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50 Jahre BF
Christian Krämer: „Es ist mir wichtig, in welcher Gesellschaft ich leben möchte“

Christian Krämer
© Guido Bergmann. Bundesbildstelle

Christian Krämer war von 1982 bis 1985 im Zuge seines Jurastudiums in der Grundförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung. Heute arbeitet er im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA).

Marie Theres Carolus: Bitte skizzieren Sie Ihren (politischen) Lebensweg für uns.

Christian Krämer: Meine Politisierung hat schon lange begonnen, bevor ich Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung wurde. Ich bin ein Kind der sozial-liberalen Ära in der Bundesrepublik. Auf der einen Seite bin ich mit damaligen Konflikten im Zusammenhang mit den Ost-Verträgen groß geworden – mit der Anerkennung der historischen Gegebenheit in Mittel- und Osteuropa durch SPD und FDP und der Ablehnung der Union demgegenüber. Auf der anderen Seite bin ich auch in der Zeit der Nachrüstung großgeworden. Dies hat mich maßgeblich geprägt. Ich bin als Schüler erst zu den Jusos gestoßen, die mir aber zu weltfremd waren. Ich bin dann als Erstsemester zur FDP gestoßen und habe dort unter anderem die Jungen Liberalen unterstützt und mitbegründet. Ich hatte das große Glück, Guido Westerwelle als einen Kommilitonen kennenzulernen. Es ist mir wichtig, in welcher Gesellschaft ich leben möchte. Ich bin dann auf das Sozialliberale gekommen, habe aber festgestellt, dass es ganz offensichtlich so ist, dass sich viele Leute in erster Linie ums Soziale kümmern, der anstrengende Freiheitsgedanke aber auf der Strecke bleibt.

Heute ist immer noch viel Herzblut bei allen dabei, aber glücklicherweise auch hinreichender nüchterner Verstand. Das ist das, was mich über alle Jahre hinweg bei der FDP gehalten hat. Ich habe Maß und Mitte als Wert erkannt. Darum geht es. Wenn der Staat Maß und Mittel wahrt, können die Bürger ihren eigenen Lebensentwürfen nachgehen. Und das ist mir immer wichtig gewesen: Dass Menschen das tun, was sie mögen und nicht, was sie tun müssen.

Marie Theres Carolus: Meine nächste Frage hat sich zum Teil schon aus ihren Ausführungen ergeben: Sind Sie als Liberaler als FNF gekommen oder durch die FNF zum Liberalen geworden?

Christian Krämer: Die FNF hat 1982 dafür gesorgt, dass ich im Zusammenhang mit der „Wende“ nicht ausgetreten bin, weil ich durch die Mitstipendiaten und über die Vertrauensdozenten gemerkt habe, was für eine sehr spannende und vielfältige Gemeinschaft von Menschen das ist und wie alle sich wechselseitig in ihrer eigenen Art respektieren. Das ist etwas, was man auch erst lernen muss, was natürlich im organisierten Liberalismus so nicht stattfindet, da es immer auch darum geht, Macht zu erlangen und Personen über Positionen Einfluss zu verschaffen. Das ist legitim und notwendig, aber in der Folge gibt es dann natürlich häufig Reibereien.

Marie Theres Carolus: Welchen Einfluss hat(te) die FNF auf Ihre berufliche Laufbahn und Ihr Privatleben?

Christian Krämer (lacht): Zum Privatleben: Als junger Mensch trifft man viele junge hübsche Menschen und von daher hat das auch immer Einfluss auf das Privatleben.

Aber jetzt im Ernst: Die FNF hatte über die Akademie natürlich Einfluss auf meine Art zu denken, weil wir immer einen hohen Anteil an ausländischen Stipendiaten hatten und haben. Ich habe in der Diskussion mit ihnen erfahren, wie deutschlandzentristisch manche Debatten sind. Das hat in jedem Fall den Horizont geweitet. Ansonsten vermag ich mich natürlich daran zu erinnern, dass wir als Stipendiaten damals die Möglichkeit hatten, an Bundesparteitagen teilzunehmen. Man kam dadurch in Kontakt mit den Großen der Politik. Man sah die Menschen agieren und sah auch, in welchen Schwierigkeiten sie steckten. Die Teilnahme am Bundesparteitag war sehr erhellend. Diese Möglichkeit zur Teilnahme hat die Stiftung organisiert, obwohl man weder Journalist noch Delegierter war.

Marie Theres Carolus: Fühlen Sie sich der Stiftung auch nach der Förderungszeit noch verbunden? Wie zeigt sich das?

Christian Krämer: Ja, ich fühle mich der Stiftung verbunden. Es gibt innerhalb der Stiftung auch immer einen Kontakt zu den Leuten, die im Berufsleben stehen. Jetzt arbeite ich in der Kommunikation, insofern bin ich auch da der Stiftung verbunden. Die Stiftung kümmert sich sehr gut um Alumni. Ich finde es sehr begrüßenswert, dass es den Alumniverein VSA gibt.

