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COVID-19
Impfdiplomatie in Südasien

Doctor giving COVID-19 Vaccine shot to the patient for can help stop a pandemic, COVID-19 vaccines can help reduce the transmission of the new coronavirus from person to person.
Doctor giving COVID-19 Vaccine shot to the patient for can help stop a pandemic, COVID-19 vaccines can help reduce the transmission of the new coronavirus from person to person. ©  Jes2photo via Canva.com

Eineinhalb Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie entwickelt sich Impfstoff immer stärker zu einem diplomatischen Gut. Während die Industrieländer große Fortschritte bei den Impfquoten verzeichnen, hinken ärmere Länder deutlich hinterher und sind dringend auf Impfdosen angewiesen. Staaten wie Indien und China, die selbst das begehrte Vakzin in großen Mengen herstellen, waren als erste in die Impfdiplomatie eingestiegen. Nachdem im gesellschaftlichen Umfeld, etwa bei religiösen Festen, bei Hochzeiten oder im Freundeskreis die AHA-Regeln zu schnell fallengelassen worden waren, verschärfte sich die Coronalage auf dem Subkontinent aber so dramatisch, dass weitere Lieferungen ins Ausland politisch nicht mehr zu verantworten waren. Im April 2021 verhängte die Regierung unter Narendra Modi deshalb einen Exportstopp.

Noch Anfang des Jahres hatte Indien, deren Regierung den Begriff „Impf-Freundschaft“ lancierte, Millionen von Impfdosen an Entwicklungs- und Schwellenländer großzügig verteilt. Das begehrte Gut ging überwiegend an Nachbarstaaten wie Bangladesch, Myanmar, Nepal, Bhutan, Afghanistan, Sri Lanka und die Malediven. Selbst Guatemala bekam bis Ende April dieses Jahres laut der Initiative „Think Global Health“ 200.000 Dosen. Laut dem Informationsdienst Airfinity hatte China allerdings bis April 2021 mit 217 Millionen exportierten Impfdosen verglichen mit Indien (67 Millionen) und Russland (12 Millionen) die Nase weit vorn. Die Regierung in Neu-Delhi erhoffte sich durch die Impfdiplomatie bessere Beziehungen zu Ländern, die zuletzt zunehmend unter Chinas Einfluss geraten sind.

Einen weiteren positiven Effekt nennt der indische Unternehmer Mike D. Batra, der auf den Malediven persönlich erlebt hatte, wie gut die indischen Lieferungen von deren Bevölkerung aufgenommen wurden.

„Indien konnte geschickt die Chance nutzen, die Stärke der indischen Pharmaindustrie weltweit bekannt zu machen. Für viele ist das Land vor allem als IT-Hub bekannt“, sagt der Geschäftsführer der Indien-Berater Wamser + Batra. Dass Technologie, die aus dem Ausland kommt, in Indien günstiger und in sehr großen Mengen hergestellt werden kann, sei auch für ausländische Investoren ein gutes Signal.  Das von der University of Oxford und AstraZeneca entwickelte Vakzin wird in Indien vom Serum Institute of India produziert, dem weltgrößten Hersteller von Impfstoffen. „Dem Image des Landes hat dies auf jeden Fall gutgetan“, ist Batra überzeugt.

Doch dann kam abrupt der Exportstopp, nachdem sich Corona unerwartet und mit voller Wucht zurückgemeldet hatte. Und plötzlich musste die „Apotheke der Welt“ im Ausland als Bittsteller auftreten, war zum Beispiel auf Lieferungen von Sauerstoff angewiesen. Der Riese, der die Pandemie besiegen wollte, zeigte Schwäche, unter der auch die Nachbarn leiden mussten. Das kleine Königreich Bhutan etwa hatte Anfang April verkündet, dass mehr als 90 Prozent der erwachsenen Bevölkerung das erste Mal geimpft seien. Doch plötzlich saß der kleine Himalayastaat auf dem Trockenen. Das Land, das das Glücksziel in seiner Verfassung verankert hat, blieb dennoch gelassen. „Wir verstehen vollkommen die Situation, in der Indien ist. Und deshalb wenden wir uns an alle Führer der Welt, uns mit Impfstoffen zu unterstützen“, sagte Premierminister Lotay Tshering.

Während Indien die Lieferungen stoppte, gab China weiter Gas. Auf dem International Forum on Covid-19 Vaccine Corporation kündigte dessen Außenminister Wang Yi Anfang August 2021 für das laufende Jahr die Lieferung von zwei Milliarden Impfdosen an andere Länder an. Zudem forderte er eine Initiative der WTO, Patente auf Impfstoffe für die Produktion in ärmeren Ländern freizugeben. Dass nun China vom Ausfall Indiens profitiert, ist trotzdem eher unwahrscheinlich. Verstimmt haben dürfte es Indien dennoch, dass ausgerechnet das mit indischen Impfdosen belieferte Bangladesch Mitte August 2021 ankündigte, dass bald der chinesische Corona-Impfstoff von Sinopharm im Land produziert werde. Laut Nachrichtenagentur Xinhua sollen fünf Millionen Dosen pro Monat hergestellt werden. In drei Monaten solle es losgehen. Für Indien ist Bangladesch seit dem Unabhängigkeitskrieg 1971 ein enger Partner.

Unterdessen mischen nach den Impffortschritten in den Vereinigten Staaten und in der EU neue mächtige Impf-Diplomaten mit und kontern Chinas Impfdiplomatie. Ende August 2021 etwa kündigte US-Vizepräsidentin Kamala Harris bei einem Besuch in Vietnam die kostenlose Lieferung von einer Million Impfdosen an. Und damit die fünffache Menge, die einen Tag zuvor China zugesagt hatte. Mit der US-Charmeoffensive in der Region soll dem wachsenden Machtanspruch Pekings begegnet werden. Harris gab zudem bekannt, ein weiteres Büro ihres Centre for Disease Control and Prevention (CDC) eröffnen zu wollen, um gemeinsame Forschungsarbeit zu koordinieren, um auf künftige Pandemien besser vorbereitet zu sein.

Obwohl die indische Impfdiplomatie nicht ihre volle Kraft entfalten konnte, glaubt Unternehmer Batra, dass ein gewisser positiver Imageeffekt in den Empfängerländern hängen bleiben könnte. Die Werbung als potenter Pharmastandort dürfte allerdings durch das plötzliche Auftreten als Bittsteller deutlich an Wirkung verloren haben. Zumal Premier Modi nach seiner Kampagne „Make in India“ mit der „Self-Reliance-Kampagne“ im Herbst 2020 genau das Gegenteil bewirken wollte, nämlich unabhängig zu sein.

Obwohl neben dem weltgrößten Impfstoffhersteller Serum Institute of India auch der indische Biotechnologiekonzern Bharat Biotech ein Vakzin namens Covaxin produziert sowie der russische Impfstoff Sputnik V, Moderna und Johnson&Johnson, beide aus den USA, zugelassen sind, hat Indien bei seiner Anfang 2021 gestarteten Impfkampagne erst mäßige Erfolge verbuchen können. Eine Erstimpfung haben erst gut 33 Prozent der Bevölkerung erhalten, vollständig geimpft sind knapp zehn Prozent (Stand August 2021). Das dürfte den Handlungsspielraum für die künftige Impfdiplomatie weiterhin einschränken.