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Wahlen
Venezuela: Auf der Zielgeraden zur Beseitigung der Demokratie

Venezuela vor den Parlamentswahlen 2020
Venezuela Maduro
Nicolas Maduro Guerra, der Sohn des Präsidenten, im Wahlkampf. Er kandidiert für einen Sitz in der Nationalversammlung © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ariana Cubillos

Durch die COVID Krise und die daraus resultierenden Einschränkungen verbunden mit der ohnehin katastrophalen politischen und ökonomischen Situation in Venezuela, die eine Analyse vor Ort durch den Stiftungsvertreter unmöglich machen, sind wir ausschließlich auf die Informationen aus dem Internet und unserer Partner angewiesen. Hier nun der Vorbericht zu den bevorstehenden Wahlen in Venezuela, der in enger Zusammenarbeit mit der Geschäftsführerin unseres ältesten und renommiertesten Stiftungspartners CEDICE Libertad entstanden ist.

Am kommenden Sonntag, den 6. Dezember, werden die vom Nationalen Wahlrat einberufenen Wahlen stattfinden. Die Rahmenbedingungen könnten kontroverser kaum sein. So stellt Nicanor Moscoso, der Vorsitzende des Consejo de Expertos Electorales de America Latina (Ceela), fest, dass bei den Probeläufen die Wahlmaschinen und das elektronische Wahlsystem „gut verlaufen seien“, geht aus Berichten anderer internationaler Institutionenwie auch der Europäischen Union oder des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechter klar hervor, dass ganz offensichtlich die Voraussetzungen für demokratische Wahlen nach internationalem Standard nicht gegeben sind. Nahezu schizophren muten die vom Maduro Regime initiierte Vorweihnachtsstimmung vor dem Hintergrund einer Hyperinflation und analog steigenden Armut der Bevölkerung an.

Die jüngste von Consultores 21 durchgeführte Blitzerhebung, in der 1000 Personen am Telefon befragt wurden, zeigt dann auch ganz klar: 78% der Wahlberechtigten weigert sich am 6. Dezember an die Urnen zu gehen, da sie die Wahlen für sinnlos halten. Für alle diese Menschen sind die Parlamentswahlen uninteressant. Und unabhängig von dem Wahlergebnis werden sich weder die gegenwärtigen Machtverhältnisse noch die Regierungspolitik und der während der Maduro Ära eingeschlagene Kurs ändern, der das Land in den jetzigen Ruin getrieben hat.

Es darf nicht vergessen werden, dass Venezuelas demokratische Institutionen seit Jahren in einer tiefen Krise stecken, die ohne entsprechende Bedingungen für demokratische Wahlen nicht überwunden werden kann.

Die letzten Schritte zur völligen Beseitigung der Demokratie in Venezuela

Seit Dezember 2015 hat die Regierung zusammen mit der Justiz und den staatlichen Sicherheitskräften eine Offensive gegen die Opposition im Land begonnen. Dieser systematische Angriff auf die parlamentarische Unabhängigkeit hat die Verschlechterung der Wahlbedingungen, die bereits damals schon im Argen lagen, beschleunigt.

Damals fand die Parlamentswahl mit der höchsten Wahlbeteiligung in der Geschichte des Landes statt, bei der die Opposition eine qualifizierte Mehrheit von 2/3 der Sitze gewann. Aber dies ist Schritt für Schritt ignoriert worden. Der Oberste Gerichtshof, dessen Ernennung in einem von der Opposition stark in Frage gestellten Verfahren erfolgte, hat 141 Entscheidungen gefällt, die alle darauf abzielen, die verfassungsrechtlichen Befugnisse dieser Parlamentsmehrheit zu annullieren.

2016 wurde der Antrag auf ein Abberufungsreferendum seitens der mobilisierten Opposition von dem Nationalen Wahlrat unter Anführung unbegründeter Betrugsanschuldigung bei der Unterschriftensammlung abgelehnt.

2017 wurde ein maßgeschneidertes Wahlsystem aufgelegt, das die Bildung einer unrechtmäßigen Nationalen Verfassungsgebenden Versammlung ermöglichte, welche in der Praxis ein Parallelparlament zur Nationalversammlung darstellt.

Aktuell, d.h. im Jahr 2020 erkennt der Oberste Gerichtshof in einer Reihe seiner Entscheidungen die verfassungsrechtlichen Befugnisse der Nationalversammlung nicht an und lehnt die Autonomie der internen demokratischen Prozesse der politischen Parteien ab.

