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Israel und Iran
Eskalation zwischen Israel und dem Iran – Hintergründe und Analyse

Interview aus aktuellem Anlass mit Kristof Kleemann, Leiter des Stiftungsbüros in Jerusalem.
Ein israelischer Sicherheitsbeamter steht am Eingang eines Wohngebäudes, das von einer aus dem Iran abgefeuerten Rakete getroffen wurde

Ein israelischer Sicherheitsbeamter steht am Eingang eines Wohngebäudes, das von einer aus dem Iran abgefeuerten Rakete getroffen wurde

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Baz Ratner

FNF: Lieber Kollege Kleemann, nach mehreren Jahren in Nahost, vor allem an den Standorten Beirut und Jerusalem, sind Sie notgedrungen krisenerprobt. Wie haben Sie die letzten vier Tage und Nächte erlebt?

Kristof Kleemann: Tatsächlich härtet einen die Arbeit in dieser Region in gewisser Weise ab – aber sie stumpft nicht ab. Die letzten vier Tage und Nächte waren intensiv, auch emotional. Wenn Raketen fliegen, spürt man, wie fragil Sicherheit ist – selbst in einem beruflich vertrauten Umfeld wie Jerusalem. Nächte voller Alarm, Gespräche mit besorgten Freunden, Kolleginnen, Partnern. Man schläft nur kurz, das Handy neben dem Bett, immer in der Hoffnung, dass es ruhig bleibt.

Was mich bewegt, ist die Mischung aus Anspannung und Routine. Wie schnell der Ausnahmezustand hier zum Alltag wird. Und doch: Inmitten all der Unsicherheit habe ich so viel menschliche Stärke erlebt. Solidarität und Mitgefühl. Gerade in solchen Momenten zeigt sich auch, was ein gutes Team ausmacht – und ich bin dankbar und stolz, mit dem Team in Jerusalem arbeiten zu dürfen.

 

FNF: Der Angriff Israels auf den Iran erfolgte während des Verhandlungsprozesses zwischen Washington und Teheran. Das erklärte Ziel Israels ist die präventive Zerstörung des als existenzielle Bedrohung betrachteten iranischen Nuklearprogramms. Sowohl Premier Netanjahu als auch andere hochrangige Politiker ließen zudem wiederholt durchblicken, dass es über das Nuklearprogramm hinaus auch um einen möglichen Regimewechsel im Iran geht. Wie interpretieren Sie das strategische Kalkül hinter dem Angriff und seinem Zeitpunkt?

Kristof Kleemann: Israel hat diesen Angriff monatelang geplant und vorbereitet, um den Iran in einem Moment der Unachtsamkeit zu treffen. In Teheran rechnete man offenbar nicht damit, dass Israel kurz vor der nächsten Verhandlungsrunde zwischen dem Iran und den USA über das Nuklearprogramm zuschlagen würde. Die iranische Militärführung zeigte sich deshalb sorglos und ignorierte Warnungen, während sie in privaten Räumen schlief. So wurden sie beim Eröffnungsschlag der israelischen Streitkräfte zu leichten Zielen.

Israel verfolgt dabei mehrere Ziele: Es will das iranische Atomprogramm schwer beschädigen und um Jahre zurückwerfen. Gleichzeitig soll die Fähigkeit des Irans, Israel anzugreifen, durch die Zerstörung des Raketenarsenals erheblich eingeschränkt werden. Zudem sollen militärische Führungsstrukturen ausgeschaltet und der iranischen Führung unmissverständlich klargemacht werden: Ein nuklear bewaffneter Iran ist inakzeptabel. Ein Regimewechsel im Iran gehört aus meiner Sicht nicht zu den Zielen dieser Operation. Das könnte Israel – trotz seiner militärischen Überlegenheitmeiner Meinung nach auch nicht erreichen.

