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Iran
Präsidentschaftswahlen im Iran

Überlegungen zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran
Wahlen Iran
© Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Im Iran finden am 18. Juni 2021 Präsidentschaftswahlen statt. Laut Umfragen liegt der Oberste Richter im Iran, Ebrahim Raisi, vorn. Beobachter erwarten jedoch eine geringe Wahlbeteiligung. Der Einfluss des Irans in der Region hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen – besonders im Jemen, dem Libanon, Syrien und dem Irak spielt das Land mittlerweile eine zentrale strategische Rolle. Dies verschärfte sowohl die Spannungen mit Irans sunnitischem Rivalen Saudi-Arabien als auch mit Israel. Wie wird sich die Wahl auf die Regionalpolitik des Staates auswirken? Und wie blicken andere Länder der Region auf eine neue Präsidentschaft?

Weiter nach rechts ... Überlegungen zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran

Am 18. Juni finden in der Islamischen Republik Iran Präsidentschaftswahlen statt. Während seiner zwei Amtszeiten hat der derzeitige Präsident Hassan Rouhani (2013- heute) versucht, die Beziehung Irans zur Welt neu zu justieren. Seine Mission war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Rouhani versuchte, zusammen mit seinem Außenminister Javad Zarif, den Iran wieder in die internationale Ordnung zu integrieren. Massive Anstrengungen wurden in die Verhandlungen des Iran-Deals gesteckt, der 2015 unter der Regierung von Barack Obama geschlossen wurde. Dennoch war die Laufzeit des Deals nur von kurzer Dauer. Der Rückzug von Donald Trump im Jahr 2018 war einer der Hauptgründe, aber nicht der einzige. In einem kürzlich an die Öffentlichkeit gedrungenen Audiomitschnitt von Zarif gibt der Außenminister zu, dass es die Revolutionsgarden sind, die die Politik im Iran bestimmen. Zarif beschuldigte "den General" Qassem Soleimani, den Kommandeur der Eliteeinheit Quds Force der Revolutionsgarden, den Deal mit Unterstützung des russischen Präsidenten Wladimir Putin sabotiert zu haben.

Das Scheitern des Abkommens führte dazu, dass gegen den Iran wegen seines Atomprogramms und seiner militärischen Aktivitäten in der Region - vor allem im Libanon, in Syrien, im Jemen und am Persischen Golf - drastische Sanktionen verhängt wurden. Seit einigen Jahren befindet sich der Iran bereits in einer schweren Wirtschaftskrise, die durch den Ausbruch der Pandemie noch verschärft wurde.

Der maximale Druck hat im Iran zu unkoordinierten, aber anhaltenden Protesten im ganzen Land geführt. Anders als bei der Grünen Revolution im Jahr 2009 konzentrierten sich die Forderungen mehrheitlich auf wirtschaftliche und soziale Reformen und weniger auf politische Rechte. Unabhängig von dieser öffentlichen Unzufriedenheit argumentieren einige Experten, dass der maximale Druck, der auf den Iran ausgeübt wird, das gemäßigte Lager geschwächt und das Narrativ der Hardliner gegen den Westen gestärkt hat. Der iranische Wissenschaftler Arash Azizi widerspricht dieser Behauptung. Er argumentiert, "die Hardliner im Iran sind nicht populär".

Ob richtig oder falsch, die kommenden Präsidentschaftswahlen werden den Willen des iranischen Volkes nicht widerspiegeln. 592 Kandidaten hatten sich registrieren lassen, darunter der ehemalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der ehemalige Parlamentssprecher Ali Laridschani und weibliche Kandidaten wie Zahra Schojaei, eine Politikwissenschaftlerin und Frauenrechtsaktivistin.

Nur sieben Kandidaten haben den vom Wächterrat durchgeführten Überprüfungsprozess bestanden. Die Disqualifizierung von Ali Laridschani und wichtigen Kandidaten der Reformer, darunter Rouhanis erster Stellvertreter Ishaq Dschahangir, haben den Weg für den Sieg von Ebrahim Raisi geebnet.

