Vorratsdatenspeicherung
Ein neuer Geist in der Sicherheitspolitik – Grundrechte sind kein lästiges Anhängsel

von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Marco Buschmann

Entwurf des Bundesjustizministers

© picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Der 20. September 2022 war ein Tag der Freude und Genugtuung für alle Kritiker der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat an diesem Tag zum wiederholten Mal entschieden, dass die anlasslose, massenhafte Speicherung von Telekommunikationsdaten nicht mit europäischem Recht vereinbar ist. Dieses Mal ging es uns selbst ans Eingemachte. Es ging um die gesetzlichen Regelungen in Deutschland zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung, die unter Ausblenden der früheren europäischen Rechtsprechung fast trotzig verabschiedet worden waren. Sie müssen nun ein für alle Mal gelöscht werden. Sie sind europarechtswidrig. Das war zu erwarten.

Buschmanns Alternative „Quick Freeze“

Dementsprechend hätte eigentlich auch der Tag, an dem Bundesjustizminister Marco Buschmann seine Alternative zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorstellte, ein Tag der Freude auch für die Sicherheitsbehörden sein müssen. Endlich Rechtssicherheit und endlich keine Verfassungswidrigkeit der Verwendung von Daten, die in den letzten Jahren zum gerichtlich festgesetzten Aussetzen der alten Regelung geführt hatte. Nach über 10 Jahren ohne belastbare rechtliche Grundlagen erhalten die Sicherheitsbehörden mit der „Quick Freeze“ Lösung nun endlich ein rechtskonformes Ermittlungsinstrument zur Verfolgung von Internetstraftaten. Der EuGH hat diese Lösung ausdrücklich als gangbare Alternative hervorgehoben.

Der neue Geist in der Sicherheitspolitik

Aber irgendwie will sich die Freude nicht so recht einstellen. Weder bei den Sicherheitsbehörden noch bei ihrer obersten Chefin, Innenministerin Nancy Faeser. Denn der von Bundesjustizminister Buschmann vorgelegte „Quick Freeze“ Vorschlag enthält richtigerweise nicht alle Wünsche, die in den letzten Jahren immer wieder vorgebracht wurden. Beispielsweise ist eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen nicht enthalten. Das ist die richtige Schwerpunktsetzung und zeigt den neuen Geist in der Sicherheitspolitik, der sich im Koalitionsvertrag der Ampelregierung findet. Endlich wird eine grundrechtsbezogene Politik der inneren Sicherheit formuliert, die Freiheit und Sicherheit in die richtige Balance bringt.

Zu dieser neuen Sicherheitspolitik gehört auch das Eingeständnis, sich verrannt zu haben. Das Festhalten an der Vorstellung, dass das technisch Mögliche auch das rechtlich Gebote sei, hat schon einmal zu einer über 10-jährigen Blockade geführt. Auch der Ruf nach auf Vorrat gespeicherten IP-Adressen als Ermittlungsansatz basiert auf einem Trugschluss. Ermittlungen im Internet scheitern nicht an der Feststellung von Anschlussinhabern, die hinter IP-Adressen stecken. Gerade im Darknet ist die Internet-Postadresse kein sinnvoller Ansatzpunkt. Sie führt ins dunkle, bedeutungslose Nichts.

Die im Koalitionsvertrag formulierte, vorausschauende, evidenzbasierte, grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik ist keine Floskel oder politische Leerformel, sondern ein voraussetzungsvoller und konkreter Handlungsauftrag für die Ampelkoalition. Die Einführung des Instruments „Quick Freeze“ als grundrechtsorientierte Alternative zur rechtswidrigen Vorratsdatenspeicherung ist deshalb der erste Punkt, an dem die Ampelkoalition ihr Versprechen einlösen kann, eine andere Sicherheitspolitik zu betreiben als ihre erratischen und unbelehrbaren Vorgänger. Und die Lösung ist zudem praxisnah konstruiert. Die Schwelle zur Anordnung des „Einfrierens“ von Verkehrsdaten ist bewusst niedrig gehalten. Erst das „Auftauen“ der Daten unterliegt dann sehr strengen Voraussetzungen.

Eigentlich sind also alle Voraussetzungen gegeben, um auch die Kritiker mit ins Boot zu holen. Nun muss nur noch Ministerin Faeser erkennen, dass ihr im eigenen Haus der Geist der Vergangenheit entgegenweht, der bisher wirksame Instrumente für die Sicherheitsbehörden verhindert hat. Die Kämpfe der Zukunft gewinnt man aber nicht mit den Geistern der Vergangenheit. Justizminister Buschmann hat dies verstanden und zeigt Mut zur rechtsstaatlichen Lösung. Chapeau!