FNF: Die israelische Gesellschaft ist politisch tief gespalten. Zentristische und liberale Kräfte bilden seit langem das Rückgrat der zivilgesellschaftlichen Opposition gegen die Regierung Netanjahu. Wie positioniert sich dieses politische Lager im Kontext des Krieges mit Iran?

Kristof Kleemann: In Krisenzeiten wie diesen tritt die Gesellschaft häufig enger zusammenProteste gegen die Regierung wurden vorerst ausgesetzt, die Unterstützung für die Armee ist groß. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen: Die innenpolitischen Spannungen sind nicht verschwunden. Viele Israelis unterstützen das Ziel, die iranische Bedrohung zu neutralisieren, fragen aber auch: Wohin führt uns dieser Weg langfristig? Daher ist die Haltung dieses Lagers oft zweigeteilt: Es gibt Unterstützung für die Soldatinnen und Soldaten sowie das Sicherheitsestablishment – aber keine Blankovollmacht für die politische Führung.

FNF: Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran birgt großes Eskalationspotential. Wie verändern sich durch den Krieg die regionalen Machtkonstellationen – und droht eine Ausweitung z.B. über Stellvertreterkonflikte?

Kristof Kleemann: Die Stellvertreter des Irans sind seit dem 7. Oktober stark geschwächt, vor allem die Hisbollah im Libanon und die Hamas im Gazastreifen. Mit dem Sturz der Assad-Herrschaft in Syrien hat Teheran zudem einen wichtigen Verbündeten verloren. Der Zusammenbruch dieser über Jahre aufgebauten Sicherheitsstruktur hat wohl dazu geführt, dass Teheran die Entwicklung einer Atomwaffe beschleunigt hat. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat in den letzten Monaten mehrfach scharfe Kritik an diesem Vorgehen geübt. Dennoch kann der Iran die Lage weiter eskalieren. Er besitzt die militärischen Mittel, um amerikanische Stützpunkte in der Region anzugreifen oder den Schiffsverkehr in der Straße von Hormus zu stören – etwa mit Schnellbooten, Seeminen, Raketen oder Drohnen. Beide Szenarien würden jedoch ein Eingreifen der USA und arabischer Staaten provozieren, was Teheran bisher zu vermeiden sucht.

FNF: Zum Schluss: Welche Szenarien halten Sie in der aktuellen Lage für realistisch? Gibt es Chancen für eine Deeskalation, oder stehen wir vor einer längeren Phase der Konfrontation?

Kristof Kleemann: Die israelischen Streitkräfte betonen, dies sei kein gewöhnlicher Einsatz, sondern ein historischer Verteidigungskrieg, der eine existenzielle Bedrohung abwenden soll. Israel rechnet damit, dass der Konflikt mit dem Iran mindestens zwei Wochen, womöglich länger, andauern könnte. Eine klare Exit-Strategie der israelischen Regierung ist bisher weder militärisch noch diplomatisch erkennbar. Mit den Angriffen auf iranische Nuklear- und Militäranlagen verfolgt Israel ein klares Ziel: die dauerhafte Schwächung oder Zerstörung von Kapazitäten, die es als existenzielle Gefahr einstuft.

Eine tragfähige Exit-Strategie müsste mehrere Aspekte berücksichtigen:

Erstens die militärische Ebene – also eine präzise Festlegung, wann die Einsatzziele erreicht sind.
Zweitens eine politische und diplomatische Begleitung, die nach der akuten Phase Deeskalation ermöglicht, ohne Schwäche zu zeigen.

Drittens eine strategische Kommunikation, die internationale Partner wie die USA, moderate arabische Staaten und europäische Regierungen einbindet, um Rückhalt zu sichern.

Auch auf iranischer Seite fehlt bisher eine klare Exit-Strategie. Die politische Rhetorik setzt auf maximale Vergeltung, doch zugleich vermeidet Teheran eine direkte Eskalation mit den USA. Das zeigt, dass der Iran zwischen Vergeltung und strategischer Zurückhaltung schwankt.