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Tansania: Ein Erdrutschsieg durch Unterdrückung

Tansania Wahlen Magufuli
Magufuli bei der Zeremonie zur Vereidigung als Präsident. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Stringer

Zwei Tage nach der tansanischen Wahl am 28. Oktober 2020 wurde der Amtsinhaber, John Magufuli, nach einem Erdrutschsieg offiziell zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt. Die Wahlen zum Präsidenten und der Nationalversammlung fanden zeitgleich auf dem Festland und auf dem teilautonomen Inselarchipel Sansibar statt, wo ebenfalls ein Präsident und ein Repräsentantenhaus gewählt wurde.

Sowohl vor als auch nach den Wahlen wurden Freiheiten erheblich eingeschränkt, vor allem Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Es wurden Oppositionspolitiker schikaniert und Kritiker aus der Zivilgesellschaft sowie kritische Journalisten verhaftet. Die nationale Wahlkommission war mit Gefolgsleuten der Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM) gespickt und disqualifizierte in 28 Fällen Oppositionskandidaten von der Teilnahme an der Wahl. Als Grund gab die Behörde an, die Kandidaten erfüllten die rechtlichen Voraussetzungen nicht. Die Bedingungen zur Kandidatur wurden bei Oppositionspolitikern besonders streng ausgelegt.

Es handelte sich um den sechsten Urnengang seit der Demokratisierung im Jahr 1992, wobei die Regierungspartei CCM die tansanische Politik seit der Unabhängigkeit im Jahr 1961 dominiert – und dies mit Sicherheit auch in den nächsten fünf Jahren tun wird.

Magufuli gewann mit einem Stimmenanteil von 84,4%, konkret 12,5 Mio. der 15 Mio. abgegebenen Stimmen. Sein Hauptherausforderer, Tundu Lissu von der Oppositionspartei Chadema, vereinigte 13,0% oder 1,9 Mio. Stimmen auf sich. Die übrigen 13 Präsidentschaftskandidaten brachten es zusammen auf nur 380.672 Stimmen. Auf Sansibar, wo auf der Oppositionshochburg Pemba im Vorfeld der Wahl neun Demonstranten getötet worden waren, wurde der CCM-Kandidat Hussein Mwinyi mit 76% der Stimmen zum Präsidenten gewählt.

In der Nationalversammlung und im Repräsentantenhaus von Sansibar gewann die Regierungspartei CCM die meisten der 264 Mandate. Insgesamt nominierten 19 politische Parteien Kandidaten für die verschiedenen Ämter, die zur Wahl standen.

Verglichen mit 2015 konnte Magufuli seinen Stimmenanteil erheblich steigern: damals gewann er mit 8,9 Mio. Stimmen und einem Anteil von 58,5%. Die Wahlbeteiligung lag bei dieser Wahl mit 50,7% deutlich unter der Beteiligung von 67,3% im Jahr 2015, und das, obwohl die Anzahl der eingetragenen Wähler im Vergleich zu 2015 um sieben Millionen zugenommen hatte.

Die Beobachtergruppe des Electoral Institute for Sustainable Democracy in Africa (EISA) hielt in ihrem Bericht fest: „Das politische Umfeld, in dem die Wahl 2020 stattfand, war weniger offen und weniger tolerant als bei früheren Wahlen in Tansania.“ Pansy Tlakula, die Leiterin der Gruppe und ehemalige Vorsitzende der südafrikanischen Wahlkommission, merkte an, dass die diesjährige Wahl unter deutlich anderen Vorzeichen stattfand. Sie hatte als Mitglied der Beobachtungsmission der Afrikanischen Union bereits die Wahlen 2015 beobachtet.

Viele Menschen waren wohl gar nicht erst wählen gegangen, weil sie das Gefühl hatten, es bringe ohnehin nichts, so Tlakula, die sich dabei auf unbestätigte Berichte stützte. Ob die Angst vor Covid-19 dabei eine Rolle spielte, lässt sich nur schwer sagen. EISA wies in einem Bericht darauf hin, dass Tansania im Gegensatz zu manchen anderen Ländern beschlossen hatte, die Wahlen nicht zu verschieben. Obwohl die meisten Länder der Welt weiterhin Coronavirus-Fälle verzeichnen – so auch mit zunehmenden Zahlen das Nachbarland Kenia – erklärte die Regierung Tansanias, überhaupt keine Fälle mehr zu haben und hörte am 29. April auf, über den Coronavirus zu berichten. Die EISA Beobachtergruppe konnte „keine signifikanten Maßnahmen zur Minderung der Übertragung des Covid-19-Virus während der Wahlkampagne oder Stimmabgabe“ feststellen.

