BRICS Gipfel
BRICS – Herausforderungen auf dem Weg zum Gipfel von Rio de Janeiro

Ein Schild, das das 11. Parlamentarische BRICS-Forum ankündigt, steht am Eingang des Bundessenats in Brasilia, Brasilien.
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Eraldo PeresAuch dieser Gipfel wird für den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva kein Zuckerschlecken. Wie bereits beim G20-Gipfel im vergangenen November in Rio de Janeiro wird Lula auch beim BRICS-Gipfel am Sonntag und Montag in der Stadt am Zuckerhut als Verhandlungskünstler gefordert sein.
Bestand die größte Herausforderung für den ehemaligen Gewerkschaftsführer beim G20-Gipfel darin, seinen Erzrivalen, den argentinischen Präsidenten Javier Milei, zur Zustimmung zum Abschlusskommuniqué zu bringen, muss Lula diesmal gleich an mehreren Fronten beweisen, dass vom Gipfel in Rio de Janeiro Rückenwind für die weitere Entwicklung von BRICS ausgehen kann. Glamouröse Bilder wie bei der „Putin-Show“ beim letzten Gipfel im Oktober im russischen Kasan werden hierfür diesmal nicht ausreichen.
Gipfel ohne Putin und Xi Jinping
In Rio de Janeiro werden gleich zwei Präsidenten von BRICS-Gründerstaaten fehlen: Putin, mit internationalem Haftbefehl sanktioniert, wird, um Brasilien nicht in diplomatische Schwierigkeiten zu bringen, lediglich per Videokonferenz teilnehmen und sich vor Ort von Außenminister Lawrow vertreten lassen. Überraschender ist die Absage des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, der sich aus „Termingründen“ von Premierminister Li Qiang vertreten lässt. Es wird gemunkelt, dass die bisherige Weigerung Brasiliens, der „Belt and Road Initiative“ („Neue Seidenstraße“) seines wichtigsten Handelspartners beizutreten, in Peking für Verstimmung gesorgt hat. Zudem irritiert China offenbar, dass Lula am Rande des Gipfels ein Galadinner für den indischen Präsidenten Modi ausrichtet, dem Rivalen Chinas, der im nächsten Jahr die BRICS-Präsidentschaft übernehmen wird. Die stark divergierenden Interessen der beiden asiatischen Giganten China und Indien setzen der Wirksamkeit von BRICS seit jeher eher enge Grenzen.
Der Umgang mit beiden Partnern zeugt vom außenpolitischen Pragmatismus, der Brasilien charakterisiert. Brasilien sieht BRICS aufgrund der wachsenden Zahl an Mitgliedern und Beitrittskandidaten als nützliche Plattform für die Vertretung der Interessen des „Globalen Südens“, keineswegs aber als eine gegen den Westen gerichtete Organisation, zu der sich Brasilien selbst zählt. Zudem ist Brasilien an einer Intensivierung seiner bilateralen Handels- und Investitionsbeziehungen zu Indien interessiert und will keinesfalls nur auf die chinesische Karte setzen.
Auf der Suche nach Konsensthemen
Neben dem Fehlen einiger für BRICS zentraler Staatschefs wird eine weitere Herausforderung für Lula darin bestehen, bei der Gipfelagenda konkrete Fortschritte zu erzielen. Am ehesten ist dies möglich bei Themen, bei denen ausreichender Konsens für eine engere Zusammenarbeit zwischen den BRICS-Ländern besteht. Die brasilianische BRICS-Präsidentschaft steht unter dem Motto: „Stärkung der Zusammenarbeit im ‚Globalen Süden‘ für eine integrativere und nachhaltigere Governance“ und fügt sich damit nahtlos an die Schwerpunkte der brasilianischen G20-Präsidentschaft 2024 an. Konkret konzentriert sich Brasilien hierbei auf sechs Themenschwerpunkte, die auch bereits seit Beginn der Präsidentschaft einen umfangreichen Kalender sowohl auf politischer Fachebene als auch mit Expertenveranstaltungen bestimmt haben:
- Globale Gesundheitszusammenarbeit
- Handel, Investitionen, Finanzen
- Klimawandel
- Rahmenbedingungen für Künstliche Intelligenz
- Reform des multilateralen Systems für Frieden und Sicherheit
- Institutionelle Entwicklung
Dabei dürfte Lula kein Interesse daran haben, sich beim Gipfel in aktuelle internationale Konflikte hineinziehen zu lassen und stattdessen bemüht sein, in der Abschlusserklärung „diplomatische Formulierungen“ zu finden, die für alle Beteiligten ebenso gesichtswahrend wie unverbindlich sind. Dies gilt sowohl für den Krieg Russlands in der Ukraine als auch zum – zumindest vorerst durch das energische Einschreiten von US-Präsident Trump beendeten –Konflikt zwischen Israel und BRICS-Mitglied Iran. Die Heterogenität der BRICS-Gruppe wird in Rio de Janeiro besonders offensichtlich: Auf der einen Seite die lebensfrohen und offenen Brasilianer in der Stadt von Copacabana und Ipanema, auf der anderen Seite das reaktionäre und unterdrückerische Mullah-Regime.