Neben Raisi hat der Rat den derzeitigen Obersten Richter des Irans bestätigt: Amir-Hossein Ghazizadeh, derzeitiges Mitglied der Islamischen Konsultativversammlung, Abdolnaser Hemmati, ehemaliger Gouverneur der Zentralbank, Said Dschalili, ehemaliger Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates, Mohsen Mehralizadeh, ehemaliger Gouverneur von Isfahan, und Mohsen Rezai, ehemaliger Oberbefehlshaber der Islamischen Revolutionsgarden (Informationen zum Profil der Kandidaten finden Sie im Iran Brief 1400).

Aufgrund des Ausschlusses prominenter Kandidaten werden die Wahlen von iranischen Anti-Regimegruppierungen und Aktivisten in Frage gestellt. Mitglieder der Exil-Opposition haben in den sozialen Medien zum Wahlboykott aufgerufen. Als Reaktion darauf hat der Revolutionsführer die Bevölkerung aufgefordert, diese Kampagnen zu ignorieren. "Die Wahlen werden innerhalb eines Tages abgehalten, aber das Ergebnis bleibt für mehrere Jahre bestehen", fügte er hinzu.

Umfragen zufolge wird die Wahlbeteiligung nicht zufriedenstellend sein, was die Legitimität der neuen Präsidentschaft vor große Herausforderungen stellen wird. Offiziellen iranischen Umfragen zufolge werden nur 34% des Volkes an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen und wählen.

Einige Experten argumentieren, dass Khamenei mit der Unterstützung der Revolutionsgarden die Wahl zugunsten von Raisi manipuliert, da die anderen zugelassenen Kandidaten mehrheitlich der konservativen Strömung angehören und weniger Unterstützung in der Bevölkerung haben. Außerdem gilt Raisi als potenzieller Nachfolger von Khamenei, der sich Berichten zufolge in einem schlechten Gesundheitszustand befindet. Andere Analysten argumentieren jedoch, dass Raisis Sieg nicht sicher ist, da sich iranische Wahlen als schwer vorhersehbar erwiesen haben.

Sollte er gewählt werden, wird Raisi seine Amtszeit höchstwahrscheinlich dazu nutzen, die Hardliner-Fraktionen zu harmonisieren, insbesondere die Hardliner unter den Klerikern und innerhalb der iranischen Revolutionsgarde. Aber unabhängig davon, was er sich erhofft, wird er Geisel eines größeren autokratischen Establishments sein, das ohne ihn entstanden ist.

Auf internationaler Ebene hat Raisi trotz seiner antiwestlichen Rhetorik und seines Lobes für die „widerstandsfähige Wirtschaft Irans" zum Ausdruck gebracht, dass er höchstwahrscheinlich einen möglichen Atomdeal „unter den richtigen Umständen" begrüßen würde.

Israel – Eine israelische Sicht auf den Iran nach Netanyahu: Gleiche Einschätzung, aber diplomatischerer Ton

Es gibt einen überwältigenden, ideologieübergreifenden Konsens zwischen Politikern, dem Sicherheitsestablishment und Analysten in Israel, dass die Islamische Republik Iran dessen größte existenzielle Bedrohung darstellt.

Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 ist der Iran in seiner Feindseligkeit gegenüber Israel konsequent. Ob die iranischen Präsidenten gemäßigt waren, wie der derzeitige Präsident Hassan Rouhani, oder Hardliner, wie sein Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad, die entscheidende politische Macht liegt seit 1979 immer beim Revolutionsführer des Irans.

Beide Oberste Führer, Ruhollah Khomeini (1979-1989) und Ali Khamenei (seit 1989), haben immer wieder zur Vernichtung Israels aufgerufen. Der gemäßigte Präsident Rouhani verzichtete darauf, die regelmäßigen Aufrufe zur Vernichtung Israels von Khomeini oder Ahmadinedschad zu wiederholen, aber auch während seiner Amtszeit seit 2013 hat der Iran seine nuklearen Ambitionen nicht aufgegeben und die Aktivitäten und den Einfluss der islamischen Revolutionsgarden in der gesamten Region ausgebaut. Die neue israelische Regierung teilt die Einschätzung des scheidenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der im Juni 2021 sagte: „Unsere größte Bedrohung ist die existenzielle Bedrohung durch die Bestrebungen des Irans, sich mit Nuklearwaffen aufzurüsten, sei es, um uns direkt mit Atomwaffen zu bedrohen, mit der Zerstörung eines kleinen Staates, oder um uns mit Zehntausenden von Raketen oder einer großen Anzahl von Raketen zu bedrohen, die von einem nuklearen Schirm unterstützt werden."

