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Öffentliche Unternehmen in Deutschland

Das unbekannte Ausmaß öffentlicher Unternehmen in Deutschland

Die deutsche Wirtschaftsordnung folgt der Idee der sozialen Marktwirtschaft. Der Staat setzt und überwacht den Rahmen, innerhalb dessen sich die Marktakteure frei entfalten können. In der Realität – und mit nur geringer öffentlicher Aufmerksamkeit – ist der Staat aber nicht nur Regelsetzer und -überwacher. Er ist vielmehr auch selbst als wirtschaftlicher Akteur auf den von ihm überwachten Märkten aktiv. Für diese als „wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand“ geläufigen Aktivitäten bedienen sich staatliche Akteure häufig sogenannter öffentlicher Unternehmen.

Öffentliche Unternehmen entstehen durch Ausgliederung öffentlicher Aufgaben in eine rechtlich selbstständige oder unselbstständige Unternehmung. Dies kann auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene erfolgen. Die Produkte und Dienstleistungen, die öffentliche Unternehmen anbieten, sind vielfältig. Grundsätzlich ist ihnen allerdings gemein, dass es sich dabei um öffentliche Güter oder zumindest Mischgüter handelt, für die die öffentliche Hand (und wenn auch nur historisch bedingt) einer gewissen Darbietungspflicht unterliegt.

Die Analyse „Öffentliche Unternehmen in Deutschland“ liefert nun einen umfassenden Überblick über die Bedeutung und das relativ unbekannte Ausmaß der wirtschaftlichen Betätigung öffentlicher Unternehmen in Deutschland. Zudem enthält das Papier eine fundierte wissenschaftliche Einschätzung dazu, inwiefern die zunehmende Wirtschaftstätigkeit öffentlicher Unternehmen überhaupt gerechtfertigt ist.

Im Jahr 2019 existierten in Deutschland etwa 19.000 öffentliche Unternehmen. Der überwiegende Anteil von ca. 87,5 % entfällt auf öffentliche Unternehmen im mehrheitlichen Eigentum von Kommunen, weitere ca. 10 % auf die Unternehmen der Bundesländer. Ferner verteilen sich öffentliche Unternehmen auf unterschiedlichste Branchen, wobei zu beachten ist, dass die reine Anzahl nicht zwingend auf die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Branchen schließen lässt (siehe Abbildung 1).

grafik 1

Das Ausmaß der wirtschaftlichen Betätigung öffentlicher Unternehmen nimmt stetig zu. Seit dem Jahr 2003 ist die Zahl öffentlicher Unternehmen um 43 Prozent gestiegen. Bei den Umsatzerlösen beträgt der Zuwachs im selben Zeitraum sogar 123 Prozent (siehe Abbildung 2). Öffentliche Unternehmen sind damit ein großer und überdurchschnittlich ansteigender Wirtschaftsfaktor für die deutsche Volkswirtschaft. Genauso bedeutend ist jedoch auch der Einfluss öffentlicher Unternehmen auf die Verschuldung des gesamten öffentlichen Bereichs. Im Fall von Baden-Württemberg beträgt die Verschuldung der öffentlichen Unternehmen das 3,75-fache der Verschuldung der kommunalen Kernhaushalte.

grafik 2

Eine repräsentative Befragung der deutschen Bevölkerung kommt zu dem Ergebnis, dass öffentlichen Unternehmen durchaus eine Legitimität zugesprochen wird. Eine Sonderrolle für öffentliche Unternehmen im Vergleich zur Privatwirtschaft besteht jedoch keinesfalls. So gibt es mehrheitlich keine Bereitschaft in der Bevölkerung, höhere Preise für Leistungen öffentlicher Unternehmen zu zahlen. Öffentliche Unternehmen werden also nur dann mehrheitlich akzeptiert, wenn sie einen konkreten Mehrwert für die Bevölkerung schaffen.

Öffentliche Unternehmen nehmen insbesondere dann eine notwendige Rolle für die deutsche Wirtschaftsordnung ein, wenn nur durch ihre Wirtschaftstätigkeit (z.B. aufgrund von Einschränkungen des Marktes) die Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Gütern und Dienstleistungen in der gesellschaftlich gewünschten Menge gewährleistet werden kann. Auch sofern öffentliche Unternehmen für eine Intensivierung des Wettbewerbs sorgen, können sie eine im ordnungsökonomischen Sinne positive Wirkung entfalten. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sie als gleichberechtigte Wettbewerber zur Privatwirtschaft auftreten. Sofern die öffentliche Hand als Regelsetzerin ihre Befugnisse und Gestaltungsmacht derart einsetzt, dass sie öffentlichen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft, entsteht jedoch eine marktschädigende und wettbewerbsverzerrende Wirkung.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der ordnungsökonomische Rahmen als Grundstein der deutschen Wirtschaftsordnung öffentlichen Unternehmen durchaus eine Existenz- und Tätigkeitsberechtigung zuweist. Dieser weist allerdings ebenso klare Grenzen auf, welche immer dann erreicht werden, wenn aus einer Zuträglichkeit zum Wettbewerb ein Hindernis wird.

Marcus Sidki ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik an der Hochschule Ludwigshafen. Die Analyse „Öffentliche Unternehmen in Deutschland“ entstand im Rahmen des Freedom Fellowships am Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Ein Gastkommentar von Prof. Marcus Sidki zur Rolle öffentlicher Unternehmen in Deutschland ist in der aktuellen Ausgabe der KOMMUNAL sowie hier zu lesen:

https://kommunal.de/oeffentliche-unternehmen-gewinnen-bedeutung