Insgesamt gab es – bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von fast 60 Mio. Menschen in Tansania – knapp über 29 Mio. eingetragene Wähler, wobei Oppositionsparteien auch bei der Wählerregistrierung Unregelmäßigkeiten anmahnten. So schrieb zum Beispiel der Vorsitzende der Oppositionspartei ACT-Wazalendo, Zitto Kabwe, auf Twitter, dass in seinem Wahlkreis in Kigoma 13.380 „Geisterwähler“ in das Wahlverzeichnis aufgenommen worden seien und dass Soldaten und Studenten bereitstünden, unter Nutzung dieser Namen ihre Stimmen abzugeben.

Mehr als nur ein Beobachter wiesen auf scheinbare Unregelmäßigkeiten hin. In einer Erklärung von ACT-Wazalendo am Tag der Wahl führten Oppositionsbeobachter 32 Fälle angeblicher Unregelmäßigkeiten auf, darunter mehrfache Stimmabgaben durch uniformierte Mitglieder von Spezialeinheiten im Wahlkreis Dimani, Sansibar; frühe Stimmabgaben von Mitgliedern von Spezialeinheiten im Wahlkreis Kijini, von denen manche bereits Stimmzettel in den Händen hielten; und ein Mann, der im Wahlkreis Kikwajuni auf Sansibar offenbar mit dem Personalausweis eines Verstorbenen wählte. Der Sohn des Verstorbenen, der als Parteivertreter von ACT-Wazalendo am Wahllokal war, wurde Berichten zufolge des Wahllokals verwiesen, woraufhin die Stimmabgabe erfolgte. Die Opposition behauptet auch, dass mehrfache Stimmabgaben der Grund dafür seien, dass manchen Wahllokalen auf Sansibar die Stimmzettel ausgingen, während Wähler noch in der Schlange warteten.

Beamte sagten einem Diplomaten, der die Öffnung von Wahllokalen in Dar es Salaam beobachtete, dass es sich bei den mit Wahlzetteln gefüllten Wahlurnen um Sonderstimmen von Mitgliedern von Spezialeinheiten handle, obwohl das tansanische Wahlrecht keine Sonderstimmen vorsieht.

Darüber hinaus gab es auch Medienrestriktionen, und soziale Netzwerke wie WhatsApp und Twitter wurden blockiert. In einem Interview sagte Tlakula, dass der Zugriff auf diese Netzwerke per WLAN weiterhin möglich gewesen sei, jedoch nicht über die Mobilfunknetzwerke. Damit wurde Menschen in ländlichen Gebieten die Möglichkeit verwehrt, über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen zu berichten und Fotos auf sozialen Medien hochzuladen. Tlakula sagte auch, dass die Regulierungsbehörde Tanzania Communications Regulatory Authority nicht klar kommuniziert habe, wie die Restriktionen Anwendung fänden. „Sie hatten eine Anweisung erlassen, wonach die Anzahl von Massen-SMS auf 10 beschränkt wurde,“ so Tlakula. „Also versuchte ich vom Generaldirektor der Behörde zu erfahren, auf welcher Grundlage die Anweisung erlassen worden war. Anstatt die Frage zu beantworten, sagte er, es sei illegal, im Besitz der Anweisung zu sein. Er sagte, sie sei vertraulich.“ Tlakula bericht, man habe sie darüber informiert, dass der Besitz der Anweisung eine Straftat darstelle und dass sie hierfür verhaftet werden könnte.

Tlakula betonte außerdem, dass Restriktionen bezüglich der Veröffentlichung von Wahlergebnissen, bevor die offiziellen Ergebnisse vorliegen, extrem streng interpretiert wurden. Ein Medienunternehmen, Clouds FM und der zugehörige Fernsehsender, wurden gezwungen, sieben Tage lang den Betrieb einzustellen, weil sie die Namen von 28 CCM-Kandidaten genannt hatten, die ohne Gegenkandidaten an der Wahl teilnahmen und daher alle ihre Abgeordnetensitze gewannen. Auf Nachfrage von EISA teilte die Behörde mit, sie sei dem Medienunternehmen wohlgesonnen und hätte es stattdessen „beerdigen“ können. 

