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Gründung FDP
„Einheit in Freiheit“ – von Heppenheim nach Berlin

Gründung der FDP vor 75 Jahren
Der ehemalige Bundesminister und Fraktionschef der FDP, Wolfgang Mischnick (l) unterhält sich mit dem ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher

Der ehemalige Bundesminister und Fraktionschef der FDP, Wolfgang Mischnick (l) unterhält sich mit dem ehemaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

© picture-alliance / dpa | Arne Dedert

Gemessen an der Regierungszeit ist die FDP zweifelsohne eine der erfolgreichsten Parteien der Bundesrepublik. Fast zwei Drittel ihrer 75 Jahre regierten die Liberalen in unterschiedlichen Koalitionen das Land: vom ersten Bundestag 1949 mit der CDU/CSU, mit Unterbrechungen bis heute, in der 20. Legislaturperiode, zusammen mit SPD und Grünen. Nur die Konservativen haben eine etwas längere Regierungszeit aufzuweisen. Auch die wesentlichen Grundlagen der bundesdeutschen Ordnung hat die FDP entscheidend mitgeprägt: die Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft, den liberalen und demokratischen Rechtsstaat, die Bindung an westliche Werte und eine europäische Einigung.

In den unmittelbaren Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und dem NS-Regime waren zahlreiche liberale Gruppen in den Besatzungszonen entstanden; diese waren auf lokaler Ebene und aufgrund der alliierten Lizenzierungspolitik zunächst ohne weitergehendes Netzwerk. Politisch orientierten sich die Liberalen im Südwesten und in den Hansestädten am stärksten an der Weimarer Tradition der linksliberalen DDP und ihres Milieus. Dies zielte auf eine liberale Kraft der Mitte. In Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen verstanden sich die neuen Gruppen dagegen als Sammlungsbewegung mit einer dezidiert nationalen und antisozialistischen Akzentsetzung.

Nach langen Vorgesprächen erfolgte die gemeinsame Parteigründung schließlich am 11. und 12. Dezember 1948 im verkehrsgünstig an den Bahnstrecken gelegenen Heppenheim. Die unterschiedlichen Vorstellungen der im Kurmainzer Amtshof versammelten 89 Delegierten schlugen sich in intensiven Diskussionen nieder; selbst die Namensfrage der Partei war heftig umstritten, bis der designierte Vorsitzende Theodor Heuss dies zugunsten der „Freien Demokratischen Partei“ entschied. Über das Motto „Einheit in Freiheit“ bestand Einigkeit, programmatische Leitlinien wurden allerdings erst auf dem ersten Bundesparteitag im Juni 1949 in Bremen beschlossen.

Dissens über den konkreten Weg der neuen Partei

Hintergrund der Auseinandersetzungen in Heppenheim war ein Dissens über den konkreten Weg der neuen Partei: Die einen – die Fraktion der Liberalen im Frankfurter Wirtschaftsrat seit Juni 1947 – plädierten für einen strikt marktwirtschaftlichen Kurs, die anderen – die mit dem Grundgesetz befassten liberalen Vertreter im Parlamentarischen Rat in Bonn – verstanden sich mehr linksliberal im Sinne der früheren DDP. Dieser Zielkonflikt drückte sich auch in der funktionalen Rolle der Fraktionen aus: Während in Frankfurt aufgrund der wirtschaftspolitischen Haltung die Zusammenarbeit mit der CDU nahelag, besaß die FDP in den Bonner Verfassungsberatungen eine Schlüsselrolle für die Mehrheitsbildung zwischen den gleich starken Fraktionen von SPD und CDU. Strittig war demzufolge auch, ob sich die neue „Gesamtpartei“ im politischen Spektrum nun eher nationalliberal oder doch als liberal-demokratische Kraft der Mitte positionieren würde.

Die Gründungsgeschichte der Liberalen belegt somit das intensive Ringen um die grundsätzliche Gestaltung des neuen Staates. Eine besondere Zäsur bildete die Heppenheimer Versammlung aber für die Geschichte des deutschen Liberalismus, denn erstmals wurde die jahrzehntelange, seit 1866 bestehende Spaltung der deutschen Liberalen in mehrere Parteien überwunden. Nord- und Süddeutsche, Nationalliberale wie Freisinnige fanden nun unter dem Dach der Freien Demokraten zusammen. Die Wahl des Gründungsortes war zudem kein Zufall gewesen: Die Tagung von 1948 sollte an den Aufbruchsgeist in Heppenheim rund einhundert Jahre zuvor erinnern, als sich hier 1847 schon einmal Liberale trafen, um die liberale Umgestaltung des Landes in Angriff zu nehmen.

