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Karlspreis 2024
Ein Zeichen gegen Antisemitismus: Karlspreis geht an Rabbiner Goldschmidt und jüdische Gemeinschaften

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt.

© picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Klarer hätte das Signal nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in diesen Zeiten nicht ausfallen können: Der Internationale Karlspreis zu Aachen „Für die Einheit Europas“ geht 2024 an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, den Präsidenten der Konferenz der Europäischen Rabbiner, und zugleich an die Jüdischen Gemeinschaften in Europa.

Jüdisches Leben gehört selbstverständlich zu Europa und ist „ein wichtiger Teil der europäischen Geschichte und Gegenwart – jetzt und in Zukunft“, so schreibt das Karlspreisdirektorium in seiner Begründung und zitiert den ehem. Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans:

Jeder Angriff auf einen Juden ist ein Angriff auf all das, worauf Europa stolz sein kann.

Frans Timmermans

Goldschmidt bezieht religiös wie politisch klare Positionen. Er ist weltweit vernetzt, engagiert sich  im interreligiösen Dialog, etwa mit dem Vatikan. Aber auch das Gespräch mit muslimischen Geistlichen hält er für unabdingbar, nicht zuletzt um einem radikalreligiösen Islam vorzubeugen.

Der Karlspreis 2024 wird Pinchas Goldschmidt am 9. Mai in Aachen verliehen und mit ihm werden die jüdischen Gemeinschaften in Europa geehrt – es hätte in diesen Zeiten keine würdigeren Preisträger gegeben!

v.li:Dr. Jürgen Linden (Vorsitzender Karlspreis Direktorium),Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt und Margrethe Schmeer (Zweite Stellvertreterin der Oberbürgermeisterin) mit dem Mariensiegel bei der Pressekonferenz anlässlich der offiziellen Antragung des Internationalen Karlspreises zu Aachen an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt.

v.li:Dr. Jürgen Linden (Vorsitzender Karlspreis Direktorium),Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt und Margrethe Schmeer (Zweite Stellvertreterin der Oberbürgermeisterin) mit dem Mariensiegel bei der Pressekonferenz anlässlich der offiziellen Antragung des Internationalen Karlspreises zu Aachen an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt.

© picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann / SVEN SIMON

Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hat Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt gewinnen können für ein exklusives Live-Gespräch.

Am Montag, den 8. April 2024 ab 19 Uhr wird Pinchas Goldschmidt im Interview mit dem Journalisten Meinhard Schmidt-Degenhard über jüdisches Leben in Europa nach dem 7. Oktober 2023 sprechen – aber auch über seinen eigenen Lebensweg, seine Hoffnungen und Visionen.

Im Vorfeld dieses exklusiven Interviews am 8. April haben wir Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt drei Fragen stellen können zu Europa:

FNF: Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Europäische Gemeinschaft?
Pinchas Goldschmidt: Die Turbulenzen, die heute Europa erfasst haben, werden von Jahr zu Jahr schwieriger. Wir reden heute von politischen Bewegungen in Europa, die das ganze Konzept ‚Europa‘, eben das Nachkriegseuropa in Frage stellen. Auf der einen Seite nehmen wir den Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine wahr. In Wirklichkeit ist es aber ein Krieg nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen unsere Lebensweise. Es geht um die Freiheiten, die wir in Europa seit Jahren genießen.

Auf der anderen Seite sind aber unsere Freiheiten und auch unsere Lebensweise in Europa in Frage gestellt durch Millionen von Europäern, auch neuen Europäern, die diese Werte der Toleranz der Demokratie nicht mehr mit uns teilen.

Wo sehen Sie aktuell die größten Bedrohungen für die jüdische Gemeinschaft in Europa?
Ich habe einmal gesagt, die Bedrohungen für die Juden in Europa sind wie die Situation eines Menschen, der in einem Bahngleis steht und von beiden Seiten kommen Züge, die werden schneller und schneller. Wir wissen nicht, welcher Zug als erster diesen Menschen trifft. Von der einen Seite sind wir, die jüdischen Gemeinden, physisch in Gefahr durch Angriffe von Menschen, die den radikalen Islam unterstützen. Von der anderen Seite ist die europäische jüdische Gemeinschaft auch bedroht durch die Antworten des alten Europa gegenüber neuen Migranten, die die Religionsfreiheit in Frage stellen.

Worauf setzen Sie die größten Hoffnungen, wenn es um die Zukunft Europas geht?
Maimonides, der große jüdische Philosoph, redet immer von der goldenen Mitte, vom Mittelweg gegen all den Extremismus. Ich glaube, heutzutage kommt der politische Extremismus von rechts und auch von links. Dies ist die größte Herausforderung für die Menschheit überall, aber auch speziell in Europa. Meine Hoffnung ist, dass die große Mehrzahl der europäischen Bürger sich an die Vergangenheit erinnert, wie Europa vor 80 und 90 Jahren und noch früher ausgesehen hat mit all den Kriegen. Die europäischen Großmächte waren immer im Krieg. Ich hoffe, dass die große Mehrheit in Europa sich dieser Geschichte erinnern wird. Gerade, wenn jetzt die Wahlen in verschiedenen europäischen Ländern sein werden, gilt es sich zu erinnern, dass der politische Extremismus keinerlei Antwort darstellt für unsere heutigen Probleme.

Goldschmidt leistete Pionierarbeit

Pinchas Goldschmidt wurde 1963 in Zürich geboren als Kind einer jüdisch orthodoxen Familie., absolvierte seine rabbinischen Studien in Israel und den USA. Nach seiner Ordination 1987 arbeitete er zunächst in Israel, bevor er bald darauf gebeten wurde, in die damalige Sowjetunion zu gehen, „um jüdisches Leben in einem kommunistischen Land wiederzubeleben.“

Pinchas Goldschmidt leistete Pionierarbeit, baute Strukturen auf und verschaffte den jüdischen Gemeinden sowohl in Russland als auch international ein hohes politisches Renommee. 1993 wurde er zum Oberrabbiner von Moskau gewählt. Doch Goldschmidt scheute auch Konflikte mit der Obrigkeit nicht. 2005 verweigerte ihm die russische Regierung nach einem Besuch in Israel die Wiedereinreise, erst auf internationalen Druck hin konnte er zurückkehren in seine Moskauer Gemeinde. Im Sommer 2011 wählte die Konferenz der Europäischen Rabbiner Pinchas Goldschmidt zu ihrem Präsidenten.

Als er sich 2022 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine weigerte, den Krieg zu unterstützen, wurde er vom russischen Justizministerium als „ausländischer Agent“ gelistet und kehrte im März 2022 aus Sicherheitsgründen nach einer Reise nicht mehr nach Moskau zurück. Seitdem lebt Pinchas Goldschmidt, seiner Moskauer Gemeinde weiterhin tief verbunden, im Exil.