Die meisten westlichen Botschaften kritisierten die Wahlen. Die US-Botschaft stellte in ihrer Erklärung fest, die Wahlen seien „größtenteils friedlich“ verlaufen, dass es jedoch „glaubwürdige Vorwürfe erheblichen Betrugs im Umfeld der Wahl sowie Einschüchterungsversuche“ gegeben habe. Abgesehen von mehrfachen Stimmabgaben und den im Voraus ausgefüllten Stimmzetteln zählten zu den Vorfällen auch die Verhaftung von Kandidaten und Demonstranten, eingeschränkter Zugang für Vertreter politischer Parteien zu Wahllokalen sowie die Blockierung von sozialen Medien und anderen Kommunikationsplattformen. „Die Unregelmäßigkeiten und der überwältigende Vorsprung der Sieger geben Anlass zu erheblichen Zweifeln, was die Glaubwürdigkeit der angekündigten Ergebnisse betrifft,“ hieß es in der Erklärung.

Die Erklärung der Europäischen Union brachte ähnliche Bedenken zum Ausdruck: „Diese schwerwiegenden Vorwürfe wirken sich auf die Transparenz und die Glaubwürdigkeit des Prozesses ingesamt aus.“ Die EU empfahl, dass den Vorwürfen „auf rechtlichem Wege“ nachgegangen werden solle. Allerdings sieht die tansanische Verfassung nicht vor, dass die Gültigkeit von Präsidentschaftswahlen angefochten werden kann. Aktivisten der Opposition erhielten außerdem keine Erlaubnis für Demonstrationen, so dass diejenigen, die Protestaktionen organisierten, verhaftet wurden.

Die EU forderte darüber hinaus einen „offenen, konstruktiven und inklusiven Dialog“ zwischen Regierung, Oppositionsparteien und Zivilgesellschaft und bekräftigte, sie stehe bereit, „zu gemeinsamen nächsten Schritten für politischen Dialog und wirtschaftliche Zusammenarbeit“.

Während die USA, die EU, der Commonwealth und das 14-köpfige Beobachterteam von EISA sowie das Tanzania Election Watch Panel of Eminent Persons (mit Vertretern aus Kenia, Uganda und Botsuana) sich den Wahlen gegenüber kritisch äußerten, erklärte die Beobachtungsmission der Ostafrikanischen Gemeinschaft (mit 59 Mitgliedern die größte ausländische Beobachtungsmission), dass „der Wahlprozess auf glaubwürdige Weise durchgeführt“ worden wäre. Die Mission unter der Leitung des ehemaligen Präsidenten von Burundi, Sylvestre Ntibantunganya, erklärte weiter, dass sie aufgrund ihrer Beobachtungen bestätigen könne, dass „politischen Parteien und Kandidaten ihre Kampagnen landesweit frei durchführen“ konnten.

Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, Moussa Faki Mahamat, gratulierte Magufuli zu seiner Wiederwahl und sprach den politischen Parteien und Kandidaten sowie den Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen seine Anerkennung „für die friedliche Durchführung der Wahlen“ aus. Er sagte, dass mit Wahlbeschwerden auf „etablierten rechtlichen und institutionellen Wegen der Streitbelegung bei gleichzeitiger Wahrung von Frieden und Stabilität“ bearbeitet werden sollten.

Die AU entsandte ein aufgrund der Covid-19-Restriktionen verkleinertes „technisches“ Beobachterteam mit fünf Mitgliedern unter der Leitung des ehemaligen nigerianischen Präsidenten, Goodluck Jonathan. Aktivisten der Opposition berichteten, sie hätten Jonathan Beweise für Wahlmanipulationen zukommen lassen. Mittlerweile gratulierte auch der südafrikanische Präsident, Cyril Ramaphosa, der bis Anfang 2021 Präsident der AU war, Magufuli zu seinem Sieg.

In der Zwischenzeit wurden über 40 Aktivisten der Opposition verhaftet. Ihnen werden verschiedene Vergehen vorgeworfen, darunter Terrorismus (ein Tatbestand, der Freilassung auf Kaution ausschliesst), Wirtschaftsverbrechen  und die Durchführung illegaler Protestveranstaltungen. Lissu, der 2017 im Anschluss an einen Mordversuch durch unbekannte bewaffnete Täter nach Belgien geflohen war, wurde am 2. November, vor dem Umoja House in Dar es Salaam festgenommen, als er in der deutschen Botschaft Zuflucht vor den Sicherheitskräften suchte. Nach einem kurzen Verhör wurde er an die deutsche Botschaft übergeben und ersuchte mit der Unterstützung mehrerer westlicher Botschaften sicheres Passieren zurück nach Belgien.

Magufuli wurde am 5. November 2020 ins Amt eingeführt, wobei spekuliert wird, dass er eine Verfassungsänderung anstreben könnte, um seine Präsidentschaft über das Jahr 2025 hinaus zu verlängern.