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Fortschritt und Freiheit haben wieder eine Fraktion

Ein Zwischenruf von der Tribüne des Reichstags
Hermann Otto Solms eröffnete in seiner Rolle als Alterspräsident des Bundestags die konstituierende Sitzung.

Hermann Otto Solms eröffnete in seiner Rolle als Alterspräsident des Bundestags die konstituierende Sitzung.

© Deutscher Bundestag / Achim Melde

Es war eine historische Woche im Deutschen Bundestag. Erstmals seit den Jugendjahren der Bundesrepublik sind dort sechs Parteien vertreten, auch wieder die Freien Demokraten, die 2013 den Einzug knapp verpasst hatten. Es war deshalb für den Liberalen Dr. Hermann Otto Solms ein bewegender Augenblick, als er in seiner Rolle als Alterspräsident des Bundestags die konstituierende Sitzung eröffnete. Viele freiheitlich fühlende Menschen in Deutschland empfanden ähnlich wie er. Auch der stellv. Vorstandsvorsitzende unserer Stiftung, Professor Karl-Heinz Paqué, fieberte mit - von der Tribüne des Reichstags. Er sieht große Aufgaben für den organisierten Liberalismus, in Deutschland und in Europa, aber auch weltweit.

Die offene Gesellschaft steht in der Kritik. Wer sich davon überzeugen will, der braucht nur einen Blick auf die äußerste Rechte - vom Rednerpult aus gesehen - des neuen Bundestags zu werfen. Dort sitzt nun die sogenannte Alternative für Deutschland (AfD) - mit über 90 Abgeordneten, und sie hat ein klares Programm. Es lautet: "Germany First". Wie Trump in Amerika, Orban in Ungarn, Erdogan in der Türkei,  Putin in Russland, Marine Le Pen in Frankreich und Geert Wilders in Holland setzt die AfD auf Abgrenzung und Abschottung. In diesem Weltbild läuft die Globalisierung dem nationalen Interesse entgegen. Es gilt, sie zurückzudrängen.

Globalisierung positiv gestalten.

Karl-Heinz Paqué seit 2018
Karl-Heinz Paqué

Die Liberalen wollen etwas ganz anderes. Sie wollen die Globalisierung positiv gestalten, und zwar so, dass sie möglichst vielen Menschen und künftigen Generationen von Nutzen ist. Sie legen ein klares Bekenntnis zur offenen Gesellschaft ab, wie jüngst geschehen im neuen Manifest 2017 der Liberalen Internationale, das im Mai dieses Jahres in Andorra verabschiedet wurde - als Nachfolger des legendären Oxford Manifests von 1947. Sie bleiben dabei fest verankert in der optimistischen Tradition der Aufklärung und eines kritischen Rationalismus, der an die Lernfähigkeit der Menschheit und deren Fortschritt fest glaubt - und dies nicht aus Naivität, sondern aus Erfahrung. Zugegeben, es werden immer Fehler gemacht: Mal werden Gefahren unter- und Chancen überschätzt, mal ist es umgekehrt. Aber die Menschen sind kreativ, wenn der Staat und die Gesellschaft sie nur lässt: der Staat durch einen freiheitlichen Rechtsstaat mit angemessenem sozialem Netz, die Gesellschaft durch eine Atmosphäre der Großzügigkeit und Toleranz, ohne das leider allzu menschliche Kultivieren von Missgunst und Neid.

Das ist die Welt, die sich Liberale wünschen. Das ist keine Welt, die irgendeinem utopischen Ideal entspricht, sei es nun ökologisch oder sozial, und genau das unterscheidet Liberale von vielen Vertretern der politischen Linken. Aber es ist erst recht keine Idylle der abgeschotteten Abgeschiedenheit, wie sie die politische Rechte will. Und deshalb ist es natürlich auch eine Welt der freien Debatte und auch mal des rustikalen Streits, wenn es denn nur um große Fragen der Gesellschaft geht. Politische Korrektheit im Sinne der ständigen Erweiterung von Tabuzonen des Diskurses, die hat da nichts zu suchen - ebensowenig wie die ständige moralisierende Bevormundung durch selbsternannte Propagandisten von großen kollektiven Zielen der Menschheit.

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Es wird Zeit, dass die Verfechter dieser offenen Gesellschaft im Sinne Karl Poppers wieder ganz offensiv und selbstbewusst in die öffentliche Debatte eingreifen. Und dies nicht nur mit guten Argumenten, sondern auch mit starken Emotionen. Deutschland ist in dieser Hinsicht mit dem Ergebnis der Bundestagswahl einen guten Schritt voran gekommen. Jedenfalls ist der organisierte Liberalismus mit 80 Abgeordneten wieder parlamentarisch, und dies kann - weit über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg - die politischen Koordinaten hierzulande kräftig verschieben. Europa- und weltweit sieht es für freiheitliches Denken ohnehin viel besser aus, als so mancher Kommentar vermuten lässt. Denn parallel zum Aufstieg des Populismus erlebten vielerorts auch liberale politische Bewegungen eine Renaissance: mit Macri in Argentinien, mit Trudeau in Kanada, mit Macron in Frankreich, mit Cuidadanos in Spanien, mit Nowoczesna in Polen etc.

Kurzum: Es wird global wieder spannend im Kampf um die Gestalt der Gesellschaft. Liberal oder illiberal, offen oder geschlossen, durchlässig oder abgeschottet? Der leidenschaftliche Streit kann beginnen. Der Liberalismus ist jedenfalls so gut darauf vorbereitet wie lange nicht mehr.