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Eine Kolumne von Karl-Heinz Paqué

Corona
Stamp-Strategie statt Merkel-Mahnungen

Deutschland hat die Wahl: ein Plan für den Notfall oder Angststarre vor der Katastrophe
Joachim Stamp
Joachim Stamp auf einer Pressekonferenz zu den Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern. © picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Eine jüngste Umfrage von Infratest-Dimap zeigt einen Trend, der große Sorgen macht: Die Zufriedenheit mit dem Kampf gegen Corona in Deutschland nimmt ab. Es sind inzwischen 54 Prozent der Bevölkerung, die mit dem Krisenmanagement mehr oder weniger unzufrieden sind, 12 Prozentpunkte weniger als noch im Dezember letzten Jahres. Die Bundeskanzlerin kann also nicht mehr auf das Vertrauen der Menschen setzen.

Zu Recht, denn es gibt zunehmend Grund, am Regierungshandeln und -reden zu zweifeln oder gar zu verzweifeln. Der Impfstart ist miserabel gelaufen, völlig gleichgültig, wer im Einzelnen dafür verantwortlich ist – und zwar sowohl, was die Verfügbarkeit des Impfstoffs als auch die Logistik und Kommunikation in der Abarbeitung der Prioritätsliste für die Erstimpfungen betrifft. Genauso schlimm sieht es beim Umgang mit den Risiken von Mutationen aus. Die Kanzlerin redet ständig von einer drohenden Gefahr aus dem Ausland, aber in den ersten beiden Wochen des Januar landeten noch sage und scheibe 215 Flüge aus dem Vereinigten Königreich und Südafrika, bisher den beiden größten Verbreitungsgebieten der Mutationen, in Deutschland – und die Passagiere stiegen wohl unbehelligt und unkontrolliert aus. Logisch, denn es gab auch in der ersten Januarhälfte noch keine Möglichkeit des „Sequencing“, um überhaupt Mutationen zu identifizieren. Die gibt es erst seit einigen Tagen. Ein weiteres Versagen des Krisenmanagements!

Das ist leider alles typisch für Deutschland: Alle reden moralisch daher, aber an der Front der Umsetzung passiert sehr wenig. Schutz der Alten- und Pflegheime? Ein tägliches Thema von Medien und Politik, aber passiert ist kaum etwas. Erforschung der Inzidenz durch detaillierte Auswertung der Datenprofile von Infizierten? Fehlanzeige! Luftfilter in Schulen? Ebenfalls Fehlanzeige. Gleichzeitig tritt die Kanzlerin mit ernster vergrämter Miene vor die Medien und malt Schreckensszenarien aus, um den Menschen klarzumachen: Haltet doch bitte still, es kann alles noch schlimmer kommen.

Mag sein. Aber ist das schon eine Strategie? Derzeit ist eigentlich nur klar, dass die laufenden Maßnahmen des Lockdowns tatsächlich wirken, aber eben nur begrenzt: Sie haben eine exponentielle Ausbreitung des Virus verhindert, denn die Zahlen der Neuinfektionen sind zurückgegangen und die drohende Überbelegung der Intensivstationen blieb aus – Gott sei Dank. Verschwunden ist der das Virus allerdings nicht, von „No Covid“, dem neuen Zauberwort einiger superkluger Beobachter ist noch nichts zu sehen. Und insofern bleibt ein Restrisiko, das wie ein Damoklesschwert über uns hängt. Das wird allerdings nur dann verschwinden, wenn die ersehnte „Herdenimmunität“ durch Impfen erreicht ist und die Witterung für das Virus unangenehm warm wird, denn das Inzidenzgefälle zwischen Winter und Sommer ist wohl eine der wenigen stabilen empirischen Erkenntnisse, die sich die Bundesregierung angeeignet hat.

Was ist bis dahin zu tun? Joachim Stamp, FDP-Minister in der schwarz-gelben Regierung Nordrhein-Westfalens hat jüngst einen wegweisenden Vorschlag gemacht: Eine Notfall-Strategie muss her. Gemeint ist damit eine umfassende Eventualplanung, die festlegt, wann unter welchen messbaren Umständen in welcher Region drastische Maßnahmen des Lockdown und ggf. auch der örtlichen Quarantäne greifen. Dieser Plan könnte ab jenem Tag gelten, an dem der derzeit laufende Lockdown gelockert werden muss – und daran wird ohnehin kein Weg vorbeiführen. Der Plan müsste schnellstens von Bund und Ländern gemeinsam entwickelt und im Bundestag diskutiert werden. Die Umsetzung könnte dann sofort beginnen – nach einer entsprechenden operativen Sitzung der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Das Leben könnte dann wieder einigermaßen normal weiterlaufen – selbstverständlich mit Masken- und Abstandspflichten sowie dem maximal möglichen Rückgriff auf Home-Office, Home-Schooling und das übrige Arsenal des Kampfes gegen Covid19.

Ein solcher Plan muss natürlich auch die Gefahr von Mutationen in den Blick nehmen, Die würde allerdings dann einfach zu einem Spezialfall jener Risiken, die eine „Stamp-Strategie“ ohnehin als Möglichkeit enthalten muss. Das Raunen und Stirnrunzeln der Kanzlerin bei gleichzeitigem operativen Versagen könnte dann ersatzlos entfallen. Und das würde sicherlich helfen, das Vertrauen der Menschen wieder zurückzugewinnen. Denn dieses Vertrauen – da sind sich alle einig – ist die wichtigste Grundlage, um unsere Gesellschaft mit dem geringstmöglichen Schaden, der längst groß genug ist, durch die Corona-Krise zu navigieren.