Es wird jedoch erwartet, dass die neue Regierung von Netanjahus undiplomatischer Rhetorik und aggressiver Ablehnung gegen jedes Abkommen mit dem Iran Abstand nehmen wird. Yair Lapid, stellvertretender Ministerpräsident und Außenminister, der mit seiner liberalen Partei Yesh Atid die neue israelische Regierung stellt, kritisierte bereits 2018 den einseitigen Ausstieg der USA aus dem Iran-Atomdeal scharf. Er sagte, er sei prinzipiell gegen den Atomdeal, betonte aber, dass ein Ausstieg nur nach Verhandlungen mit der Europäischen Union erfolgen könne. Er argumentierte: „Wir sollten die Europäer einbeziehen und uns mit ihnen abstimmen, wenn wir Sanktionen gegen das ballistische Raketenprogramm, gegen die Förderung des Terrorismus und eine Verschärfung der Inspektionen wollen." Die Koordination mit der EU und den USA hinter verschlossenen Türen ist laut Lapid essentiell für Israels Sicherheit. Den gleichen Ansatz unterstützend sagte Verteidigungsminister Benny Gantz im Juni: „Die Biden-Administration ist ein wahrer Freund, und Israel hat und wird keinen besseren Partner haben als die USA. Selbst wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, müssen sie hinter geschlossenen Türen gelöst werden und nicht mit trotziger Rhetorik, die Israels Sicherheit schaden könnte."

Auch wenn der neue Ministerpräsident Naftali Bennet in der Iran-Frage mitunter härter auftritt als Benjamin Netanjahu wird erwartet, dass er sich in der Außen- und Sicherheitspolitik auf seine Koalitionspartner verlassen wird, die einen eher diplomatischen Ansatz verfolgen. Andererseits erwarten israelische Analysten von Spitzenkandidat Ebrahim Raisi bei den iranischen Wahlen einen weniger diplomatischen Ton, da er als Hardliner und Vertrauter des Revolutionsführers Khamenei bekannt ist. Dementsprechend wird Israel die Wahlen im Iran ohne große Erwartungen beobachten und sich gleichzeitig mit seinen Partnern in den USA und der EU dafür einsetzen, dass ein mögliches Atomabkommen mit dem Iran nicht Israels Sicherheitsinteressen untergräbt.

Irak – Das Erbe des Krieges und die iranisch-irakischen Beziehungen

Der Konflikt zwischen dem Iran und Irak (1980-1988) bereitete die Bühne für eine neue Dynamik in der Region des Nahen Ostens bereitet. Die Vermächtnisse des Krieges sind vielfältig. Die Niederlage der Armee Khomeinis gegen Saddam Hussein hinderte den Iran nicht daran, sein Netzwerk von Verbündeten auszubauen, angefangen vom Libanon über Syrien bis hin zum Irak. Die amerikanische Invasion im Irak und der Sturz des Baath-Regimes im Jahr 2003 ebneten dem Iran den Weg, eine zentralere Rolle in der irakischen politischen und militärischen Landschaft zu übernehmen.

Zum einen nutzte der Iran die „Anti-Amerika"-Rhetorik im Irak, um seine expansionistischen Ambitionen zu verankern und eine - bescheidene, aber vorhandene - Legitimität zu erlangen. Zweitens war der Iran in der Lage, Kapazitäten zur Mobilisierung der schiitischen Gemeinschaft im Irak zu entwickeln - die zuvor vom Saddam-Regime unterdrückt und zum Schweigen gebracht worden war. Und drittens profitierte der Iran vom Zerfall des irakischen Militärs, indem er schiitische Aufstandskampagnen anstachelte und paramilitärische Gruppen unterstützte; vor allem die irakische Hisbollah und die Popular Mobilization Forces (PMF).

Die Hassliebe zwischen dem Irak und dem Iran ist unüberwindlich - zumindest auf kurze Sicht. Wirtschaftlich sind beide Seiten aufeinander angewiesen, da sie eine Handelsbeziehung im Umfang von 12 Milliarden USD pro Jahr miteinander verbindet. Die geografische Nähe sowie religiöse, kulturelle und historische Bindungen sorgen für ein gesundes Verhältnis der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen beiden Ländern. Allerdings müssen einige Grundregeln neu definiert werden, da die Frage der irakischen Souveränität auf dem Spiel steht.

