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„Nichtstun wird die EU zerfallen lassen“

Diskussion mit Michael Georg Link MdB über die Rolle des deutsch-französischen Verhältnisses für die Entwicklung der EU
Titel

In Stuttgart diskutierte u.a. unser Vorstandsmitglied Michael Georg Link MdB über die Rolle Frankreichs und Deutschlands für die Zukunft Europas

© Europa Zentrum Baden-Württemberg

Deutschland und Frankreich gelten als Motor der europäischen Integration, aber reicht diese bilaterale Kooperation noch aus? Über diese Frage diskutierten in Stuttgart im Rahmen der Französischen Wochen unser Vorstandsmitglied Michael Georg Link MdB, der Geschichtswissenschaftler Ansbert Baumann und Oriane Petit, die die Landesgeschäftsstelle der Jungen Europäer (JEF) in Baden-Württemberg leitet.

Catherine Veber, die französische Generalkonsulin in Stuttgart verdeutlichte in Ihrer Begrüßung die Probleme,  mit denen sich Europa aktuell konfrontiert sieht: Italien als einer der Gründungsstaaten Europas hat sich zuletzt für euroskeptische Parteien ausgesprochen,  Deutschland hat lange für die Regierungsbildung gebraucht und in Frankreich haben die angekündigten Reformen Macrons für Unruhe und Zweifel in der Gesellschaft gesorgt und gleichzeitig Widerstandskräfte motiviert. „Die Europäische Union steckt in einer seit Jahren währenden schleichenden Krise“, fasste Veber zusammen, erkennbar am Zuwachs von Parteien, deren Programm sehr EU-kritisch ist, einer aufkommenden Stimmung, dass Europa „bestenfalls unfähig, die Probleme, die unsere Mitbürger beängstigen zu lösen (zum Beispiel die unkontrollierte Einwanderung, die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa), und […] schlimmstenfalls für eine Verschlechterung verantwortlich“ sei. Dies führe sowohl zu Spaltungen zwischen den Staaten als auch können dadurch autoritäre Machtstrukturen entstehen wie z.B. in Russland, analysierte die Generalkonsulin. „Es ist an der Zeit, unter diesen Umständen dem europäischen Projekt neue Impulse zu geben, um dem Einfluss dieser Widerstandskraft entgegenzuwirken“, meint Veber: „Die Herausforderung ist es, eine neue Begeisterung für Europa zu generieren“. Wichtig sei es vor allem, dass die Mitgliedsstaaten Europas nicht einseitig handelten, da die Herausforderungen global seien. Veber betonte, „dass wir nur zusammen stark bleiben können und dass unsere demokratischen Werte es verdienen, dass wir sie zusammen verteidigen. Frankreich und Deutschland spielen für die Zukunft der EU eine entscheidende Rolle.“

Diese Ansicht teilten auch die Diskutanten, die schon zu Beginn festhielten, dass es Veränderungen bedürfe, wenn wir in dem global veränderten Umfeld bestehen wollen. Wie aber kann diese Veränderung aussehen und was erfordert dies von den einzelnen Mitgliedstaaten?

Reformen für Europa

Es ist noch nicht lange her, dass Europa eine große Faszination und Anziehungskraft ausgeübt und als Garant für Stabilität, Frieden und  Wohlstand gestanden habe, erinnerte sich der Historiker Ansgar Baumann. Dies habe sich in den letzten Jahren geändert - inzwischen schaue man angesichts der aktuellen Veränderungen und Herausforderungen mit Sorge in die Zukunft und habe das Gefühl, dass Europa handlungsunfähig sei. Hier müsse man politisch reagieren, was einerseits durch Reformen, wie sie Macron verfolgt, möglich sei, andererseits durch den wenig wünschenswerten Blick in und die ausschließliche Konzentration auf die eigene Vergangenheit und Geschichte und die Tradition der Nationalstaaten als Ordnungs- und Sicherheitsprinzip. Die weitere Entwicklung der EU hänge davon ab, welche der beiden Wege die Oberhand gewinne. Baumann stellte die These auf, dass nicht zuletzt das deutsche Zaudern bei Macrons Reformplänen dazu geführt habe, dass wir aktuell – ein gutes halbes Jahr vor der Europawahl – keinen wirklichen europäischen Diskurs haben.

An diesem Punkt sei es wichtig, dass die Politik Verantwortung übernehme, so Oriane Petit: „wir müssen zeigen, dass wir für Europa alles machen würden“. Eine solch deutliche Botschaft vermisst Petit aktuell, vor allem aus ihrer Perspektive bei den Jungen Europäern.

