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Gipfeltreffen EU-CELAC
Europa und Lateinamerika: Ein Neustart der Partnerschaft

EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen und der argentinische Präsidente Alberto Fernandez halten im Präsidentenpalast Casa Rosada unterschriebene Dokumente in den Händen. Die EU-Kommissionspräsidentin will das Mercosur-Freihandelsabkommen bis spätestens Ende des Jahres abschließen. Der Vertrag würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen.

EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen und der argentinische Präsidente Alberto Fernandez halten im Präsidentenpalast Casa Rosada unterschriebene Dokumente in den Händen. Die EU-Kommissionspräsidentin will das Mercosur-Freihandelsabkommen bis spätestens Ende des Jahres abschließen. Der Vertrag würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen.

© picture alliance / dpa | Ralf Hirschberger

Der Systemwettbewerb mit China erfordert ein Umdenken. Statt bevormundende Bedingungen zu stellen, sollte die EU als attraktiver und glaubwürdiger Partner für Lateinamerika und die Karibik agieren. Der baldige Abschluss des EU-MERCOSUR Assoziierungsabkommens wäre ein starkes Signal. Ein Neustart der Partnerschaft gelingt durch gemeinsame Initiativen sowie flexible und regelmäßige Austauschrunden. 

Erwartungen im Vorfeld des Gipfeltreffens sind hoch

Nach acht Jahren Pause treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) wieder zu einem Gipfel. Aus historischen Gründen ist Spanien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, prädestiniert, die Beziehungen zwischen den beiden Regionen zu forcieren. Aber die Wiederbelebung der regionalen Partnerschaft zwischen der EU und den Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (LAK) erfolgt nicht automatisch. Drei konkrete Ereignisse prägen die gegenseitigen Wahrnehmungen zwischen den alten Verbündeten zutiefst. Erstens wird aus lateinamerikanischer Sicht die im Vergleich zur chinesischen und russischen Impfdiplomatie verhaltene Unterstützung durch die EU bis heute kritisch gesehen. Zweitens hat Chinas Einfluss als Handelspartner und Kreditgeber besonders in Südamerika stark zugenommen. Drittens hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt, dass die LAK-Staaten als selbstbewusste blockfreie Staaten agieren können und wollen. 

Trotz dieses Hintergrunds sind die Erwartungen für das Gipfeltreffen sehr hoch – insbesondere auf Seiten der EU-Staaten. Das Gipfeltreffen soll unter anderem der neuen Agenda der Europäischen Kommission die Partnerschaft stärken. Die neue Agenda ist sehr anspruchsvoll und vielfältig. Sie beinhaltet eine breite Palette von Schlüsselbereichen des politischen Dialogs, von den Handelsbeziehungen bis hin zum grünen und digitalen Wandel. Die neue Agenda der Kommission ist jedoch bisher in Lateinamerika auf eher bescheidene Resonanz gestoßen.

Die Partnerschaft ist keine Selbstverständlichkeit

Wie in einem Brennglas verdeutlicht das Gipfeltreffen, was für beide Seiten auf dem Spiel steht. Für Prof. Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, steht fest:

„Lateinamerika spielt im Systemwettbewerb mit China eine entscheidende Rolle, und zwar sowohl bei der Dekarbonisierung als auch bei der Diversifikation der europäischen Wirtschaft.“

Karl-Heinz Paqué

Darüber hinaus habe der russische Angriffskrieg verdeutlicht, dass „auch etablierte Partnerschaften brüchig und nicht selbstverständlich sind. Schließlich gewinnen die lateinamerikanischen und karibischen Staaten auch auf der multilateraler Ebene immer mehr politisches Gewicht, insbesondere Brasilien und Mexiko.“

Michael Link, MdB stellt fest, dass „die EU die Partnerschaft mit den LAK-Staaten lange stiefmütterlich behandelt hat. Sowohl der Ausbau der Handelsbeziehungen als auch die politische Zusammenarbeit blieben dadurch auf der Strecke. Dabei bietet Lateinamerika viel unausgeschöpftes Potenzial, nicht nur als Handelspartner und bei der Diversifizierung von Lieferketten, sondern auch als Verbündeter der EU für den Einsatz für Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Sicherheit in der Welt.” 

