EN

China
Grasschlammpferd und Flusskrabben gegen Chinas Internetzensur

Alpaka

Alpaka 

© © picture alliance/EPA-EFE | ALEX PLAVEVSKI

China überwacht, beschränkt und zensiert das Internet. Trotzdem gelingt es Nutzern über „sensible“ Inhalte zu sprechen - mit Wortspielen und Kreationen. Unermüdliche, kreative Internetnutzende und der ebenfalls unermüdliche Zensurapparat spielen Katz und Maus.

Die chinesische Regierung begann 2009 „vulgäre“ Sprache im Internet zu zensieren. Als die Beleidigung cào nǐ mā 操你妈 (in etwa: „Fick deine Mutter“) verboten wurde, kreierten Internetnutzer das fast gleichklingende, neue Wort cǎo ní mǎ 草泥马. Es bedeutet „Grass-Schlammpferd“ und wird seitdem verwandt, um Unmut zu artikulieren. Aus unpolitischen Anfängen hat sich das Grasschlammpferd mittlerweile zu einem Symbol der Kritik an Zensur entwickelt. Das Grasschlammpferd wird heute meist als Alpaka dargestellt und taucht in verschiedenen Memes und Videos auf, um die Zensur aufs Korn zu nehmen. Um ihre Meinung äußern zu können, kreieren chinesische Internetnutzende immer mehr Worte, Wortspiele, Anspielungen und Metaphern. Das Grasschlammpferd ist am berühmtesten. Nach ihm wurde das Lexikon benannt, das die Kreationen erklärt, mit denen chinesische Internetnutzende gegen die Zensur kämpfen: das Grass-Mud Horse Lexicon.

Die Kommunistische Partei Chinas kontrolliert das Internet mit dem „ausgeklügelten Internet-Zensurapparat der Welt“. Internationale soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sowie Suchmaschinen wie Google sind aus dem chinesischen Internet nicht erreichbar. Hinter der großen Firewall gestaltet sich das chinesische Internet völlig anders als unseres. Statt Google nutzt man Baidu, statt Twitter Weibo, statt WhatsApp WeChat. All diese inländischen Plattformen werden rigoros kontrolliert. Unter staatlicher Aufsicht beschäftigen Chinesische Tech-Firmen Zensoren und entwickeln komplexe Algorithmen, um sensible und politische Inhalte ausfindig machen und zu löschen. Suchen nach „Tankman“ oder „Tiananmen Massaker“ generieren nur Fehlermeldungen. Den Internetnutzenden drohen Strafen für Kommentare über „sensible“ Themen, seit kurzem sogar schon für das „liken“ unerwünschter Posts.

Doch wo Zensur ist, gibt es immer auch Versuche, sie zu umgehen. Zensuralgorithmen, die nur nach verbotenen Begriffen suchen, lassen sich dabei durch Codesprache austricksen. Ausgangspunkt dieser Vermeidungsstrategie sind wie im Falle des Grasschlammpferdes oft Homophone, also gleichklingende Wörter, von denen die chinesische Sprache außerordentlich viele hat. Oft unterscheidet sich die Aussprache eines Wortes dabei nur im Ton, der in der lateinischen Umschrift durch einen Akzent dargestellt wird. Die logographischen Schriftzeichen sind trotz der ähnlichen Aussprache in Aussehen und Bedeutung oft völlig verschieden, wie – zurück zum Grass-Schlammpferd“ - bei cào nǐ mā 操你妈und cǎo ní mǎ 草泥马. Solche Codes sind nicht immer auf einen Blick zu entschlüsseln – schon gar nicht für Algorithmen.

