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Unruhen
Südafrika: „Der Geist Nelson Mandelas ist noch zu spüren"

Ein Bericht zur aktuellen Lage in Südafrika
Mit Regenbogenfahnen wedelnde Unterstützer Mandelas auf dessen Beerdigung 2013
Mit Regenbogenfahnen wedelnde Unterstützer Mandelas auf dessen Beerdigung 2013 © picture alliance / dpa | Ian Langsdon

Nelson Mandela, der erste demokratische Präsident Südafrikas, wäre gestern 103 Jahre alt geworden. Die Aufnahmen von Plünderungen, Straßenkämpfen und Militäreinsätzen auf den Straßen Südafrikas, die in den vergangenen anderthalb Wochen weltweit Schlagzeilen machten, zeichnen allerdings das Bild einer gespaltenen Nation, die noch weit entfernt von der Vision einer friedlichen Regenbogennation ist. Ein genauer Blick auf die Hintergründe und Entwicklungen der letzten Tage lohnt sich, um die komplexen Dynamiken im Land zu verstehen und Hoffnung zu schöpfen.

Die Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma am 19. Juli löste eine Welle von Gewalt und Zerstörung aus, wie sie Südafrika seit dem Ende der Apartheid 1994 nicht erlebt hatte. Die Epizentren der Gewalt sind die beiden Provinzen Gauteng, das Wirtschaftszentrum Südafrikas mit den Städten Johannesburg und Pretoria, und KwaZulu-Natal, die Heimatprovinz Jacob Zumas im Osten des Landes mit der Küstenstadt Durban, die einen der größten Häfen des Kontinents beheimatet. Wichtige Verkehrsadern wurden blockiert, Geschäfte geplündert und Brände gelegt. Selbst vor Schulgebäuden machten die Randalierer keinen Halt: In KwaZulu-Natal sollen mehr als 30 Schulgebäude mutwillig zerstört und geplündert worden sein. Insgesamt kosteten die gewaltsamen Ausschreitungen bisher 212 Menschenleben, mehr als 2.500 Menschen wurden verhaftet (Stand: 16. Juli). Es ist unbestreitbar, dass die gewaltsamen Ausschreitungen dieses enorme Ausmaß nur erreichen konnten, weil sie in der von Arbeitslosigkeit, Armut und Covid-19 gebeutelten Bevölkerung Südafrikas auf fruchtbaren Boden stießen. Jede dritte Person in erwerbsfähigem Alter ist arbeitslos, bei jungen Menschen ist es sogar jede zweite. Durch den erneuten strengen Lockdown im Land, das gerade mit der dritten Corona-Welle zu kämpfen hat, spitzt sich die wirtschaftliche Not weiter zu. Covid-19 hat dem chronisch unterfinanzierten staatlichen Gesundheitssystem zusätzlich massiv zugesetzt. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich unter den Plünderern auch viele Menschen befinden, die aus purer Verzweiflung handeln, um für ihre Familien Nahrungsmittel und Medikamente zu besorgen. Schließlich nutzen auch Kriminelle das unübersichtliche Chaos aus, um Elektrogeräte und andere Luxusgüter zu erbeuten. Auch wenn es sich um eine komplexe Gemengelage verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Motiven handelt, scheinen sich in den letzten Tagen die Hinweise auf einen gezielt vorbereiteten Angriff zu verdichten.

Am Freitagabend wandte sich Präsident Cyril Ramaphosa mit einer Fernsehansprache an das südafrikanische Volk und bezeichnete die Ereignisse der vergangenen Tage als einen „vorsätzlichen, koordinierten und wohl geplanten Angriff auf unsere Demokratie“. Das Ziel sei es gewesen, die Wirtschaft des Landes zu lähmen, die Gesellschaft zu spalten und den demokratischen Staat massiv zu schwächen oder sogar zu beseitigen. „Wir werden diejenigen, die zu dieser Gewalt angestiftet haben, finden und sie werden zur Rechenschaft gezogen werden.“ Mit Nachdruck und Entschlossenheit wiederholte Ramaphosa zweimal: „Wir werden keine Mühen scheuen und diese Individuen vor Gericht bringen“.

Auf die genaue Identität der Drahtzieher ging der Präsident zwar nicht ein, aber erste Indizien deuten bereits in eine bestimmte Richtung. Die amtierende Ministerin für Kleinunternehmen Khumbudzo Ntshavheni erklärte am Donnerstag, dass man bereits einen von zwölf Verdächtigen verhaftet habe. Südafrikanische Medien berichten, dass eine Gruppe von zwölf Individuen identifiziert worden sei, die Ausschreitungen organisiert und über Nachrichtendienste und Social Media zu Gewalt und Zerstörung aufgerufen hätten. Vier weitere Personen wurden am Sonntag verhaftet. Auch wenn zum aktuellen Zeitpunkt die Identität der Verdächtigen unbekannt bleibt, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einflussreiche Persönlichkeiten aus dem Netzwerk Jacob Zumas handelt. So wurde in den Medien berichtet, dass einer der Verdächtigen der ehemalige Top-Spion des südafrikanischen Geheimdienstes und treuer Zuma-Anhänger, Thulani Dlomo, sei. Dieser bestreitet die erhobenen Vorwürfe. Doch auch wenn sich erweist, dass Dlomo nicht zu den Drahtziehern hinter den gewaltsamen Ausschreitungen gehört, ist es nicht unwahrscheinlich, dass einige der Verdächtigen aus Geheimdienstkreisen stammen, die hinter dem ehemaligen Präsidenten stehen und dessen Freilassung durchsetzen wollen. Schließlich war Jacob Zuma zu Beginn seiner Karriere im African National Congress (ANC) in den 1980er Jahren Chef des Geheimdienstes, als der ANC in Südafrika noch verboten und im Exil aktiv war. Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass es hierbei weniger um die Person Jacob Zumas geht, sondern vielmehr darum, dass diejenigen, die sich jahrzehntelang als Mitglieder des Patronage-Netzwerkes des ehemaligen Präsidenten massiv bereichert haben, verhindern wollen, dass auch sie nun juristisch belangt werden.

Der weitere Verlauf der Ermittlungen zur Aufklärung der Hintergründe wird zeigen, wie es um die südafrikanische Justiz steht. Sollte es zu einer Verurteilung der Täter kommen, wäre dies ein wichtiger Sieg für die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und ein starkes Signal, dass sich auch die Mächtigsten im Land nicht auf Dauer der Justiz entziehen können.

Gestern begingen die Südafrikanerinnen und Südafrikaner, wie jedes Jahr am 18. Juli, den Nelson Mandela Day, einen Feiertag zu Ehren des ersten Präsidenten, an dem man sich um die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft kümmert. Und auch in diesem Jahr zeigten sich sowohl der Einzelhandel als auch einzelne Bürgerinnen und Bürger – trotz der eigenen Not – solidarisch und organisierten zum Beispiel Essens- und Medikamentenspenden. Zahlreiche von den Ausschreitungen betroffene Gemeinden in Gauteng und KwaZulu-Natal haben sich bereits eigenständig organisiert und mit dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur begonnen. Der Geist Nelson Mandelas ist noch zu spüren.

Zur aktuellen Situation in Südafrika veranstaltete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am 16.07.2021 einen Webtalk. Diesen können Sie in der Mediathek abrufen

Ekaterini Georgousaki ist Referentin beim Bundesprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit