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70. Geburtstag
Bundesministerin der Bürgerrechte

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum 70. Geburtstag. Sie ist und bleibt ein Vorbild.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
© picture alliance / Eventpress | Eventpress Stauffenberg

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 ein Bundesministerium der Justiz. Und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger leitete dieses Ministerium zwei Mal – von 1992 bis Anfang 1996 und dann wieder von 2009 bis 2013, insgesamt also mehr als sieben Jahre. In beiden Amtszeiten hat sie Furore gemacht, und zwar vor allem als „Bundesministerin der Bürgerrechte“, auch wenn diese Amtsbezeichnung – leider – nicht existiert. Ihr passionierter Einsatz galt vor allem den Rechten der Bürgerinnen und Bürger – in der Abwehr von Beschränkungen der Freiheit durch einen Staat, der sui generis eine Tendenz hat, seine Kompetenzen zu überschreiten und seine Eingriffe zu erweitern. SLS, wie sie im internen Politjargon liebevoll genannt wird, trat dem entgegen – als leidenschaftliche Liberale. 

Es ist ja der Liberalismus, der sich seit seinem Entstehen für die Freiheit jedes Einzelnen eingesetzt hat - in seinen ganz unterschiedlichen Ausprägungen. Isaiah Berlin schuf in den fünfziger Jahren mit den Begriffen der negativen und positiven Freiheit präzise die benötigten philosophischen Kategorien. In Westdeutschland war es nach Ende des zweiten Weltkrieges die FDP, die fortan die Vielfalt des organisierten Liberalismus in einer Partei vereinte. Die Tradition des Kampfes für einzelne Freiheitsrechte wurde so mit praktischer liberaler Politik versöhnt. Werner Maihofer, Ralf Dahrendorf, Hildegard Hamm-Brücher und Burkhard Hirsch sind nur einige jener liberalen Köpfe, die sich dem Engagement für die Bürgerrechte widmeten. Und Gerhart Baum, der es noch weiter tut. Und eben SLS, die „Jeanne D'Arc der Bürgerrechte“, wie sie Rainer Brüderle zu Zeiten der letzten schwarz-gelben Koalition nannte, wobei sein Blick auf die überbordende Sicherheitsgesetzgebung fiel, die vom konservativen Koalitionspartner auf die politische Agenda gesetzt wurde.

Ein Glücksfall für die deutsche Politik

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist ein Glücksfall für die deutsche Politik und den deutschen Liberalismus. Mit 41 Jahren wurde sie – noch weitgehend unbekannt – als Justizministerin in die Regierung Kohl/Kinkel berufen. Sie war damit die erste Frau, die einem der „klassischen“ Resorts vorstand – wir mögen es heute kaum glauben, man schrieb ja schon das Jahr 1992. Bis zu ihrem Rücktritt über den innerparteilichen Streit zum Großen Lauschangriff Ende 1995 stellte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unter Beweis, dass sie die präzise Handwerkskunst des klugen Regierungshandelns versteht. Ihre Bilanz spricht für sich: Sie schaffte den berüchtigten Paragraphen 175 StGB ab, der männliche Homosexualität immer noch teilweise unter Strafe stellte; sie kämpfte gegen Kinderpornografie, indem sie das Sexualstrafrecht an entscheidenden Stellen reformierte; auch im Bereich des Zivilrechts packte sie energisch an - die Liste ließe sich beliebig verlängern. Manches davon fand später nicht die verdiente Beachtung, als der Lärm um die Auseinandersetzung über den Großen Lauschangriff alles übertönte. Zurück blieb aber der große Respekt vor der unbeugsamen Haltung einer Justizministerin, die trotz ihrer Liebe zum Amt eher auf Würden verzichtete als die Bürgerrechte zu kompromittieren. 

Nach ihrem Rücktritt machte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger immer wieder als leidenschaftliche Parlamentarierin von sich reden. Manche Reformen, die sie als Ministerin nicht vollenden konnte, beförderte sie als Parlamentarierin, so zum Beispiel die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Dabei prägte sie weiterhin die politische Debatte um den Großen Lauschangriff, die sich ja fortsetzte. Zusammen mit Burkhard Hirsch und Gerhart Baum zog sie vor das Bundesverfassungsgericht und behielt Recht: Das ursprüngliche Gesetz zum Großen Lauschangriff wurde für verfassungswidrig erklärt. Wie SLS, so hatten zahlreiche FDP-Parlamentarier – unter ihnen Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff – dem Gesetz nicht zugestimmt. Aber es brauchte erst diesen Richterspruch, um die die Bruchlinien in der FDP zuzuschütten.