Die Wiederaufnahme des Dialogs als Herausforderung

Eine Schwierigkeit bei der Wiederaufnahme der Gespräche liegt auf institutioneller Ebene. Anders als die EU ist die CELAC ein Forum ohne Sekretariat mit einer rotierenden Präsidentschaft. Die fehlenden Entscheidungsmechanismen der Gemeinschaft und die Unstimmigkeiten innerhalb der Region verhindern, dass die CELAC als ein zuverlässiger Akteur auf der internationalen Bühne erkennbar ist. In dieser Hinsicht gibt es andere regionale Organisationen wie die Organisation der Amerikanischen Staaten oder die Union Südamerikanischer Nationen, die über etablierte Strukturen und eigene Finanzierung verfügen. Jedoch ist die CELAC die einzige Plattform, in der alle Länder Lateinamerikas und der Karibik vertreten sind. Aber genau hier besteht die größte Herausforderung. Denn der Zustand der Integration der 33 LAK-Staaten stellt ein schwerwiegendes Hindernis für den bi-regionalen Dialog dar. Aus diesem Grund hat die EU bislang lieber mit einzelnen Ländern zusammengearbeitet. Entsprechend besteht lediglich mit Mexiko und Brasilien eine strategische Partnerschaft. 

Kann ein Neustart der Partnerschaft gelingen?

Die neuen Zeiten erfordern, die Partnerschaft neu zu denken. Dabei sollten die Entscheidungsträger insbesondere bei der EU die Asymmetrie der Partnerschaft nicht aus den Augen verlieren. Während für die EU primär die Bekämpfung des Klimawandels sowie die Diversifizierung der Lieferketten im Vordergrund steht, interessieren sich die LAK-Staaten besonders für die Ausbreitung des Wohlstands sowie die Bekämpfung der Unsicherheit und der Korruption. Diese divergierenden Interessen sollten auf dem Gipfel nicht versteckt, sondern eher pragmatisch angegangen werden.

Michael Link verweist darauf, dass egozentrische und überzogene Erwartungen wichtige Fortschritte in der bi-regionalen Zusammenarbeit unterminieren könnten:

„Statt bevormundende Bedingungen in den Bereichen Soziales, Umwelt und Verbraucherschutz zu stellen und den agrarprotektionistischen Interessen einzelner EU-Mitgliedsstaaten nachzugeben, muss die EU den Blick auf das Wesentliche richten und das EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen endlich ratifizieren“.

Michael Link

Ebenso hebt Prof. Paqué den Abschluss und die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens hervor:

„Es muss absolute Priorität haben.“

Karl-Heinz Paqué

Das Zeitfenster während der spanischen Ratspräsidentschaft ist eng und nach mehr als 20 Jahren Verhandlungen ist es höchste Zeit für einen Abschluss.

Eins ist klar: ohne ein Assoziierungsabkommen sind die MERCOSUR-Länder darauf angewiesen, ihre Kooperation mit China zu intensivieren. Bei diesem Szenario werden die Nachhaltigkeitsziele und der Schutz des Amazonas in den Hintergrund rücken. Allen Widerständen zum Trotz erscheint jedoch möglich, die weltweit größte Freihandelszone mit über 770 Millionen Einwohner zu schaffen. Die Ratifizierung des MERCOSUR-Abkommens wäre auch ein starkes politisches Zeichen, wie Michael Link betont:

„Nur, wenn sich unsere Partner auf die konsequente Umsetzung von Verhandlungsergebnissen verlassen können, kann sich die EU im globalen Systemwettbewerb als glaubwürdiger und attraktiver Partner positionieren.“  

Michael Link

Darüber hinaus besteht ein enormes Interesse auf beiden Seiten des Atlantiks, die Diversifizierung der Rohstoffquellen und eine neue Form der Globalisierung durch resiliente globale Lieferketten zu gestalten. Aber auch hier sollte über den Tellerrand hinausgeschaut werden. Prof. Paqué ist überzeugt:

„Ein Technologietransfer bietet den lateinamerikanischen und karibischen Staaten die Möglichkeit, von der einseitigen Orientierung an Rohstoff- und Agrarexporten wegzukommen – hin zu modernen und nachhaltigen Wertschöpfungsketten.“

Karl-Heinz Paqué

Das Gipfeltreffen kann nur ein erster Schritt für eine neue Grundlage der Partnerschaft sein. Es ist zu hoffen, dass sich die Partner auf gezielte und gemeinsame Initiativen einigen und nicht anfangen viele Baustellen parallel zu eröffnen. Es werden neue und flexible Formate benötigt. Diese fest zu etablieren und daraus gewinnbringende Ergebnisse für die 60 eingebundenen Staaten abzuleiten, stellt eine besondere Herausforderung nach dem Gipfel dar. Wichtiger als das Familienfoto beim Gipfeltreffen ist ein regelmäßiger Austausch – egal ob bi-regional oder bilateral.

Diana Luna ist Lateinamerika-Expertin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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