In Deutschland stimmten FDP, SPD, CDU und GRÜNE überein, dass man die EU zusammen halten wolle, lediglich das „Wie“ sei umstritten, so Link. Bei allen unterschiedlichen Positionen ringe man um den richtigen Weg. Während Macron den Mut habe, Dinge anzugehen, sei Angela Merkel scheinbar nicht immer im gleichen Maße bereit für Reformen. Der französische Präsident sei bereit „out of the box“ zu denken – genau das, was auch wir brauchen. Nachdem Frankreich sich bewegt und Reformen angestoßen habe, sei es wichtig, dass auch wir handeln.

Von großer Bedeutung sei jetzt, gemeinsame Wege und Kompromisse in der Außen- und Sicherheitspolitik zu finden. Dies sei zweifelsohne nicht einfach und viele – Deutschland eingeschlossen – müssen dabei über den eigenen Schatten springen. Macron wolle Europa ohne Vertragsänderungen reformieren, wohl wissend, dass eine Vertragsänderung Personen wie Orbán, Kaczyński oder Salvini in die Karten spiele. Dies gelte es zu vermeiden, da diese die EU gerne auf einen reinen Wirtschaftsclub reduzieren wollen.

Es gilt, Europa vorantreiben und zu einer auf Dauer angelegten Europäischen Union kommen, bei der Werte und Wirtschaft gleich wichtig sind, so Link. Dabei sei auch Bürgernähe ein nicht zu vernachlässigender Faktor, betonte Baumann.

Auch in der Vergangenheit habe sich Europa schon oft schweren Krisen gegenüber gesehen. Umso wichtiger sei es jetzt, zu lernen, die richtigen Schlüsse und Lehren daraus zu ziehen, betonte Michael Link. „Wenn wir es nicht schaffen, zusammenzuhalten, werden wir definitiv in 50-60 Jahren, vielleicht schon früher, nach den Regeln anderer Leben müssen.“

Gerade in der deutsch-französischen Beziehung sei man sich der unterschiedlichen Ansichten bewusst, gleichzeitig besitze man auch die Rationalität, zu wissen, dass man sich gegenseitig brauche. Eine bessere Abstimmung, die bei Punkten wie der Flüchtlingskrise oder der Energiewende nicht ausreichend erfolgt sei, sei daher künftig von noch größerer Bedeutung.

Die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland werde teils auch mit Misstrauen betrachtet, da kleinere Länder sich leicht gegängelt fühlen, bemerkte Link. Dies gelte es zu vermeiden, indem wir unser Gewicht vorsichtig einsetzen und nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen und auch kleinere und mittlere Staaten in der EU als gleiche respektieren. Diplomatie könne hier der Schlüssel sein, so Oriane Petit: es sei wichtig, zu vermitteln und zu versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Von den zwischen Deutschland und Frankreich aufgrund der wirtschafts- und ordnungspolitischen Unterschiede häufig nötigen Kompromissen, können auch andere Länder profitieren, hielt Baumann fest.

Es müssen jetzt Grundlagen geschaffen werden, dass gemeinsame Beschlüsse gefasst werden können, auch für künftige Generationen, so Link. Dies umfasse auch ein ähnliches oder zumindest kompatibles Umsetzen von Recht.

Wie kann es nun also weitergehen mit Europa? „Das europäische Projekt ist leider sehr anfällig für polemische Kritik seiner Gegner“, so Link. Aus diesem Grund sind wir alle aufgefordert, ganz offensiv dafür einzustehen und für diese Sicht zu kämpfen. Mehr denn je komme es nun auf politischen Willen an: nicht der (vermeintlichen) Mehrheit hinterherzurennen, sondern ihr zu erklären, warum der eigene Wille der richtige sei und so zu überzeugen. Wenn wir nichts tun, werden sich mit Sicherheit jene durchsetzen, die die EU wieder zerfallen lassen wollen. „Der Bestand der EU ist nur gesichert, wenn wir weiter an ihr arbeiten, wenn wir sie schrittweise besser machen und stärken“.  Das deutsch-französische Verhältnis ist dabei ein Baustein für die Europäische Union.

Aus der Bedrohung leitet sich somit eine Handlungsaufforderung ab: „wenn wir nicht zusammenhalten, werden sicherlich andere über uns bestimmen, die das Recht des Stärkeren setzen“, so Link. Man müsse dem die Stärke des Rechts und einen regelbasierten Ansatz entgegensetzen, waren sich Diskutanten einig.  Dabei müsse man diejenigen unterstützen, die sich für Europa und dessen Zukunftsfähigkeit einsetzen. Für die Europawahl im kommenden Jahr komme es somit auf eine pro-europäische Kampagne an und darauf, die Führung in die Hand zu nehmen, auch wenn es einmal schwierig ist. „Wer zaudert, wird gar nichts erreichen“, so Link.