Die Sanktionen gegen den Iran zusammen mit der Invasion des IS auf Mossul und andere Gebiete wurden als Gelegenheit für das iranische Regime betrachtet, sein Netzwerk von Stellvertretern im Irak zu erweitern. Die Expansion verlief nicht so systematisch wie im Libanon, wo die Hisbollah eine zentrale politische und militärische Rolle spielt. Die Iraner konzentrierten sich darauf, schiitische Milizen mit militärischen Ressourcen zu versorgen, während sie gleichzeitig direkten politischen Druck auf die irakischen Regierungen ausübten. Daher war die Angst vor einem Aufstand gegen den Iran für die Islamische Republik immer eine Quelle der Besorgnis. Aus diesem Grund gab es Berichte, wonach der verstorbene General Qassem Soleimani, Kommandeur der Quds-Truppen, den Irak zweimal im Monat zu besuchen pflegte, um die politischen und militärischen Entwicklungen im Land zu verfolgen und zu übersehen.

Der Mythos des „Schattenbefehlshabers" und seines Begleiters Abu Mahdi al-Muhandis, des verstorbenen stellvertretenden Chefs der PMF, hat sich mit dem Tod der beiden Befehlshaber auf dem Flughafen von Bagdad im Januar 2020 zerschlagen. Im Iran hinterließ die Ermordung Soleimanis ein Vakuum, das mehrere iranische Regierungsnetzwerke zu füllen versuchten, um einen Riss im Irak zu vermeiden. Im vergangenen Jahr nahmen die Proteste gegen iranische Milizen in irakischen Städten, darunter Kerbala, jedoch rapide zu.

Aufgrund dieser Unzufriedenheit innerhalb der Bevölkerung haben vom Iran unterstützte Gruppen in den letzten Monaten starkes Interesse an einer Neugestaltung der Beziehungen zum Iran gezeigt - eine Forderung, der die Islamische Republik nicht entgegenkommen wird.

Um seine Macht zu erhalten, wird der Iran seine Taktik im Irak überdenken müssen. Möglicherweise wird der gewählte Präsident in Erwägung ziehen, das Gleichgewicht innerhalb der Sicherheitsinstitutionen im Iran wiederherzustellen, um die durch die Tötung von Soleimani entstandene Lücke zu kompensieren und das iranische Engagement im Irak wieder zu stärken. Darüber hinaus könnte er eine auf Nachbarschaft ausgerichtete Politik verfolgen, die es dem Iran ermöglicht, größeren Einfluss auf das parlamentarische Geschehen im Irak zu nehmen, um sich wiederum für einen vollständigen Abzug der Amerikaner einzusetzen.

Trotz dieser taktischen Verschiebungen werden die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran nicht zu einem grundlegenden Wandel in der iranischen Irak-Politik führen. Allerdings haben die irakischen Schiiten im Moment ein Auge auf den künftigen Revolutionsführer im Iran. Wer wird nach Khamenei kommen? Falls es Ebrahim Raisi werden sollte, was bedeutet das letztendlich für die Schiiten im Irak - wenn man bedenkt, dass durch den Tod von Ayatollah Sistani, der mittlerweile 90 Jahre alt ist, auch in Nadschaf ein Machtvakuum entstehen könnte?

Libanon – Die Positionierung der Hisbollah

Der Grad des iranischen Einflusses im Libanon ist ein sehr umstrittenes Thema. Während klar ist, dass der „Zedernstaat" trotz seiner relativ geringen Größe schon immer ein Schlachtfeld für verschiedene geopolitische Interessen in der Region war, hat die Rolle des Irans dennoch besondere Kontroversen ausgelöst.

Dies liegt vor allem an der Einzigartigkeit seiner Intervention. Natürlich vertreten internationale Akteure wie Saudi-Arabien, die USA, Frankreich oder die Türkei ihre Interessen, aber sie richten ihre Beziehungen in erster Linie über offizielle institutionelle Kanäle aus und verbinden die Unterstützung mit Kooperation, Wandel und Reformen. Beispiele sind die französische Initiative nach der Explosion im Beiruter Hafen, bei der die Unterstützung an eine funktionierende Regierung und die Umsetzung von Reformen geknüpft ist, oder die US-Unterstützung für die libanesischen Streitkräfte. Der Iran hingegen verfolgt eine andere Logik und formiert regelmäßig Milizen mit der Hauptabsicht, den Staat zu untergraben und seine Institutionen in den Griff zu bekommen.

