz und Wirkungsmöglichkeit, die nicht nur auf frauenspezifische Themen fixiert war.

Die Abhängigkeit des Judentums von der Akzeptanz und der Behandlung durch die ‚nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft‘ hingegen war stets der Punkt, an dem sich das Selbstverständnis, der Wandel im religiösen Verständnis und letztlich auch tradierte Rollen, wie eben insbesondere das Frauenbild und die Aufgabe der Frau in der jüdischen Gesellschaft, festmachen lassen. Die Bedeutung des CV, der ganz bewusst Ende des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung und Aufklärungsorganisation (auch für die nicht-jüdische Gesellschaft!) gegen den bestehenden Antisemitismus und auch als Identitätsstifter deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ins Leben gerufen wurde, stieg mit zunehmender antijüdischer Anfeindung. Er ließ auch die dort agierenden Frauen wieder näher an jüdische-religiöse Traditionen und Frauenbilder heranrücken – in ganz konsequenter Abwendung und bewusster Sammlung gegen die zunehmende Bedrohung, die vom Nationalsozialismus aus der deutschen Gesellschaft heraus ausging. Jüdische Aufklärungs- und Bildungsarbeit auf dem Gebiet traditionellen jüdischen Lebens, Religionshabitus‘ und jüdische Kultur wurden dann wieder verstärkt zu einem Thema der aktiven Frauenarbeit.

Sich mit der Rolle von jüdischen Frauen in deren eigenen Vereinen, Bewegungen oder Organisationen gerade in der Zeit der Weimarer Republik zu beschäftigen, heißt im Grunde immer auch, die nicht-jüdische Gesellschaft, das nicht-jüdische Umfeld als ‚Antagonisten‘ mitzudenken: sowohl als Indikator einer positiven Entwicklung – etwa im Rahmen der Emanzipationspolitik – oder eben negativ in der Phase der zunehmenden Bedrohung vor und nach 1933. Denz‘ Studie ist eine grundlegende, die Aufarbeitung der Rolle der jüdischen Frau – nicht nur im Rahmen des CV und seiner Presseorgane – verstärkt in den Blick nehmende und neu kontextualisierende Untersuchung. Manches bleibt mangels konkreter Nachweise offen, wird aber von der Verfasserin zumindest in dem speziellen Kontext thematisiert oder gemutmaßt; manchmal wird der Leser durch das Mitdenken der in Klammern gesetzten Zusatzinformationen oder Ergänzungen etwas überstrapaziert: Eine damit verbundene zweite Informationsebene erscheint dabei nicht immer leserfreundlich (S. 196 f.); Fragen ergeben sich allenfalls bei all der umfassenden Thematisierung m.E. durch die Betonung einer gewissen, zumindest der Leserschaft u.U. suggerierten, auf Exklusivität ausgerichteten verkürzten Sicht auf die agierenden vorgestellten jüdischen Frauen. Sie sind gerade auch in Bezug auf die festgestellte „multiple Zugehörigkeit und hybride Identität“ in einem weiter gefassten gesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten – im jüdischen wie auch nicht-jüdischen Kontext: sozialisiert als bürgerliche Töchter (akkulturierter/assimilierter) jüdischer Familien, als Ehefrauen oder Alleinstehende, als von der Modernisierung der Nachkriegsgesellschaft und des Bildungswesens profitierende Akademikerinnen an den Universtäten, als politisch oder gesellschaftlich Agierende und allgemein als Berufstätige, als Teil der (bürgerlichen) Frauenbewegung etc. – kurz: als Teil einer sich in einer Umbruchphase befindlichen deutschen Gesellschaft.

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Liberale Literatur unter der Lupe 1/22

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