Lula wird seine ganze diplomatische Kunst beweisen müssen, um eine gemeinsame Abschlusserklärung zu erreichen. Bei ihrem Treffen im April sind die Außenminister erstmals in der Geschichte von BRICS daran gescheitert. Auslöser war die Weigerung der beiden neuen afrikanischen BRICS-Mitglieder Ägypten und Äthiopien, in der Erklärung Südafrika als Kandidaten für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen. Dieses Beispiel zeigt auch, dass in der BRICS-Gruppe zwar genereller Konsens besteht beim Ziel einer stärkeren Vertretung des „Globalen Südens“ in multilateralen Organisationen, bei der Frage, welches Land dies dann aber konkret übernehmen soll, nationale Interessen eine Einigung erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, was die Wirkungskraft von BRICS bei der von ihr angestrebten Reform der globalen Governance schwächt.
Brasilien muss beim Klimaschutz liefern
Im November steht bereits der nächste Höhepunkt der diesjährigen Gipfeldiplomatie Brasiliens an: die COP30-Klimakonferenz in Belém im Herzen des Amazonas. Lula wird daher bestrebt sein, im Einklang mit dem Tagesordnungspunkt Klimawandel auf der Gipfelagenda, in Rio de Janeiro zumindest erste konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz und die Bewältigung des Klimawandels zu erzielen. Eine wichtige Rolle dürfte hierbei auch die von der ehemaligen brasilianischen Präsidentin (und ehemaligen Stabschefin Lulas) Rousseff geleitete BRICS-eigene New Development Bank spielen. Diese hat sich die Finanzierung von Klima- und Umweltschutzprojekten ausdrücklich auf die Fahne geschrieben. Allerdings ist sie in ihren Möglichkeiten bisher durch eine vergleichsweise niedrige Kapitalausstattung und damit mögliches Finanzierungsvolumen eingeschränkt, wenn sie auch über den Kreis der BRICS-Mitglieder hinaus Interessenten gewinnt (z.B. Uruguay, Kolumbien).
Die Herausforderung für Brasilien besteht zum einen darin, dass Gewinne aus der Förderung von Öl und Gas für einige BRICS-Länder zentrale Einnahmequellen darstellen und für diese daher die wirtschaftliche Entwicklung einen höheren Stellenwert hat als internationale Klimaschutzverpflichtungen (z.B. Russland, Iran). Zum anderen kämpft Brasilien auch selbst beim Klimaschutz mit Glaubwürdigkeitsproblemen, zum einen durch illegales Abholzen von Regenwäldern (wenn auch unter Lula zurückgegangen), aber auch durch Vorhaben zur Öl- und Gasförderung im eigenen Land.
EU-Mercosur-Abkommen jetzt ratifizieren
Während Lula also mit gleich mehreren Herausforderungen beim Gipfel in Rio de Janeiro zu kämpfen haben dürfte, steht die Grundausrichtung der brasilianischen Außenpolitik nicht zur Debatte. Brasilien wird bemüht sein, bei Konsensthemen konkrete Maßnahmen für die weitere Zusammenarbeit in der BRICS-Gruppe voranzubringen, konfliktträchtige Themen hingegen auszusparen bzw. diplomatisch zu moderieren, insbesondere auch, um keine neuen Spannungen mit den USA unter Trump zu provozieren.
Für Deutschland und Europa bietet sich die Chance, den pragmatischen außenpolitischen Kurs Brasiliens für eine Intensivierung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu nutzen. Den besten Rahmen hierfür bietet das nun nach 30 Jahren Verhandlungen endlich zur Ratifizierung anstehende EU-Mercosur-Abkommen. Der feierliche Abschluss ist dann für Dezember geplant – beim nächsten Gipfelereignis in Brasilien, das jetzt in der zweiten Jahreshälfte auch die Präsidentschaft im Mercosur übernimmt.
Am 25. Juni 2025 veranstaltete die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit der Fundação Dom Cabral in São Paulo eine Fachtagung zum Thema „BRICS - What to Expect from Brazil's Presidency and the Summit in Rio de Janeiro?“ mit Experten aus der brasilianischen Regierung, Wissenschaft und Privatwirtschaft.

Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in São Paulo zum Thema „BRICS - What to Expect from Brazil's Presidency and the Summit in Rio de Janeiro?“
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