Hochprofessionelle Parteipolitikerin

SLS ist auch eine hochprofessionelle Parteipolitikerin. Das bewies sie spätestens, als sie – für viele überraschend – im Jahr 2000 den Landesvorsitz der FDP Bayern übernahm. Wohlgemerkt: eines Landesverbands, der bei der letzten Landtagswahl 1,7 Prozent erzielt hatte, tief zerstritten und fast insolvent. SLS ging an die Arbeit: Sie baute in mühsamer Kleinarbeit den Landesverband wieder auf. Ihr Meisterstück gelang 2008, als sie die FDP in Bayern in eine Koalition mit der CSU führte – das Wahlergebnis lautete: 8 Prozent. Obwohl immer wieder spekuliert wurde, dass sie nun nach Bayern wechseln würde, blieb sie der Bundespolitik treu. 

Und das war gut so, denn SLS wurde im Herbst 2009 wieder Justizministerin – übrigens als erster Minister, der nach einem freiwilligen Rücktritt wieder in das Bundeskabinett berufen wurde. Angela Merkel kannte sie noch aus der gemeinsamen Ministerzeit unter Helmut Kohl. So manche hohe Beamte, die Rechtspolitik als rein positivistische Aktion der Machbarkeit verstanden, rieben sich nun die Augen. Denn die Anti-Terror-Gesetze, die Otto Schily zusammen mit den Grünen gegen den Widerstand der FDP 2001/02 durchgeprügelt hatte, wurden entschärft, teilweise sogar abgeschafft. Die jetzige große Koalition hat sie übrigens für die Ewigkeit ins Gesetz geschrieben.

Die Vorratsdatenspeicherung wurde verhindert

Und noch einen gewaltigen Erfolg konnte SLS verbuchen: Die Vorratsdatenspeicherung wurde verhindert. Dieses Mal war es der Europäische Gerichtshof (und nicht das Bundesverfassungsgericht), das der brillanten und hartnäckigen Juristin Recht geben sollten, wenn auch erst nach Ende ihrer Amtszeit. Dennoch blieb die FDP standhaft. Das war in schwieriger Zeit ein politischer Erfolg für die Liberalen, hatten sie doch dieses Mal in Regierungsverantwortung bewiesen, dass auf die Liberalen in Sachen Bürgerrechte Verlass ist.

Auch in der zweiten Amtszeit wurden zentrale Reformen in allen Rechtsbereichen durchgeführt. Es sei nur an die Abschaffung der rot-grünen nachträglichen Sicherheitsverwahrung erinnert, die sich ebenfalls als rechtswidrig erwies, als der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg dem Populismus von Schröder/Schily energisch widersprach.

SLS ist und bleibt ein Vorbild

Auch nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik 2013 bleibt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine der starken Stimmen für die Bürgerrechte in diesem Land. Und sie betreibt weiter Politik: Im Kreistag von Starnberg bleibt sie kommunal aktiv, was sie über all die Jahre ihrer großen Bundespolitik immer war. Und sie engagiert sich weiterhin in unzähligen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ein neues Tätigkeitsfeld kam hinzu: Als Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen. SLS publiziert auch mehr und intensiver als in ihren aktiven Politikerjahren. Man munkelt: Ein neues Buch steht vor der Veröffentlichung.

Schließlich ist SLS seit 2015 Mitglied im Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, seit 2018 als dessen stellvertretende Vorsitzende. In dieser verantwortungsvollen Funktion bringt sie alles ein, was sie zu bieten hat: politische Leidenschaft und organisatorische Professionalität, tollen Teamgeist und herzlichen Humor. Hinzu kommt der wache, realistische Blick für das Mögliche – bei aller Freude am Visionären.    

SLS ist und bleibt ein Vorbild. Heute feiert sie ihren 70. Geburtstag. Wir gratulieren!