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Argentinien
Politisches Erdbeben bei den Vorwahlen in Argentinien

Javier Milei, Präsidentschaftskandidat der Koalition der Freiheitlichen Fortschritte

Javier Milei, Präsidentschaftskandidat der "La Libertad Avanza"- Partei

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Natacha Pisarenko

Am 13. August fanden in Argentinien die gesetzlich vorgeschriebenen Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl im Oktober statt. Hier werden die Kandidatinnen und Kandidaten der jeweiligen Parteien gewählt, die im Herbst um das Präsidentschaftsamt konkurrieren werden. Das sich ergebende Stimmungsbild ist überraschend und der Sieger, Javier Milei, mehr als umstritten. Die liberal-konservative Patricia Bullrich, erreichte Platz drei, ihr Bündnis „Juntos por el Cambio“ („Gemeinsam für den Wechsel“) Platz zwei.

Die Ergebnisse im Überblick

Die Beteiligung war die geringste in der Geschichte der Vorwahlen. Von gut 35 Millionen argentinischen Wahlberechtigten gaben 69 Prozent ihre Stimme ab. Angetreten sind 26 Personen aus 15 verschiedenen Parteien und Allianzen. Mit 30 Prozent gewann Javier Milei von „La Libertad Avanza“ („Die Freiheit geht voran“) die meisten Stimmen. Auf ihn folgten Sergio Massa als Kandidat mit 21 % der Stimmen, während sein Bündnis „Unión por la Patria“ („Gemeinsam für das Vaterland“) insgesamt 27 % erhielt. Darüber hinaus gewann Patricia Bullrich 17 % und ihr „Juntos por el Cambio“ („Gemeinsam für den Wechsel“) bekam insgesamt 28 % der Stimmen. Es ergibt sich somit ein äußerst knappes Bild, schaut man auf die Stimmverteilung zwischen den politischen Kräften.

Der Sieg von Milei kommt einem politischen Erdbeben gleich. Milei gilt als politisch rechts und bezeichnet sich selbst als „liberal, libertär und anarcho-kapitalistisch“. Indem er sich klar gegen den Status quo der argentinischen Politik positioniert, gelang es ihm, insbesondere Stimmen junger Menschen zu gewinnen. Auch politikverdrossene Wählerinnen und Wähler gelten als seine Unterstützer. Ökonomische Analysten sehen in einer Präsidentschaft Mileis die Gefahr einer Destabilisierung der Finanzmärkte. Zurzeit leidet das Land unter einer Inflation von 115 %. Er will die Zentralbank schließen und den US-Dollar als Währung nutzen, ohne dass klar wäre, wie das umgesetzt werden kann. Gesellschaftspolitisch positionierte er sich gegen Abtreibungen und für eine Liberalisierung des privaten Waffenbesitzes.

Die langjährige Stiftungspartnerin Patricia Bullrich lag zwar hinter den erhofften Ergebnissen zurück, setzte sich allerdings sehr deutlich gegen ihren parteiinternen Konkurrenten Horacio Rodríguez Larreta durch. Bullrich besetzte bereits prominente Positionen in der argentinischen Politik, beispielsweise als Ministerin für Sicherheit unter Präsident Mauricio Macri. Dort profilierte sie sich mit einer harten Linie bei Kriminalitätsfragen und einer konservativ-liberalen Haltung zu verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Themen.

Für die regierenden Peronisten, die Argentinien seit Jahrzehnten dominieren, ist das Ergebnis ein Desaster. Sie bezahlen den Preis für eine katastrophale linke Wirtschaftspolitik, die zur Krise führte.

Ausblick

Nun starten die Vorbereitung und der Wahlkampf für die Wahlen am 22. Oktober und es sind mehrere Szenarien denkbar. Im ersten Szenario gibt es keine Stichwahl. Dabei sollte ein(e) Spitzenkandidat(in) mehr als 45 % der Stimmen erhalten oder mehr als 40 % der Stimmen und einen Vorsprung von über 10 % gegenüber der zweiten Wahloption erhalten. Das zweite Szenario käme in Frage, sollten sich die Vorwahlergebnisse in ähnlicher Weise bestätigen. In diesem Fall läuft alles auf eine Stichwahl im November hinaus. In den Medien wird prognostiziert, dass Javier Milei und Patricia Bullrich die aussichtsreichsten Kandidaten sind. Patricia Bullrich ist ebenfalls mit einem klaren Reformprogramm angetreten, das realistischer ist als das von Milei, aber mutiger als das, was seinerzeit von der konservativen Regierung Macri an vorsichtigen Reformen gemacht wurde. Sollte sich eine von diesen beiden Optionen erfüllen, wird es ein klares Mandat für eine Reformregierung geben. Die Reformen sind genauso notwendig wie schmerzhaft. Das Wie und das Was wird entscheidend sein, um das Land vor der Wirtschaftskrise zu retten.

So viel ist klar: Argentinien steht an einem Scheideweg und die nächsten Monate werden wegweisend sein.


Nadia Barrozo ist Projektkoordinatorin und Angelo Bardini ist Kommunikationskoordinator in Argentinien.