Marie Theres Carolus: Ein Tipp für aktuelle/neue Stipendiaten/Bewerber?

Christian Krämer: Regionale Veranstaltungen sind sehr aussichtsreich, dort können Stipendiaten in den einzelnen Ländern zusammengeführt werden.

Marie Theres Carolus: Welches war Ihr persönliches Highlight während der FNF-Zeit in drei Worten (in einem Satz)?

Christian Krämer: Die Atmosphäre, die Debattenfreudigkeit und der Respekt zueinander.

Marie Theres Carolus: Wie sind Sie zum Journalismus gekommen? Und was hält Sie im Journalismus?

Christian Krämer: Das, was ich tue, ist kein klassischer Journalismus. Ich selber bin Volljurist, habe aber nebenbei immer wieder journalistische Gehversuche gemacht. Die Produkte, die ich mit zu verantworten habe, sind Produkte der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Es handelt sich also um journalistisches Tun, aber es ist journalistisches Tun auf der anderen Seite des Tisches, auf der Seite der zu beobachtenden Politik und nicht auf der Seite der Journalisten. Was ich immer spannend finde und fand und was einen in dem Job hält, ist, dass man seine eigene Neugier zum Maßstab seiner Arbeit machen kann. Außerdem ist es bereichernd, dass man den Facettenreichtum von Politik sieht, begreift und erleben darf und dass man, wenn es gut geht, einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, dass auch andere Menschen verstehen, wieso sich jede Bundesregierung bemüht, das Land zumindest nicht schlechter zu machen, als sie es übernommen hat. Es lässt sich verständlich machen, wieso Politik generell etwas ist, was in freien Demokratien im Dienst des Bürgers steht und wieso es notwendig ist, dass Menschen ihre Chancen sehen und ergreifen. Dazu kann Journalismus beitragen, weil Journalismus in einem guten Sinne dazu führt, dass Menschen mündiger werden.

Marie Theres Carolus: Ich würde auf die unterhaltende Presse gerne einmal kurz eingehen. Ich habe neulich einen Kommentar gelesen, in dem geschrieben wurde, dass man die Bild-Zeitung auf der einen Seite kritisch hinterfragen kann und muss, auf der anderen Seite bringt sie aber auch Menschen dazu, sich zu informieren und zu lesen. Würden Sie dem zustimmen?

Christian Krämer: Ich würde sagen, dass die Bild-Zeitung erstens in der Lage ist, komplexe Sachverhalte einfach herunterzubrechen und dabei meistens bei der Wahrheit bleibt. Insoweit ist sie ein gutes und nützliches Medium, das aber auf der anderen Seite auch immer etwas Kampagnenjournalismus betreibt, wenn es auflagefördernd ist. Insoweit unterliegt die Bild-Zeitung auch immer dem Risiko, Vox-Populi zu sein. Die Bild-Zeitung bedient zum Teil auch die niederen Instinkte, indem sie Menschen in Teilen vorführt. Die Bild-Zeitung ist ein weitestgehend perfekt gemachtes Zerstreuungsmedium, weil sie in der Lage ist, Emotionen bei den Menschen zu wecken, davon lebt sie. Ich denke, man kann sehr viel bei der Bild-Zeitung lernen, aber es ist ein schreckliches Schicksal, wenn man bei ihr hängen bleibt. Das geht auf Dauer gesehen nicht ohne eine Deformation des eigenen Weltbilds.

Marie Theres Carolus: Wie sieht die Zukunft des Journalismus aus?

Christian Krämer: Wenn ich das wüsste, wäre ich Verleger und würde damit Geld verdienen – also: Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, dass wer Qualitätsjournalismus will, der muss bezahlen. Das große Freiheitsversprechen des Internets hat eine Haltung produziert, in der Menschen nicht bereit sind, zu zahlen. Journalismus muss möglich sein.

