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Belarus
Wahlen ohne Wahl: Generalprobe für Lukaschenka

Alyaksandr Lukaschenka

Alyaksandr Lukaschenka

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Nikolay Petrov

Am 25. Februar finden in Belarus die Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Neben den 110 Parlamentsabgeordneten sollen über 12.000 lokale Abgeordnete gewählt werden, die das Grundgerüst des regimetreuen Netzwerks im Land bilden – denn auf den Kandidatenlisten befindet sich kein einziger Vertreter der Opposition. Die Wahlen finden unter Bedingungen totaler Kontrolle und Unterdrückung statt – ein erneutes Fiasko wie 2020, als Hunderttausende Protestierende nach der gefälschten Präsidentschaftswahl auf die Straße gingen, kann sich der Machthaber Alyaksandr Lukaschenka angesichts der 2025 anstehenden Präsidentschaftswahlen nicht leisten.

Der einheitliche Wahltag am 25. Februar wird somit zur Generalprobe der Lukaschenka-Wiederwahl und wird vor allem von den Sicherheitsbehörden des Landes sehr ernst genommen, im Gegensatz zur mittlerweile politisch desinteressierten Bevölkerung von Belarus. Die belarusischen demokratischen Kräfte rund um Sviatlana Tsikhanouskaya rufen zum Boykott der Wahlen auf, schaffen es aber nicht, eine Alternative und klare Vision für die politische Zukunft des Landes zu bieten.

Eiserne Faust gegen Opposition und Zivilgesellschaft

Alyaksandr Lukaschenka, der Belarus seit 1994 regiert, hat die Zeit nach den gewaltsam unterdrückten Protesten 2020 effizient für die Konsolidierung seines Regimes genutzt. Die belarusische Zivilgesellschaft wurde nahezu komplett ausgelöscht, zahlreiche NGOs „liquidiert“. Ein kritischer Kommentar in den sozialen Medien oder ein „like“ an falscher Stelle kann eine Haftstrafe nach sich ziehen. Unabhängige und regimekritische Medien müssen aus dem Ausland agieren.

Potentiell für Lukaschenka gefährliche politische Gegner wurden entweder inhaftiert oder ins Exil getrieben. Derzeit zählt die Organisation Viasna 1421 politische Gefangene in Belarus, darunter den Friedensnobelpreisträger Ales Bialiatski, Lukaschenka-Herausforderer Sergei Tikhanovsky und Viktar Babaryka sowie Maria Kalesnikava und viele andere prominente Figuren der belarusischen Opposition. Zu den meisten besteht seit über einem Jahr kein Kontakt. Ihre Angehörigen wissen nicht, wie es den Geiseln Lukaschenkas geht, ob sie gesund oder überhaupt noch am Leben sind.

Forderung nach internationaler Unterstützung

Angesichts der Nachricht vom Tod Aleksej Nawalnys im russischen Gefängnis rufen die belarusischen demokratischen Kräfte erneut die Weltgemeinschaft dazu auf, sich für die politischen Gefangenen in Belarus einzusetzen. Von der Reaktion des Westens auf Nawalnys Tod hänge das Schicksal belarusischer politischer Gefangener ab, so Sviatlana Tsikhanouskaya. Einige der politischen Gefangenen in Belarus sind bereits ums Leben gekommen, zuletzt der oppositionelle Politiker und Aktivist Ihar Lednik am 20. Februar.

Unter diesen Umständen finden die Wahlen ohne jeglichen Wettbewerb statt. Die unabhängige Zeitung Nasha Niva wagt erneut den Versuch, die Namen von 110 Parlamentsabgeordneten anhand ihrer Position im System Lukaschenka vorab zu raten. Bei der letzten Parlamentswahl 2019 ist es der Zeitung gelungen, 106 von 110 Abgeordneten korrekt vorab zu benennen. Dieses Jahr ist die Kandidatenliste erheblich kürzer als 2019 – lediglich 265 ohnehin regimetreue Kandidaten stehen zur Wahl. Die meisten wurden von staatlichen Behörden und Lokalräten nominiert, nicht etwa durch politische Parteien. Der Anteil von Nominierungen durch die Sicherheitsdienste ist besonders hoch. Lukaschenka macht sie zu Abgeordneten und sichert sich so ihre weitere Loyalität, auf die sein Regime gestützt ist. 2020 hat die Loyalität der Sicherheitskräfte, der Silowiki, ihn vor dem Sturz bewahrt.