Wortspiele beschränken sich nicht auf Homophone. Auch mit der Form chinesischer Schriftzeichen spielt man, um möglichst unsichtbar für die Zensur sensible Themen anzusprechen: Statt Freiheit (zìyóu 自由) verwenden einige den Nonsens-Neologismus „Augen-Feld“ (mùtián 目田). Die Schriftzeichen ähneln sich. Schneidet man den Zeichen für Freiheit den Kopf ab, erhält man „Augen-Feld“. Ein denkender Mensch weiß, was damit gemeint ist. Aber ein Algorithmus, der nur nach bestimmten Zeichen sucht, geht darüber hinweg. Zur Variation der Schriftzeichen kommt der kreative Einsatz von Emojis oder Zahlen, zum Beispiel „535“, also 35. Mai, für den 4. Juni, dem Tag des Tiananmen-Massakers, oder S für sǐ 死, den Tod. Beliebt sind auch historische Anspielungen wie dìdū 帝都, Kaiserliche Hauptstadt, als kritischer Name für Beijing.

Wer über die Zensur selbst sprechen will, kann neben dem Grasschlammpferd auch über „Flusskrabben“ reden. Das chinesische Wort Flusskrabbe (“héxiè” 河蟹) klingt fast genauso wie das Wort für Harmonie (“héxié” 和谐). Harmonie ist das erklärte Ziel der KPCh, in dessen Namen die Zensur betrieben wird. Die Ähnlichkeit von Harmonie und Flusskrabbe inspirierte den regimekritischen Künstler Ai Weiwei 2013 zu einer Installation aus 3.200 Flusskrabben. Als dann auch das Wort Flusskrabbe verboten wurde, sprachen Internetnutzende stattdessen über Fisch oder über Meeresfrüchte. So spielten sie auf die Flusskrabbe an und blieben den Zensoren einen Schritt voraus. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Aus simplen Codewörtern entwickelt sich ein ganzes Netz aus Anspielungen und Metaphern, die Algorithmen austricksen.

Besonders gefährlich wird dieses Spiel, wenn ein Thema brisant ist oder es gar zu einer Massenbewegung kommt. Dann reagieren Zensoren sehr empfindlich. Im Sommer 2022 gab es in der Provinz Henan wütende Demonstrationen. Menschen, deren Bankkonten eingefroren worden waren, protestierten auf der Straße und in den sozialen Medien. Sie wollten ihr Geld. In dieser brisanten Situation löschten Zensoren schnell alle Kommentare, welche die Provinz Hénán (河南) oder Bankkonten erwähnten, unabhängig vom Kontext. Die Internetnutzenden passten sich an. Sie diskutierten stattdessen über die „Niederlande“ - auf chinesisch „Hélán (荷兰)“. Durch den ähnlichen Klang der Worte war allen klar, dass Henan gemeint war, aber da „Niederlande“ nicht auf der Zensurliste stand, wurde diese Diskussion nicht sofort zensiert. So entwickelte sich die Metapher schnell weiter – aus der Provinzhauptstadt Zhengzhou wurde die niederländische Hauptstadt Amsterdam, aus den Bankkonten wurden Tulpen. Ein Kommentar wie „die Amsterdamer wollen ihre Tulpen zurück“ enthielt keine kritischen Keywords und konnte der Zensur zumindest für ein paar Stunden entgehen.

Mit der Liste der zensierten Begriffe wächst auch das Vokabular der Codesprache, mit der die Webnutzenden die Zensur umgehen. Die 371 Begriffe, für die das Mud-Horse-Lexikon inzwischen englische Erklärungen hat, sind nur die Spitze des Eisbergs. Doch auch die Zensoren ruhen nicht: Nach den Unruhen in Henan kündete Weibo zum wiederholten Male an, künftig verstärkt, mit „Anreizen“ und verbesserten Algorithmen gegen „Falschschreibungen“ vorzugehen. Gemeint sind die Homophone. Allerdings werden Webnutzende weiter und mit immer abstrakteren Anspielungen ihre Stimme erheben. Das Katz-und-Maus-Spiel geht weiter.

 

Thomas Grosser studiert Sinologie (MA) an der Universität Münster und macht derzeit ein Auslandssemester in Taiwan. 

Für das China Bulletin können sie sich hier anmelden.