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"Blockchain hat das Potential zur Revolutionierung unseres Wirtschaftssystems"

Titel

Dr. Witteck diskutiert mit Studenten der Universität Bonn

© Alexander Bagus

Bitcoin, Smart Contracts – sogenannte „Legal Tech“ ist in aller Munde. Zwischen Theorie und Praxis sind hier noch viele – insbesondere ethische – Fragen offen. „Hype oder Revolution?“, dieser Frage ging die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Jones Day und Liberalen Hochschulgruppen bei mehreren Diskussionsveranstaltungen an den Universitäten in Köln, Bonn und Bielefeld nach. Legal Tech nimmt immer stärkeren Einfluss auf unser Leben, sei es in der Versicherungswirtschaft oder bei Start-ups, die durch ihr Handeln für mehr Rechtssicherheit und Verbraucherschutz sorgen.

Am 19.06. diskutieren in Bonn zwei Fachleute, Nick Wittek und Phillip Eischet, mit den Studenten und Stipendiaten der Stiftung für die Freiheit. Schon zu Beginn seines Vortrags hielt der Jurist Nick Witteck, Fachmann für strukturierte Finanzierung und Derivate bei der Kanzlei Jones Day, fest: „Code ist kein rechtsfreier Raum.“ Vielmehr sei das Recht technologieneutral und auslegbar. Zudem bedürfe es immer wieder einer neuen Interpretation. Das betreffe gerade Fragen rund um Blockchain-Technologie; ein Bereich, in dem seit rund sieben Jahren sukzessive mehr investiert wird. Bitcoins basieren auf dieser Technologie. Trotz allem Hype um Bitcoins seien diese aber nur eine Nische. Im Vergleich zum Euro mit rund 12 Billionen Euro Verkehrswert habe 2017 der Verkehrswert von Bitcoin gerade einmal 136 Milliarden Euro betragen.

Ein wesentlicher Vorteil der Blockchain als sogenannte „distributed ledger“-Technologie (DLT) sei ihr verteilter Charakter. Andere zentrale oder auch dezentrale Systeme besäßen eine gewisse Manipulierbarkeit aufgrund ihrer inneren Hierarchie. Bei DLT seien alle Teilnehmer gleichrangig und die Teilnehmer auf einer Ebene miteinander verknüpft. Ein Hash als verschlüsselter Wert sorge zusätzlich für eine quasi nicht zu manipulierende Blockchain. Über kurz oder lang falle jede Manipulation an der Blockchain auf, gab sich Nick Wittek überzeugt.

An „Smart Contracts“ ist nichts „smart“

Auch auf „Smart Contracts“ ging der Jurist ein: „Diese sind eigentlich alles andere als ‚smart‘. Vielmehr beruhen sie auf klaren ‚wenn-dann‘-Formeln.“ Ein Smart Contract basierend auf Blockchain sorge mit seiner Unveränderbarkeit für eine hohe Sicherheit, dass bei einem bestimmten Ereignis ein bestimmtes Ergebnis zwingend folgen muss. So könne Eigentum automatisch, unkompliziert und rechtssicher übertragen werden.

Panel

v.l.n.r. Dr. Witteck, Studenten der Universität Bonn, Eischet, Bagus

© Alexander Bagus

Dennoch stellten sich auch beim Einsatz von Blockchain wichtige Fragen: Ein zentraler Aspekt dabei drehe sich um das Recht an den in der Blockchain gespeicherten persönlichen Daten. Nichtsdestotrotz war sich Nick Wittek sicher: „Blockchain und die dahinterliegende Technologie haben das Potential, unser Wirtschaftssystem zu revolutionieren.“ Das gelte für Aktienverkäufe, Immobilienveräußerungen, Forderungen und vieles mehr. So seien heute noch bis zu zwanzig Personen an einem Aktienverkauf zwischen zwei Personen beteiligt. Zukünftig könnten Aktienverkäufe bei einem Einsatz von DLT ohne diese zusätzlichen Beteiligten stattfinden. Einen ersten Versuch habe es zum Jahresbeginn 2019 gegeben, als die Landesbank Baden-Württemberg blockchain-basierte forderungsbesicherte Wertpapiere ausgab.