Lukaschenka kann aber in seiner all-or-nothing-Wette nicht allein auf die Unterstützung der Silowiki setzen; er benötigt auch weiterhin Rückhalt in den zivilen Strukturen der Macht. So darf es auch keine Überraschungen bei den Wahlen von Seiten der Wahlkommissionen geben – in Tausenden von Wahllokalen haben sie dem Regime ihre Treue zu beweisen. Belarus hat eine lange Tradition der Wahlfälschung auf der Ebene lokaler Wahlbehörden und Wahlkommissionen, die sich aus wirtschaftlich und sozial abhängigen Angestellten staatlicher Betriebe und Einrichtungen zusammensetzen.

Diesmal werden die Namen der Mitglieder von Wahlkommissionen geheim gehalten. Auch wurden keine unabhängigen Wahlbeobachter, etwa von der OSZE, eingeladen, die die Missstände beobachten und benennen könnten. Es ist verboten, die Wahlzettel in den mittlerweile offenen Wahlkabinen abzufotografieren – auf diese Weise wurden 2020 echte Stimmverhältnisse zugunsten von Sviatlana Tsikhanouskaya geschätzt.

Sviatlana Tsikhanouskaya

Sviatlana Tsikhanouskaya

© picture alliance / AA | Omar Marques

Tsikhanouskayas Ruf zum Wahlboykott

Die belarusischen demokratischen Kräfte unter Führung von Sviatlana Tsikhanouskaya, die seit 2020 im Exil lebt und sich als demokratisch gewählte Präsidentin von Belarus bezeichnet, rufen zum Boykott und zur Nicht-Anerkennung der Wahlergebnisse auf. Dabei steht ihre eigene Legitimation zunehmend im Zweifel: Den mittlerweile recht zerstrittenen demokratischen Kräften ist es nicht gelungen, die Wahlen zum Koordinationsrat, der als Alternative zum Parlament im Exil agieren soll, wie geplant durchzuführen. Auch stellt sich die Frage nach der Strategie von Tsikhanouskaya und ihrer Mitstreiter angesichts der 2025 anstehenden Präsidentschaftswahl.

Dabei repräsentiert Sviatlana Tsikhanouskaya Hunderttausende von Belarusen, die wie sie selbst im Exil leben, und die von politischer Teilhabe ausgeschlossen sind. So wird es keine Möglichkeit für sie geben, im Ausland bei den jetzigen Wahlen abzustimmen. Ein Wahllokal für Belarusen mit Wohnsitz im Ausland wurde in Minsk eingerichtet– wo einigen Wählern dann Verhaftungen drohen würden.

Vor den Wahlen – Sicherheitsmaßnahmen und politische Stagnation

Die Sicherheitsdienste bereiten sich aktiv auf mögliche Provokationen am Wahltag vor, auch wenn Störungen angesichts der totalen Unterdrückung sehr unwahrscheinlich sind. Wahlkampf und Agitation findet kaum statt. Bei den meisten Versammlungen handelt es sich um Treffen technischer Natur, bei denen der reibungslose Ablauf der Wahlen diskutiert wird, und nicht die Inhalte der Wahlprogramme einzelner Kandidaten. Es gibt tatsächlich auch kaum Inhalte – das Wahlversprechen aller Kandidaten ist der Erhalt des Status Quo. In einem Land, dessen Machthaber Russland über belarusisches Territorium die Invasion in die benachbarte Ukraine ermöglicht hatte, und das seitdem noch stärker von Moskau abhängig wurde, ist die Angst groß, aktiv in den Krieg hineingezogen zu werden. Eine Teilnahme der belarusischen Streitkräfte am Krieg in der Ukraine bleibt in den Umfragen weiterhin extrem unpopulär, ebenso wie die Pläne, russische taktischen Atomwaffen in Belarus stationieren zu lassen. Lukaschenka verbreitet angsteinflößende Narrative, dass „der Westen und die NATO“ sich auf den Wahltag vorbereiten und die Willensbekundung des belarusischen Volkes sabotieren wollen würden. Dabei steht fest: er selbst hat Angst vor einer freien Willensbekundung des eigenen Volkes, und tut seit mittlerweile fast 30 Jahren alles, um freie und faire Wahlen in Belarus nicht zuzulassen.

Auf Grundlage der Wahlergebnisse wird sich die neue Allbelarusische Volksversammlung konstituieren – ein Organ „der direkten Demokratie“, das sich aus Vertretern der Parlamente zusammensetzt und deren Kompetenzen durch das umstrittene Verfassungsreferendum im Februar 2022 enorm aufgewertet wurden. So kann die Allbelarusische Volksversammlung Verfassungsänderungen und Volksabstimmungen initiieren, das Kriegsrecht einführen, den Präsidenten absetzen, hohe Richter benennen und die Legitimität der Wahlen bestätigen. Der wahrscheinliche Vorsitzende der Allbelarusischen Volksversammlung: Alyaksandr Lukaschenka selbst.