Im Endeffekt sehen wir, dass es Menschen gibt, die einen weitestgehend gesicherten Arbeitsplatz haben und aus Gebühren finanziert werden, von denen die AFD immer polemisch von Zwangsgebühren spricht. Dann gibt es Leute, die noch bei überregionalen Zeitungen angestellt sind, die einigermaßen gut zahlen können. Aber auch die sind einem Konzentrationsprozess unterworfen. Das ist eine ökonomische Notwendigkeit, um günstiger gute Qualität zu erreichen. Damit will ich darauf hinaus, dass die Möglichkeit, in den organisierten Journalismus hineinzukommen, immer schwieriger wird. Leichter ist es als sogenannter Influencer journalistische Beiträge zu liefern. Das ist ein ungeheures Grau- und Dunkelfeld: Was davon ist Journalismus? Was davon ist eigentlich nichts anderes als PR für ein Produkt? Wie unabhängig ist der Geist, der da mir vorgestellt wird oder dem ich folge? Wir haben eine Zeit, in der vieles offen ist und in der man mit überschaubarem technischem Aufwand einiges erreichen kann. Auf der anderen Seite sehe ich, dass staatliche Einrichtungen und halb-staatliche Einrichtungen zunehmen, auch NGOs, insbesondere im grünen Umfeld. Da gibt es gerade in dem Bereich ein großes Feld, in dem man journalistisch arbeiten kann – wie auch immer man zu dem steht. Worauf ich hinaus möchte: Letztlich hat es auch in der Vergangenheit immer Möglichkeiten gegeben – der Rundfunk, das Fernsehen, das Internet – und daher hat es und wird es immer Menschen geben, die dort beschäftigt sind.

Marie Theres Carolus: Welche Fragen treiben Sie aktuell um? Sei es im Hinblick auf den Journalismus aber auch darüber hinaus.

Christian Krämer: Mich treibt in der Tat die Frage nach dem Qualitätsjournalismus um. Wenn ich das in meinem persönlichen Arbeitsumfeld sehe: Da gibt es dreimal in der Woche die sogenannte Regierungspressekonferenz in Berlin für Journalisten. Ich erlebe aber dort nur wenige, die Fragen stellen. Das ist ein Gremium, bei dem man wirklich mit Sprechern der Ministerien debattieren oder in einen ernsthaften Dialog einsteigen könnte. Stattdessen geht man hin, hat eine vorgefertigte Meinung und braucht nachher nur noch ein Soundbite zu dem, was man immer schon belegen wollte. Was ist da Fake News? Was ist da Journalismus? Wir müssen gründlich aufpassen, dass es keine Infiltration von Medien gibt, die einfach in Auftragsarbeit unterwegs sind.

Was mich außerdem umtreibt, ist, dass es wenig guten Journalismus für Jüngere und für die jenseits der 60 gibt. Oft wird vergessen, dass Menschen immer älter werden. Menschen dürfen jetzt auch schon mit 16 das Europaparlament wählen. Die zwei Gruppen muss auch durch staatliche Öffentlichkeitsarbeit erreicht werden. Wir konzentrieren uns sehr stark auf das Digitale. Aber es braucht dann auch digitale Zugänge für ältere Menschen. Bei den Jüngeren ist es schwierig, weil uns von unserer Null-Fehler-Toleranz verabschieden müssten. Junge müssten für die Regierung selbst kommunizieren. Aber das ist ein Risiko, das keiner eingehen möchte. Wir müssen es uns einfach in Teilen auch unbequem machen und wir neigen dazu, es zu bequem zu haben. Das ist auf Dauer gesehen eine riskante Haltung.

Marie Theres Carolus: Was ist das außergewöhnlichste Ereignis, das Sie in Ihrer Karriere erlebt haben?

Christian Krämer: Das außergewöhnlichste Ereignis, das mir in Erinnerung geblieben ist, war während meiner Zeit an der Botschaft in Washington. In der Zeit habe ich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Das war zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Einheit organisatorisch gerade eben vollzogen war und sehr viele deutsche Politiker nach Washington kamen.

Kinkel kam einmal zur Botschaft nach Washington und war noch nicht völlig firm mit dem strengen Protokoll, das das Auswärtige Amt vorsah. Er wollte nach seinem Besuch dann wieder zurück in Richtung Flughafen und bevor er ins Auto stieg – ich stand durch Zufall da – hatte er das Bedürfnis, sich bei den Menschen zu bedanken. Er kam auf mich zu und meinte, es wäre super gewesen. Ich stand damals dann dort wahrscheinlich mit hochrotem Kopf. Erst später hat mir die Botschaft erklärt, dass das eigentlich gar nicht erlaubt war. Das war für mich eines der am meisten hängenbleibenden, netten Momente.

Marie Theres Carolus: Wie würden Sie sich in etwa drei Worten beschreiben?

Christian Krämer: Neugierig, lebensbejahend, immer mehr meinungsfreudig und Reinländer.

Marie Theres Carolus: Welches ist Ihr Lieblingsgefühl?

Christian Krämer: Wenn ich bei Sonnenschein auf der Ski-Piste bin. Es ist die Kombination aus den Naturelementen, der Geschwindigkeit und der Selbstwirksamkeit. Aber das kennt bestimmt jeder, der einigermaßen Ski fahren kann.

Marie Theres Carolus: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Marie Theres Carolus studiert MA Anglistik und Germanistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und ist seit Oktober 2020 FNF-Stipendiatin. Sie ist Teilnehmerin der Profi Class der Liberale Medienakademie (LMA).