Mittlerweile hat der Oberste Gerichtshof sogar Entscheidungen gefällt, die in das innerparteiliche Gefüge eingreifen, in dem er die Zusammensetzung der Parteiführungen bestimmt. Der Vorstand einer politischen Partei hat große Entscheidungsmacht hinsichtlich der allgemeinen Ausrichtung der Partei, einschließlich der Forderungs- und Kandidatenlisten für den nächsten Wahlkampf. Selbst wenn man konzediert, dass die Vorstände und Parteiführungen in Lateinamerika zugegebenermaßen nicht immer in basisdemokratischer Weise gewählt werden, so setzt diese Intervention der Justiz eine innerparteiliche Demokratie und das Selbstbestimmungsrecht der Parteien vollständig außer Kraft.

Wie hörig der Justizapparat dem Maduro Regime ist und wie sehr er seine verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit eingebüßt hat, zeigt sich eindrucksvoll bei zwei weiteren Entscheidungen, die auch vor einer „neuen Interpretation“ der Verfassung nicht Halt macht.

  1. Nachdem die Opposition bei den letzten Parlamentswahlen die Mehrheit der Sitze erobert hatte, setzte der Oberste Gerichtshof die Befugnisse der Nationalversammlung aufgrund angeblicher Missachtung aus.
  2. Die Ernennung der Leiter des Nationalen Wahlrates der Nationalversammlung liegt verfassungsrechtlich bei der Nationalversammlung. Dessen ungeachtet hat sich der Oberste Gerichtshof im Juli dieses Jahres für zuständig erklärt und selbst das Führungspersonal des Nationalen Wahlrats bestimmt, dem jetzt zwei Richterinnen besagten Obersten Gerichtshofes angehören.

Nach all diesen (Ver)Stößen gegen die demokratischen Strukturen wird der einzige Profiteur der Wahl am 6. Dezember Nicolás Maduro sein. Seine Weigerung, auf den Aufruf der Gesandten des Hohen Vertreters der Europäischen Union für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit, Joseph Borrel, zu reagieren, als eine Delegation der EU nach Caracas kam, um eine Verlegung der Wahlen und die Anwesenheit von EU Wahlbeobachtern unter Erfüllung bestimmter unverzichtbarer Bedingungen einer demokratischen Wahl vorzuschlagen, ist ein klares Anzeichen dafür, dass Maduro keinen Vorteil darin sieht, diese Art von Garantien zu geben. Diese Wahlen sind eine Verhöhnung des venezolanischen Volkes. Die EU sollte konsequenterweise diese Farce nicht akzeptieren und den demokratisch gewählten Parlamentspräsidenten Guaidó weiterhin als rechtmäßigen Präsidenten anerkennen.

Die Opposition

Die Opposition setzt nun der Farce des Regimes eine eigene Initiative entgegen: Vom 5. bis 12. Dezember werden die Venezolaner zu der Ablehnung der vom Regime organisierten Parlamentswahlen sowie zu der Anwendung des internationalen Drucks zur Absetzung Maduros befragt. Damit möchte der Vorsitzende der Nationalversammlung und Interimspräsident des Landes, Juan Guaidó, alle Kräfte vereinen, um der widerrechtlichen Machtaneignung Maduros ein Ende zu setzen und eine politische Wende herbeizuführen.

Die Bürger sollen bei der von der Opposition organisierten Volksbefragung folgende Fragen beantworten:

  1. Fordern Sie das Ende der widerrechtlichen Machtaneignung durch Nicolás Maduro, und sind Sie für die Durchführung von freien, gerechten und überprüfbaren Präsidentschafts- und Parlamentswahlen?
  2. Lehnen Sie die von dem Maduro Regime durchgeführte Veranstaltung am 6. Dezember ab und bitten die internationale Gemeinschaft um deren Nichtanerkennung?
  3. Fordern Sie die notwendigen raschen Schritte zur Förderung der Zusammenarbeit, Begleitung und Unterstützung seitens der internationalen Gemeinschaft ein, damit unsere Demokratie gerettet, die humanitäre Krise überwunden und unser Volk vor Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschützt wird?

Die Opposition unternimmt große Anstrengungen, um alle widrigen Umstände zu überwinden und eine möglichst erfolgreiche Volksbefragung durchzuführen. Die Begeisterung über die Befragung kann man in verschiedenen Regionen des Landes und in einigen Stadtvierteln von Caracas bereits spüren.

Schließlich ist dieser Tag der Volksbefragung ein Versuch, die Bürger wieder politisch zu mobilisieren, die sich seit fast einem Jahr aufgrund der dramatischen humanitären Situation eher im täglichen Überlebenskampf befinden und daher kaum Zeit haben, sich politisch zu organisieren. Dieser Tag soll sich in die täglichen, aus unterschiedlichen und berechtigten Gründen geführten Proteste des venezolanischen Volkes gegen das Regime einreihen und dokumentieren, dass die Regierung keine Legitimität besitzt.

Rocio Guijarro ist die Geschäftsführerin von CEDICE Libertad.