Dieser Prozess ist in Syrien, im Jemen und natürlich im Libanon zu beobachten, wo der Iran eine wichtige Rolle bei der Gründung der Hisbollah in den 1980er Jahren spielte. Während sie in den ersten 20 Jahren eine Miliz blieb, entwickelte sie sich nach dem Konflikt mit Israel zu einem wichtigen politischen Akteur. Im Jahr 2008 erhielt die Hisbollah sogar Sitze am Kabinettstisch.

Heute steht der Libanon am Rande des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs. Die Weltbank hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht, in dem es heißt: „Die Wirtschafts- und Finanzkrise wird wahrscheinlich in die Top 10, möglicherweise in die Top 3, der schwersten Krisen weltweit seit Mitte des 19. Jahrhunderts eingehen." Doch die anhaltende Untätigkeit der Politik und die Abwesenheit einer Regierung seit mehr als acht Monaten bedrohen die ohnehin schon desaströsen sozioökonomischen Zustände.

Diese Situation spielt der Hisbollah und dem Iran in die Hände, denn ein kollabierender Staat gibt dem Iran Möglichkeiten, über die Hisbollah Einfluss zu nehmen. Erstens nutzt Teheran den Libanon als Basis für den Schmuggel von Drogen und Waffen, um seine Operationen in Syrien zu koordinieren und zu finanzieren. Zweitens ist die schiitische Miliz einer der wenigen Akteure im Libanon, die in großem Umfang soziale Dienste anbieten können, und sie hat bereits angekündigt, dass sie ihrer eigenen Wählerschaft ausreichend Hilfe zukommen lassen wird.

Darüber hinaus hat der Iran bereits angeboten, Öl und Gas in heimischer Währung an den Libanon zu verkaufen, da er weiß, dass dies für den Libanon eine kostengünstige Alternative zu den derzeitigen Importen in US-Dollar wäre. Dieses Angebot vermittelt der libanesischen Öffentlichkeit und insbesondere der schiitischen Gemeinschaft den Eindruck, dass es jemanden gibt, der hilft, während der Rest der internationalen Gemeinschaft zur Seite getreten ist. Die politischen Akteure im Libanon wissen jedoch sehr genau, dass die Annahme eines solchen Angebots mit heftigen Vergeltungsmaßnahmen seitens der USA sowie Saudi-Arabiens und der Golfstaaten einhergehen würde.

Eine offene Hinwendung zum Iran wäre daher ein Schritt, den sich der Libanon nicht leisten kann und der die Grenzen von Teherans regionalem Machtstreben aufzeigen würde. Die Hisbollah hat zwar genug Einfluss, um den Staat zu untergraben, aber nicht genug Macht, um den Libanon zur 35. Provinz des Irans zu machen.

Saudi-Arabien – Der andere Riese der Region zwischen offener Feindschaft und diplomatischen Initiativen

Saudi-Arabien und der Iran sind wirtschaftlich, politisch als auch ideologisch Konkurrenten. Beide Länder beanspruchen eine führende Rolle in der islamischen Welt und haben ihre jeweilige Vorherrschaft in der Region in den letzten Jahren immer wieder neu justiert. Gleichzeitig stehen beide Länder wirtschaftlich enorm unter Druck. Auf der einen Seite spürt der Iran die Auswirkungen harter US-Sanktionen mit gleichzeitig einhergehenden negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Auf der anderen Seite verzeichnet das Königreich Saudi-Arabien (KSA) – insbesondere aufgrund des niedrigen Ölpreises – derzeit eine Staatsverschuldung von rund 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gleichzeitig hat die Islamische Republik Iran inzwischen immer mehr an Einfluss in der Region gewonnen und ist dabei immer näher an die Grenzen des sunnitischen Königreiches vorgedrungen. Im Jemen, Irak, Libanon und Syrien ist der Iran ein aktiver Gegenspieler Saudi-Arabiens. Da inzwischen aber auch das Verhältnis des KSA zu Jordanien gestört ist – dies zwar ohne das Zutun des Irans – komplettiert sich das Bild komplizierter Beziehungen des saudischen Staates zu fast all seinen Nachbarländern.