Nicht in Heppenheim dabei waren aber die Liberalen aus der Sowjetischen Besatzungszone. Dem Leitsatz der liberalen Gründungstagung „Einheit in Freiheit“ konnten sie nur bedingt folgen, denn zu stark war bereits der Druck der Besatzungsmacht, die auch vor Repression nicht zurückschreckte. Wer sich den Vorgaben des SED-Regimes nicht beugte, riskierte die Verhaftung und möglicherweise, wie bei dem Rostocker Liberalen Arno Esch, die Todesstrafe. Manchen gelang rechtzeitig die Flucht oder Übersiedlung; in der Folge wurde die westdeutsche Partei schließlich durch zahlreiche Persönlichkeiten mit östlicher Herkunft geprägt: von Wolfgang Mischnick und Hans-Dietrich Genscher über Karl-Hermann Flach bis zu Burkhard Hirsch und Gerhart Baum, um nur einige zu nennen.

Gestaltung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland

Die FDP gestaltete die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik entscheidend mit: Es waren Liberale, die gegen große Widerstände im Wirtschaftsrat und im Parlamentarischen Rat die Grundlagen für die soziale Marktwirtschaft legten. Es waren Liberale wie Theodor Heuss und Thomas Dehler, die mithalfen, das Grundgesetz zur allseits anerkannten und die politische Ordnung stabilisierenden Verfassung zu entwickeln. Und die FDP hat in den Parlamenten mit dafür gesorgt, dass erst Westdeutschland und später das wiedervereinigte Deutschland fester Bestandteil der westlichen, liberal geprägten Wertegemeinschaft geworden ist.

Diese Grundentscheidungen des ersten Jahrzehnts beschloss die FDP im Bündnis mit den Konservativen. Doch war diese Koalition mit der CDU/CSU nie frei von Friktionen. Besonders scharf zeigten sich diese in der Spiegel-Affäre 1961, als die FDP gegen ihren Koalitionspartner die rechtsstaatlichen Prinzipien verteidigte. Dies wurde zum Zeichen eines programmatischen Aufbruchs in den 1960er Jahren, der neben der Ost- und Deutschlandpolitik auch die Bildungs- und Gesellschaftspolitik umfasste und schließlich 1969 in die Koalition mit der SPD mündete: „Wir schneiden die alten Zöpfe ab!“, hieß es, und mit den „Freiburger Thesen“ wurde 1971 ein bis heute nachwirkender Diskurs um die liberale Erneuerung initiiert. Über viele Weichenstellungen, darunter besonders den wirtschafts- und außenpolitisch begründeten Kurs- und Koalitionswechsel 1982, haben die Liberalen heftig miteinander gestritten – markante Beweise einer liberalen Streitkultur, die belegt, in welchem Umfang die FDP verschiedene liberale Richtungen in der Gesamtpartei integriert.

Große Kontinuität zeigten die Liberalen in der Ost- und Deutschlandpolitik: Sie bahnten Kontakte an und konzipierten die neue Ost- und Entspannungspolitik, ohne dabei das Ziel der deutschen Einheit aufzugeben. Gleiches gilt für den von den liberalen Außenministern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher angestoßenen KSZE-Prozess – ein Meilenstein zur Überwindung des Kalten Krieges. Im August 1990 war nach dem Beitritt der ostdeutschen Liberalen die FDP schließlich die erste gesamtdeutsche Partei.

Von einer 'typischen Koalitionspartei' zu einem entscheidenden Gestalter liberaler Werte in Deutschland

Die FDP sei eine „typische Koalitionspartei“ (Uwe Jun) heißt es in der Parteienforschung. Bezogen auf den Wählerzuspruch mag dies zutreffend sein (auch wenn dieser in den letzten Bundestagswahlen zweistellig war), als Beschreibung für die politische Rolle der Liberalen aber greift es zu kurz: Denn zweifelsohne prägte die FDP die bundesdeutsche Entwicklung in erheblichem Maße, wie es Walter Scheel 1972 auf den Punkt brachte: „Diese kleine und mutige, gescholtene und geschlagene, häufig für tot erklärte und immer wieder aufgestandene Freie Demokratische Partei hat mehr für das Wohl dieser Republik bewirkt, als ihrer zahlenmäßigen Stärke zuzutrauen war.“

Deutlich ist gegenwärtig, dass sich die Parteiendemokratie in Bewegung befindet. Wählermilieus und Parteibindungen sind unbeständiger geworden; neben das Parlament sind weitere Instanzen der partizipativen Demokratie, zivilgesellschaftliche Bewegungen und mediale Plattformen getreten, die auf je eigene Weise politische und gesellschaftliche Einstellungen prägen. Für die FDP heißt dies, den eigenen liberalen Wertekern und die liberalen Lösungsansätze besonders sichtbar zu machen, um auch in den nächsten Jahrzehnten eine ähnlich einflussreiche Rolle in der deutschen Politik einzunehmen wie in den vergangenen 75 Jahren.