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Montenegro
Können die Pro-Europäer eine Regierung bilden?

Milojko Spajić

Milojko Spajić, Vorsitzender der Partei "Europa Jetzt", spricht nach der Parlamentswahl in Montenegros Hauptstadt Podgorica.

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Risto Bozovic

Gut zwei Monate nach den Präsidentschaftswahlen, mit denen die dreißigjährige Ära von Langzeitherrscher Milo Djukanović zu ihrem Ende kam, waren am Sonntag erneut etwa 540.000 Montenegrinerinnen und Montenegriner zur Wahl ihres Parlaments aufgerufen. Die meisten Stimmen errang die vor einem Jahr gegründete Bewegung „Europa Jetzt!“ („Evropa Sad!“). Um eine neue Regierung zu bilden, benötigt die Partei jedoch mindestens zwei weitere Partner.

Die Parlamentswahl war noch im März vom damaligen Staatspräsidenten Djukanović angesetzt worden, um die durch den Bruch der Regierung von Ministerpräsident Dritan Abazović entstandene politische Krise in der Adriarepublik zu beenden. Nach zwei Wahlgängen zur Präsidentenkür war die niedrige Wahlbeteiligung von nur 56,4 Prozent – zwanzig Prozent weniger als noch bei den Wahlen 2020 – ein Anzeichen für eine Ermüdung der Bürgerinnen und Bürger nach Jahren politischer Enttäuschungen.

Die Bewegung „Europa Jetzt!“ erhielt 25,6 % der Stimmen (23 Sitze), die Wahlliste der langzeitherrschenden Djukanović-Partei DPS immerhin 23,8 % (21 Sitze). Das pro-serbische Wahlbündnis „Für die Zukunft Montenegros“ („Za budućnost Crne Gore“) wurde mit 14,8 % (13 Sitze) drittstärkste Kraft, noch vor dem grün-konservativen Bündnis um den per Misstrauensantrag gestürzten Ministerpräsidenten Abazović mit 12,3 % (11 Sitze). Einen klaren Wahlsieger gibt es also nicht. Doch auch aufgrund persönlicher Animositäten unter den Vorsitzenden der pro-europäischen Parteien könnte sich die Regierungsbildung als schwierig erweisen.

Stabilität und Resilienz neuer Exekutive keinesfalls gesichert

Anders als noch bei der Parlamentswahl im Jahr 2020 war der Wahlkampf nicht von Identitätsfragen innerhalb des kleinen Balkanstaats, sondern von wirtschafts- und sozialpolitischen Themen geprägt. Der Bewegung „Europa Jetzt!“ wurde nach dem Triumph ihres Kandidaten Jakov Milatović bei den Präsidentschaftswahlen im März/April auch ein Sieg bei der Wahl zur Legislativen vorhergesagt. Dazu fehlten der jungen Bewegung offenbar die „Bodentruppen“ – traditionelle Stammwähler, die bei einer niedrigen Wahlbeteiligung mit diszipliniertem Wahlverhalten verlässlich Prozentpunkte liefern.

Umfragen zeigen, dass die Botschaften von „Europa Jetzt!“ als wenig glaubwürdig eingestuft wurden. Die Partei warb unter anderem für eine 35-Stunden-Arbeitswoche und die Abschaffung der Beiträge zur Krankenversicherung, was viele Wählerinnen und Wähler als unrealistische Wahlversprechungen abtaten. Auch öffentlich ausgetragene Scharmützel zwischen dem neugewählten Präsidenten Jakov Milatović und dem Parteivorsitzenden – und wahrscheinlichem Ministerpräsidenten – Milojko Spajić kosteten die Bewegung Stimmen.

Erstaunlich gut konnte sich die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) nach dem Rücktritt ihres Langzeit-Vorsitzenden Milo Djukanović halten. Zwar fiel sie von 35 auf nunmehr 21 Parlamentssitze, bleibt aber als größte Oppositionspartei eine Alternative, sollte eine neue Regierung scheitern. Die Zukunft der DPS hängt davon ab, ob sie sich glaubwürdig von Korruptionsvorwürfen wird befreien können.

Rein mathematisch müssten entweder das pro-serbische Bündnis „Für die Zukunft Montenegros“ oder die konservativ-grüne Koalition „Mutig sein!“ des noch amtierenden Ministerpräsidenten Abazović zur zukünftigen Regierung zählen. Der Parteivorsitzende von „Europa Jetzt!“ Milojko Spajić erhob jedoch schwere Korruptionsvorwürfe gegenüber Abazović und schloss am Wahlabend eine Zusammenarbeit aus. Da „Europa Jetzt!“ einer Kooperation mit der DPS im Vorfeld ebenfalls eine Absage erteilte, wird der Handlungsspielraum enger.

Raufen sich die Pro-Europäer zusammen?

Der konservative Zusammenschluss „Für die Zukunft Montenegros“ konnte sich mit 13 Mandaten als führende Kraft unter den pro-serbischen Parteien behaupten. Den pro-serbischen Parteien, die zuletzt mit Dritan Abazovićs Kür zum Ministerpräsidenten das Ende der Ära Djukanović einläuteten, kam das Auseinanderfallen in mehrere Wahllisten teuer zu stehen. Es erscheint paradox, dass dadurch die Chancen einer Regierungsbeteiligung gestiegen sind, da sich nun das um einige Parteien geschrumpfte Wahlbündnis der ethnischen Serben mit einer bescheideneren Rolle begnügen wird. Noch in der Wahlnacht unterstrich Spitzenkandidat Milan Knežević die Bedeutung des europäischen Weges von Montenegro, was durchaus als Angebot an „Europa Jetzt!“ verstanden werden kann.

„Morgen ist ein neuer Tag“, sagte der Vorsitzende von „Europa Jetzt!“ Milojko Spajic nach der Wahl. „Wir werden nicht arrogant sein und uns mit jedem zusammensetzen, der unsere Werte teilt. Wir werden natürlich eine neue pro-europäische Regierung bilden.“

Im Fall einer Koalition zwischen „Europa Jetzt!“ und dem pro-serbischen Bündnis würde die Unterstützung weiterer Minderheitenparteien, allen voran der der Bosniaken notwendig, was der Diversität der neuen Regierung guttäte. Ob sich Serben und Bosniaken in Montenegro in Koalitionsverhandlungen einigen können, steht in den Sternen. Letztlich könnten dadurch die den politischen Prozess oftmals lähmenden Identitätsfragen an Relevanz verlieren, was in einem von ethnischen Streitfragen geprägten Land wie Montenegro ein immenser Fortschritt wäre.

Es wäre ein starkes Zeichen, wenn sich die so unterschiedlichen Akteure auf ein gemeinsames Ziel einigen können: signifikante Fortschritte bei der Reform der montenegrinischen Wirtschaft und Rechtsstaatlichkeit, um die ehemalige Teilrepublik Jugoslawiens für einen EU-Beitritt zu befähigen. Es bleibt zu hoffen, dass die politischen Parteien die durch die Abwahl des „Ewigen Präsidenten“ Djukanović und seiner DPS entstandene neue Kräfteordnung nutzen und erkennen, dass die veränderte geopolitische Lage in Europa einen EU-Beitritt des Landes in den Bereich des Möglichen rückt.

Dušan Dinić ist Senior Manager im Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit am Standort Belgrad.