Über das Vordringen des Irans sind die Machthaber in Riad, allen voran Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS), äußerst frustriert und versuchen sich in der Diversifizierung einer von den USA unabhängigen Wirtschafts- und Außenpolitik. Viel zu lange hatte man sich in Saudi-Arabien darauf verlassen, dass der Druck der USA auf Iran stärker wird. Doch dann kam das JCPOA und eine damit einhergehende Neujustierung der amerikanischen Nahost-Politik zu Lasten des sunnitischen Königreiches. Zwar sorgte US Präsident Trump kurzzeitig erneut für eine uneingeschränkte Unterstützung Saudi-Arabiens seitens der USA, aber mit dem Amtsantritt von Joe Biden kommt es abermals zu einer Wende in der Haltung Amerikas zum Nahen Osten. Biden kritisiert deutlich den Krieg Saudi-Arabiens im Jemen und begann gleichzeitig Verhandlungen mit dem Iran über eine Wiederbelebung des Atomabkommens von 2015. Sollte es dazu kommen, steht grundsätzlich eine atomare Aufrüstung Saudi-Arabiens im Raum und damit der Startschuss für ein unheilvolles Wettrüsten in der gesamten Region.

Dagegen sprechen jedoch die sichtbaren diplomatischen Initiativen aus Riad in jüngster Zeit. Einerseits deuten alle Anzeichen in Richtung einer zukünftigen „Normalisierung" der Beziehungen zu Israel. Diese Annäherung sieht der Iran jedoch als militärische Bedrohung, da Israel unter anderem Technologien und/oder Waffen liefern könnte, welche sich gegen den Iran und dessen Militär- und Atomprogramm richten. Andererseits versucht der saudische Thronfolger MBS die seit 2016 ausgesetzten diplomatischen Beziehungen zum Iran wiederzubeleben: „Der Iran muss es nicht schwierig haben. Im Gegenteil, wir wollen, dass der Iran wächst ... und die Region und die Welt in Richtung Wohlstand drängt” sagte er im saudischen Fernsehen Ende April 2021.

Da das Feld der Präsidentschaftskandidaten im Iran inzwischen gelichtet wurde, (https://www.freiheit.org/sites/default/files/2021-06/iw-3.pdf) wird Saudi-Arabien sehr bald in der Lage sein zu beurteilen, wer der neue Gesprächspartner im Iran sein wird. Allerdings weiß man auch in Riad sehr wohl, dass die Präsidentschaftswahlen zu keinem grundsätzlichen Richtungswechsel des iranischen Narratives führen werden. Das Machtzentrum im Iran liegt nun mal nicht beim Präsidenten. Deswegen verfolgt das KSA diese Wahlen aufmerksam aber unaufgeregt.

Syrien – Irans Beteiligung am Syrien-Konflikt und die Zukunft iranischer Syrien-Politik

Die Beziehung zwischen dem Iran und Syrien ist von großer Beständigkeit und Konstanz geprägt. Während viele den Beginn der heutigen Beziehungen auf die 1980er Jahre datieren, als beide Länder Saddam Husseins Irak als gemeinsamen Feind ansahen, reichen die Ursprünge ihrer Beziehung noch weiter zurück: vor die Gründung der Islamischen Republik, als Hafiz Assad in den 1970er Jahren Iranern, die sich dem Schah widersetzten, Zuflucht gewährte.

Der Kern der Bindung liegt in der gemeinsamen Auffassung, dass die Zusammenarbeit für beide Länder erhebliche strategische und politische Vorteile bringe. In einem Artikel in Middle East Policy argumentiert der Wissenschaftler Edward Wastnidge, dass „gemeinsame Interessen in Bezug auf den Irak und den Libanon, die Beziehungen zu wichtigen externen Mächten wie Russland, den Vereinigten Staaten bis hin zu Israel [...] am wichtigsten sind", während sie „in ihrer ideologischen Verquickung, wie im Falle Israels, und den praktischen realpolitischen Interessen, wie im Falle des Iraks, variieren und oft beides kombinieren". Zum Beispiel sehen beide Staaten Israel als den Hauptfeind in der Region an. Daher unterstützen beide eine starke Präsenz der Hisbollah im Libanon, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Während der Iran die Hisbollah in erster Linie als Mittel zum Schlag gegen Israel und als wirksame Abschreckung sieht, sieht Syrien in der schiitischen Miliz vor allem eine Möglichkeit, den westlichen Einfluss in der Levante zurückzudrängen und damit den eigenen Zugriff auf ein Gebiet zu stärken, das es als sein Eigentum betrachtet. 