Die unternehmerische Perspektive

Daneben stellte Phillip Eischet, Mitbegründer und Managing Director der Right Now Group, die unternehmerische Sicht auf Legal Tech vor. Die Right Now Group kaufe dabei online Ansprüche beziehungsweise Forderungen von Kunden auf, beispielsweise bei Stornierungen eigener Flüge. Hier habe für Individuen lange die Problematik zwischen bestehenden Ansprüchen einerseits und der Diskrepanz zwischen Recht haben und Recht bekommen andererseits bestanden. Durch das Aufkaufen solcher Ansprüche entsteht eine kritische Masse an Verfahren. Erst diese kritische Masse ermögliche eine Standardisierung über Legal Tech. Damit führe das Unternehmen Mahnverfahren und Prozesse gegen Airlines wie Ryanair oder EasyJet. Fälle seien gepoolt worden und faktisch benötige man zur Führung der juristischen Auseinandersetzung keine Anwälte. Legal Tech helfe dabei, insbesondere weil es die Unternehmenspolitik dieser Airlines sein, erst einmal den Klageweg zu bestreiten. Ein selbst lernender Algorithmus unterstütze, so dass 10.000 Verfahren problemlos ohne Rechtsbeistand geführt werden könnten.

Veränderung des Rechtswesens

„Legal Tech bringt uns und jeden einzelnen Verbrauch in eine Pari-Situation mit den Großunternehmen“, erklärt Phillip Eischet nachdrücklich. Neben Flugunternehmen könnten so auch Verspätungen bei Fahrten der Deutschen Bahn AG sowie Kfz-Unfälle bei Versicherungen geltend gemacht werden. „Das Rechtswesen verändert sich“, zeigte sich Eischet am Ende seiner Ausführungen überzeugt.

Angesprochen auf den Automatisierungsgrad bei Jones Day erklärte Nick Wittek, dass die Vertragserstellung zwar automatisiert ablaufe. Jedoch müsse stets ein Anwalt abschließend prüfen. Dies sei jedoch keine neue Entwicklung. Erste Ansätze zur automatischen Vertragserstellung habe es bereits Anfang der 2000er Jahre gegeben.

Nur wenige Politiker haben Ahnung von Legal Tech

Sowohl Phillip Eischet als auch Nick Wittek hoben in der Debatte heraus, wie wichtig und nützlich die Demokratisierung des Rechts sei, was alleine Legal Tech ermögliche. „Die Standardisierung schafft Rechtssicherheit und Verbraucherschutz. Allerdings birgt dies noch eine mangelnde Flexibilität“, erläuterte Nick Wittek. So werde die Schwelle zur Rechtsdurchsetzung immer niedriger. Phillip Eischet wiederum kritisierte den politischen Umgang mit Legal Tech: „Die wenigsten Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben Ahnung von der Thematik.“ Ein Schreiben an die verschiedenen Bundestagsfraktionen mit Bitte um ein Treffen zur Diskussion über Legal Tech sei von vier der sechs Fraktionen nicht einmal beantwortet worden. Die CDU habe dankend abgelehnt, alleine die Fraktion der Freien Demokraten habe die Idee aufgegriffen und ein Zusammenkommen begrüßt.

Es wurden auch Fragen der Menschenrechts, der potentiellen Überwachungsmöglichkeiten sowie der Fehlerkorrektur angesprochen. Nick Wittek schloss die Debatte mit einer nachdenklichen Haltung: „Der Prozess der Automatisierung ist nicht aufzuhalten. Es bedarf unserer Sensibilität, soziale Verwerfungen schon im Vorfeld zu erkennen und entsprechend zu berücksichtigen.“

Im Anschluss an die Veranstaltung informierte Nick Witteck ausgewählte Stipendiaten der Stiftung und Jurastudenten der Universität Bonn über seine Anwaltstätigkeit und berufliche Chancen für Rechtswissenschaftler in der sich wandelnden Arbeitswelt.