Mit dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs geriet das Verhältnis zwischen den beiden Ländern zunehmend aus dem Gleichgewicht, da Syrien immer mehr von externer Unterstützung durch den Iran abhängig wurde. Tatsächlich unterstützte der Iran Syrien von Beginn des Bürgerkriegs an sowohl finanziell als auch militärisch. Die militärische Unterstützung reichte von der Bereitstellung von Ausrüstung bis hin zum Einsatz iranischer Milizen, wie Korps der Islamischen Revolutionsgarden, der Hisbollah oder der afghanischen Fatemiyoun-Brigade. Da das militärische Engagement nach dem faktischen Ende des Bürgerkriegs 2018 an Dringlichkeit verloren hat, nutzte der Iran nach und nach Religion und Kultur, um Einfluss zu gewinnen, was einige Kommentatoren zu der Behauptung veranlasste, dass der Iran versucht, Syrien zum Schiismus zu bekehren“. Dafür scheint es genügend Beweise vor Ort zu geben: In Städten und Dörfern im Osten des Landes und in Teilen von Zentralsyrien haben Milizen Moscheen übernommen, Schreine errichtet und beträchtliche Mengen an Grundbesitz gekauft.

Doch das Engagement des Irans hatte einen hohen Preis: Teheran bot Damaskus einen großzügigen Kredit an, um Ölimporte und andere wichtige Güter zu bezahlen. Was im Grunde eine „Kreditkarte mit hohem Limit" darstellt, sollte die wahren Kosten von Teherans Engagement in Syrien verschleiern. Obwohl es fast unmöglich ist, die gesamten entstandenen Kosten abzuschätzen, reichen die Schätzungen laut dem Atlantic Council von 30 bis 105 Milliarden Dollar für die ersten sieben Jahre des Konflikts. Interessanterweise war das finanzielle Engagement des Irans deutlich höher als das des anderen großen Sponsors des Assad-Regimes, nämlich Russlands.

Trotzdem hat Moskau durch Aufträge, die an seine nationalen Unternehmen vergeben wurden, viel mehr profitiert. Zum Beispiel haben russische Unternehmen zwischen 2013 und 2020 fünf große Ölverträge gewonnen, während der Iran nur einen erhielt. Dies hat zu einem gewissen Grad an Frustration in der iranischen Führung geführt, und es bleibt abzuwarten, wie geduldig Teheran nach der Präsidentschaftswahl mit dem syrischen Regime sein wird, vor allem wenn der iranische Hardliner-Kandidat Ebrahim Raisi sein Amt im Sa'dabad-Palast antreten sollte. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich die Beziehung grundlegend verändert hat. Syrien ist stark von iranischer Unterstützung abhängig, um das Regime aufrechtzuerhalten, da es dem Land an alternativen Finanzierungsquellen mangelt. Auf diese Weise hat sich das Gleichgewicht zwischen den beiden Ländern eindeutig zugunsten Teherans verschoben.

Jemen – Irans Unterstützung der Huthis

Die beiden größten Konfliktparteien, die sich im jemenitischen Bürgerkrieg seit 2014 bekämpfen, sind die schiitische Bewegung Ansar Allah, bekannt als die Huthis, und die international anerkannte Zentralregierung unter Führung von Präsident Abdrabbuh Mansur Hadi. Mit einer Militäroffensive und unterstützt vom Iran kämpft die Huthi-Miliz für die Errichtung eines autonomen Imamats im Land. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bildeten eine Koalition, um Präsident Hadi an der Macht zu halten, was 2015 zu einer saudisch geführten Militäroffensive führte. Dieser Schritt verwandelte den innerjemenitischen Konflikt in einen saudi-iranischen Stellvertreterkrieg mit weitreichenden Auswirkungen.

Der vielschichtige Konflikt im Land ist aus einer Reihe von Akteuren zusammengesetzt, die nicht alle einer der Hauptkonfliktparteien loyal ergeben sind - so wie etwa der jemenitische Flügel der Muslimbruderschaft (Al-Islah), Al-Qaida oder der Islamische Staat (IS) im Jemen. Auch die Koalitionspartner Saudi-Arabien und die VAE verfolgen unterschiedliche Ziele im Jemen. Während es den Saudis vor allem darum geht, den iranischen Einfluss zurückzudrängen und die von der Huthi-Miliz ausgehende Bedrohung an ihren Grenzen zu eliminieren, wollen die Emirate ihre Kontrolle über die südjemenitischen Häfen und Gewässer sichern sowie die jemenitische Muslimbruderschaft in Schach halten.

Entgegen der saudischen, aber auch der internationalen Wahrnehmung war die Zusammenarbeit zwischen der Huthi-Miliz und dem Iran zunächst relativ begrenzt. Erst seit der saudischen Militärintervention im Jahr 2015 hat sich die Zusammenarbeit zwischen Iran und den Huthis intensiviert. Da die Huthis bereits vor dem Krieg eine gut etablierte, autonom operierende Gruppe waren, sieht der Iran in der militärischen Allianz mit ihnen eine kostengünstige und wirkungsvolle Möglichkeit, Vergeltung an Saudi-Arabien zu üben. Weniger aus ideologischen Gründen - der Zweig des zaiditischen Islams der Huthis steht dem sunnitischen viel näher als dem schiitischen Islam - sondern vielmehr aus dem strategischen Interesse an einem geschwächten Saudi-Arabien, begann der Iran, die Huthis mit Waffen und ballistischen Raketen zu beliefern. Diese wurden mehrfach auf saudisches Territorium abgefeuert und sind zu einer realistischen Bedrohung für die innere Sicherheit Saudi-Arabiens geworden. Während die Huthis hofften, damit die Saudis zu Verhandlungen zu zwingen, spekulierte der Iran darauf, den Fokus seines regionalen Rivalen vom strategisch viel wichtigeren Krieg in Syrien zu lenken. Wie in vielen anderen Konflikten in der Region ist der Jemen-Krieg ein Beispiel dafür, wie der Versuch, den regionalen Expansionismus Teherans mit militärischer Gewalt herauszufordern, dessen Engagement gefördert und seinen Einfluss auf lokale Akteure gestärkt hat.

Irans Strategie eines Low-Cost/High-Reward-Engagements und des Aufstiegs zu einem unverzichtbaren diplomatischen Akteur im Jemen scheint aufgegangen zu sein: Der regionale Rivale Saudi-Arabien ist wirtschaftlich und militärisch geschwächt und die Biden-Administration scheint entschlossen, Riad unter Druck zu setzen, den Krieg zu beenden. Der Iran nutzt die Macht seiner schiitischen Stellvertreter als Druckmittel bei den Atomverhandlungen mit den USA. Teheran ist fest entschlossen, die Bedingungen eines Friedensprozesses im Jemen zu diktieren und jegliche Verhandlungen zwischen den Saudis und den Huthis zu verhindern.

Wie die jüngsten geheimen Gespräche zwischen saudischen und iranischen Offiziellen in Bagdad zeigten, scheinen beide Länder ein Interesse an einer Deeskalation des Konflikts im Jemen zu haben, unabhängig von ihren langjährigen Streitigkeiten. Jedes Gespräch zwischen den regionalen Rivalen wird sich positiv auf die Beschleunigung des Friedensprozesses im Jemen auswirken - etwas, das nach sechs Jahren Krieg und der wohl schlimmsten humanitären Krise der Welt von höchster Bedeutung ist. 

Die anstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran werden nicht zu einem grundlegenden Wandel in der iranischen Regionalpolitik führen. Laut eines an die Öffentlichkeit geratenen Interviews von Javad Zarif über die Rolle der Revolutionsgarden (IRGC) im Iran sind nur der Oberste Führer und die IRGC in der Lage, eine Entscheidung über die Fortsetzung oder Ablehnung des Dialogs zu treffen. Trotz dieser Tatsache fürchten die Saudis immer noch den möglichen Aufstieg der Hardliner, die den Annäherungsprozess gefährden könnten. Daher wird Saudi-Arabien voraussichtlich seine vorsichtige Politik der taktischen Annäherung fortsetzen und dabei den Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen außer Acht lassen.

Englische Fassung